In einem genialen Wurf bringen Librettist Matthew Jocelyn und Komponist Bernard Foccroulle den alten Mythos vom Fall Trojas mit der Klimakatastrophe zusammen, changieren zwischen den Zeiten und weisen auf Übereinstimmungen der ungehörten Warnungen Kassandras und einer Klimawissenschaftlerin von heute hin, die gegen Klimawandelleugnung kämpft. Regisseurin Marie-Eve Signeyrole, eine Meisterin des Filmischen, leuchtet die 13 Szenen subtil symbolisch aus und gestaltet ein Bühnengeschehen, in dem analoge und mediale Bilder bruchlos ineinander übergehen und sich ergänzen. Die Ebenen des Vergangenen und Aktuellen sind perfekt mit einander verwoben. Es wird menschlich überzeugend agiert, und sogar die Zuschauer im wunderbar historischen Operntheater werden mit einbezogen. (Von Sabine Weber) Schmelzendes Eis und warnende Rufe! Die Uraufführung von Bernard Foccroulles „Cassandra“ ist ein durchschlagender Erfolg zu Beginn dieser Saison in Brüssel! weiterlesen
Archiv der Kategorie: Uraufführung
„La Bête dans la jungle“ – Ein Egotripp in die einsame Männerseele…
Weder mit dem Dschungelbuch hat Arnaud Petits Oper „La Bête dans la jungle“ etwas zu tun. Noch mit „La Belle et la Bête“ und ist auch keine Kinderoper, wie einige irrtümlich annahmen. Der Titel verleitet zu solchen Assoziationen. Dies ist ein Tripp in eine vereinsamte Männerseele. Denn „The Beast in the Jungle“ (1903) – „Das Raubtier im Dschungel“ ist eine Kurzgeschichte von Henry James. Und wie in seiner Novelle „The Turn of the Screw“ (1898), die ja Britten vertont hat, geht es um die Undurchdringlichkeit des Inneren – der Dschungel –, den Spiegel, in dem sich Menschen selbst erkennen. Und mit Schauereffekt dürfen auf der anderen Seite auch gern Geister erscheinen. Unter François-Xavier Roth ist Arnauds „La Bête dans la jungle“ in der Regie von Frederic Wake-Walker am 14. April uraufgeführt worden. In dieser Aufführung leitet Arne Willimiczik das Gürzenich-Orchester. Kein Nachteil, denn Willimiczik zeichnet verantwortlich für die komplette Einstudierung in Zusammenarbeit mit Emily Hindrichs, Miljenko Turk, den beiden Hauptdarstellern, und dem anwesenden Komponisten. (Von Sabine Weber) „La Bête dans la jungle“ – Ein Egotripp in die einsame Männerseele… weiterlesen
Die Uraufführung von „Dogville“ in Essen wird euphorisch gefeiert!
Nach 15 Jahren stemmt das Aalto-Theater wieder eine Uraufführung! Und sie ist ein totaler Erfolg: die Oper „Dogville“ von Gordon Kampe in der Regie von David Hermann nach Lars von Triers gleichnamigem Film. Der dänische Filmemacher, der mit „Melancholia“ oder „Der Antichrist“ polarisiert, hat mit „Dogville“ 2003 sogar in einer experimentellen Versuchsanordnung gedreht. Häuser, Räume und Straßen von Dogville sind Spielbrett-ähnlich nur mit Kreidestrichen angedeutet, auf denen die Bewohner der piefigen Kleinstadt auf die Ankunft eines Flüchtlings, Grace, reagieren. (Im Film übrigens grandios dargestellt von Nicole Kidman) Grace wird wiederwillig aufgenommen, dann ausgenutzt, als Sklavin an die Kette gelegt gedemütigt, misshandelt bis sie sich im Finale rächt. Zu diesem Brechtischen Drama hat Gordon Kampe eine dichte und von Schlagzeugeffekten energetisch aufgeladene Musik geschrieben. (Von Sabine Weber) Die Uraufführung von „Dogville“ in Essen wird euphorisch gefeiert! weiterlesen
Theatrale Sprachklänge! _hand werk gestaltet großartiges Musiktheater von und mit François Sarhan in der Feuerwache Köln!
Dem derzeit in Berlin lebenden französischen Komponisten François Sarhan (*1972) ist dieser Abend gewidmet. Sarhan ist nicht nur anwesend, sondern im zweiten Teil auch aktiv und trägt in „Telegrams from the Nose“ von 2011 Phrasen eines Schauprozesses vor, die Mitglieder des Zentralkomitee, unter anderem Stalin, gegen Genosse Bakhutin ins Feld geführt haben. Vor einer Wand von William Kentridge mit Zeitungsausschnitten, trägt Sarhan sie sogar auf russisch vor. Zu Schattenspielen und Scherenschnitten die gleichzeitig über die Tafel laufen. Sarhans „Symphony für Flöte, Klarinette, Schlagzeug, Violine, Cello und Klavier“ erlebt an diesem Abend im ersten Teil seine Uraufführung – mit den Stimmen aller Beteiligten von _hand werk! (Von Sabine Weber) Theatrale Sprachklänge! _hand werk gestaltet großartiges Musiktheater von und mit François Sarhan in der Feuerwache Köln! weiterlesen
„Shirine“ von Thierry Escaich wird an der Oper in Lyon uraufgeführt – Was für eine Genese!
Nach „Claude“ 2013 – feiert jetzt „Shirine“ ihre Weltpremiere in Lyon. Beides Opern von Thierry Escaich. Die erste Oper hatte einen prominenten Librettisten, Robert Badinter, ehemals Justizminister der Mitterrand-Regierung. Er verarbeitete die Novelle „Claude Geux“ von Victor Hugo, in der Hugo die Todesstrafe anprangert, die schon zu dessen Zeiten vor allem sozial Benachteiligte getroffen hat. Eine Oper von historischer Relevanz also, zumal Badinter die Guillotine auch abgeschafft hat. Das Libretto zu Escaichs zweiter Oper, ebenfalls ein Auftrag der Lyoner Oper, hat der afghanisch-französische Schriftsteller Atiq Rahimi verfasst, Prix de Goncourt-Preisträger, also der höchsten Auszeichung für Schriftsteller in Frankreich. Seine Vorlage: ein Epos des persischen Dichters Nizami aus dem 12. Jahrhundert. Es handelt von der Liebe zwischen einem persischen Prinzen und einer armenischen Prinzessin, die sich erst im Liebestod vollzieht. Diese persische Weltliteratur trifft in Lyon auf modernes Musiktheater. (von Sabine Weber) „Shirine“ von Thierry Escaich wird an der Oper in Lyon uraufgeführt – Was für eine Genese! weiterlesen
„Singularity“ von Miroslav Srnka, ein SciFi fürs Cuvillés-Theater
Es ist schon Miroslav Srnkas dritte Oper für die Bayerische Staatsoper: 2011 debütierte der damals 36-jährige tschechische Komponist als Musikdramatiker mit „Make no noise“ nach dem Film „The Secret Life of Words“ von Isabel Coixet während der Münchner Opernfestspiele, Schauplatz: eine Bohrinsel. Die erfolgreiche Kammeroper wurde 2016 bei den Bregenzer Festspielen nachgespielt. Im gleichen Jahr folgte die Uraufführung von „South Pole“ im Münchner Nationaltheater mit Rolando Villazón und Thomas Hampson als Scott und Amundsen auf Südpol-Expedition, 2017 neuinszeniert in Darmstadt. Und nun wieder eine Kammeroper – für das Ensemble des Opernstudios der Bayerischen Staatsoper im Cuvilliés-Theater! (Von Klaus Kalchschmid) „Singularity“ von Miroslav Srnka, ein SciFi fürs Cuvillés-Theater weiterlesen
Johanna Doderers „Schuberts Reise nach Atzenbrugg“ am Münchner Gärtnerplatztheater – als Stream und live vor Ort!
Eine Handvoll Journalisten durften – neben etlichen Mitarbeitern des Hauses – mit Sondergenehmigung des bayerischen Kunstministers negativ getestet die „Streaming-Vorpremiere in kammermusikalischer Fassung“ von Johanna Doderers neuer Oper vor Ort im Gärtnerplatztheater verfolgen. Was für ein Erlebnis, nach exakt einem halben Jahr ohne Möglichkeit, Oper oder Konzert in einem Opernhaus oder einem Konzertsaal zu verfolgen, hier zu sitzen. Nicht nur mit Kopfhörern vor dem gerade mal 30 x 52,5 cm großem PC-Bildschirm, sondern in einem schönen, großen Raum zusammen mit anderen, wenn auch wenigen Menschen, mit reichlich Abstand zu einander gemeinsam Oper erleben! (Von Klaus Kalchschmid) Johanna Doderers „Schuberts Reise nach Atzenbrugg“ am Münchner Gärtnerplatztheater – als Stream und live vor Ort! weiterlesen
„Sehet den Träumer!” Elam Rotem und sein Ensemble Profeti della Quinta kreieren Joseph und seine Brüder als frühbarockes Oratorium!
„Kopieren ist Kreieren“ steht oben auf dem Programmzettel. Der israelische Barockmusiker Elam Rotem, der in Basel studiert hat und auch lebt, hat die biblische Erzählung “Joseph und seine Brüder” als frühbarockes Oratorium neu kreiert. Er hat Stile und Genres des 16. und frühen 17. Jahrhunderts kopiert, so, als wäre er ein posthumer Komponistenkollege Claudio Monteverdis oder Emilio Cavalieris. Stile kopieren, um zu kreieren! Das ist eigentlich nichts neues. In diesem Falle aber doch spektakulär, weil die Kopien auf Stile verweisen, die vor über 400 Jahren mal angesagt waren. Die Aufführung dieser neuen Alten Musik hätte auch im März im Rahmen des Kölner Zentrum-für-Alte-Musik-Festivals stattfinden sollen. Das – abgekürzt ZAMUS – Festival wollte sich unter der Führung des künstlerischen Leiters Ira Givol neu präsentieren. Unter anderem auch Grenzgänge der historischen Aufführungspraxis – wie diese „Nach- oder Neukomposition“ zur Diskussion stellen und Fragen der historischen Aufführungspraxis wissenschaftlich in einem Symposium aufwerfen. Alles wurde abgesagt. Jetzt konnte Elam Rotems Josephslegende in der Lutherkirche in Köln aber endlich aufgeführt werden. Rechtzeitig vor dem neuen Lockdown, der schon an die Tür klopft. Auf 14 Musiker des Ensembles Profeti della Quinta kamen mal gerade 24 Zuhörer. Ein besonderes Erlebnis für die, die dabei sein konnten! (Von Sabine Weber) „Sehet den Träumer!” Elam Rotem und sein Ensemble Profeti della Quinta kreieren Joseph und seine Brüder als frühbarockes Oratorium! weiterlesen
Tu es felix Colonia! Das Festival Felix Original. Klang. Köln. ist von Il Giardino Armonico eröffnet worden!
„Wir brauchen Musik“, begrüßt der Intendant der Kölner Philharmonie Louwrens Langevoort das in sein Haus zurück gekehrte Publikum. Letztes Jahr ist das Alte-Musik-Festival Felix Original. Klang. Köln. neu gestartet (siehe klassikfavori-Rezension). Und Felix trotzt in seiner zweiten Spielzeit Corona und bringt nicht nur Ensembles mit großen Namen an den Start. Grenzgänge werden gewagt. Und Newcomer der Alten Musik gibt es zu entdecken. Am Samstag wechseln sich acht Ensembles bei freiem Eintritt an drei weiteren, fussläufig voneinader entfernten Spielstätten um die Philharmonie ab. Alles natürlich nach streng ausgetüftelten Corona-Spielregeln. (Von Sabine Weber)
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Dijon präsentiert eine neue Kafka-Oper, für die Brice Pauset detailreiche Hörassoziationen erfindet
Kafkas Gedankenwelt sei antidramatisch, hat Hans Heinz Stuckenschmidt einmal behauptet. Dennoch haben Komponisten Kafka-Werke auf die Opernbühne gebracht. Gottfried von Einem Kafkas Roman „Der Prozess“ 1953. Hans Werner Henze hat die Erzählung „Ein Landarzt“ 1951 zu einer Rundfunkoper verarbeitet und 1996 revidiert. Gunter Schuller hat 1966 „Die Heimsuchung“ zu einer Jazz-Oper in den Südstaaten weiterentwickelt, Roman Haubenstock-Ramati im gleichen Jahr „Amerika“ durch eine den Interpreten Raum gebende graphische Notation. „La porta delle legge/ Vor dem Gesetz“ hat Salvatore Sciarrino 2009 aufgegriffen. Philip Glass hat zweimal Kafka mit minimalistischen Musikklängen erfasst: „In the Penal Colony/ In der Strafkolonie“ 2000 und „Der Prozess“ 2015. Was treibt sie an, die surrealen Szenarien mit schuldlos Schuldigen, Ausgestoßenen, Abgewiesenen, Ausgelieferten und mit kalter Grausamkeit und Sadismus konfrontierten Söhnen, jedenfalls sind es zumeist Männer um die es geht, Stimmen zu geben und Bühnenräume zu öffnen? Für den französischen Komponisten Brice Pauset ist es die prophetische Kraft hinter den zumeist auch noch beklemmend kalt und nüchtern erzählten Begebenheiten. Die drei Erzählungen, die er jetzt aktuell für die Oper Dijon zu einer dreiaktigen Oper gefügt hat, verhandeln seiner Meinung nach brennend aktuelle Themen. In „Das Urteil“ den Generationenkonflikt, die ältere Generation beharrt auch um den Preis, dass sie die Kinder opfert, in „Die Verwandlung“ geht es darum, was passiert, wenn ein Familienmitglied nicht mehr der Norm entspricht, der Sohn wird ja zum Käfer und erlebt, wie ihm die Menschlichkeit abgesprochen wird. „In der Strafkolonie“ geht es um eine sadistische Tötungsmaschine, von der ein Offizier seine Daseinsberechtigung ableitet. Diese Erzählungen hat Kafka zwischen 1912 und 1915 verfasst. Er wollte sie als Trilogie oder Erzählband unter dem Titel „Strafen“ zusammen veröffentlichen. Strafen – Les châtiments – hat Brice Pauset jetzt seine Oper überschrieben, und verwirklicht das Vorhaben nach mehr als 100 Jahren. Am 12. Februar war die Uraufführung. (Von Sabine Weber) Dijon präsentiert eine neue Kafka-Oper, für die Brice Pauset detailreiche Hörassoziationen erfindet weiterlesen