Wenn der Intendant vor der Aufführung zum Mikrofon greift, gibt es eine traurige Krankmeldungen. Diese war aber kurios. Am Premierentag morgens sagt Charlotte Quadt ihren Auftritt als Ruggiero ab. Der Ersatz für die berühmte Kastratenrolle wird Nachmittags mit dem Countertenor Ray Chenez in Wien gefunden. Der bleibt im Flughafenterminal stecken, weil mindestens zwei Stunden zwischen Buchung des Fluges und Abflug liegen müssen– also wurde auf später umgebucht. Das klappt, aber er sitze jetzt noch im ICE von Frankfurt nach Köln. Also wurde Charlotte Quadt gebeten, die Bühne nicht im Regen stehen zu lassen, sondern bis zu dessen Eintreffen mit zumachen. Wobei Regisseur Jens-Daniel Herzog als szenischer Ersatz zwangsverpflichtet, Ray Chenez sollte von der Seite singen, bereits im Kostüm stecke. Also beginnt es mit Charlotte Quadt, die einen hinreißenden Lover spielt, noch schöner singt und … bis zuletzt durchhält! (Von Sabine Weber) Händels „Alcina“ in Bonn verzaubert und amüsiert. Und Ruggiero hält durch! weiterlesen
Archiv der Kategorie: Premierenbesprechungen
Das Schicksal ist Schuld? Verdis „La Forza del Destino“ überzeugt in Essen vor allem musikalisch
(Titelbild: Jorge Puerta (Alvaro), Astrik Khanamiryan (Leonora), Massimo Cavalletti (Don Carlo). Foto: Alvise Predieri) Mit einer IntendantIN bekommen Frauenregisseure endlich mal vermehrt Chancen. Das ist so in Essen und unbedingt lobenswert. Allerdings mit Verdi haben sie dort derzeit wenig Glück. (Von Sabine Weber)
(09. November 2024, Aalto Theater in Essen) Der Macbeth im September 2023 war sogar ein Regieflop (Siehe klassikfavori). Wer für die aktuelle Premiere von La Forza del Destino die seitenweise ausgebreiteten Elogen über immersive Herangehensweisen und neuartigen Analyse-Verfahren beim Bühnengeschehen der Regisseurin Sláva Daubnerová im Netz studiert, bekommt den Eindruck vermittelt, sie wolle mit innovativen Ideen das verstaubte Regietheater überwinden. Was die slowakische Regisseurin letztendlich im Aalto Theater in der Premiere von La Forza aber zeigt, ist eher bieder im Bild und sorglos im Umgang mit einer der wichtigsten Bühnenstrategien, der Gaubhaftigkeit. Wenn die verfolgte Leonora singend Gott bittet, dass er sie vor ihrem Bruder schützen solle, der sie umbringen will und sie sich mit Koffer in der Hand zielsicher genau vor den Bruder stellt, ist das widersprüchlich. Leonora nähert sich im Laufe der Vorstellung auch als Geist dem aus den Augen verlorenen Geliebten Alvaro, in plakativ blutverschmiertem Hochzeitskleid – weil die Hochzeit nunmal durch einen Mord geplatzt ist – aber das nur, weil Alvaro gerade von seiner Liebe zu ihr singt. Das hat keinen Mehrwert.
Die Mutter-Heimat-Statue aus Stalingrad im Bild
Die Videoanimationen auf unsichtbaren Vorhängen im Bühnenbild sind ästhetisch gut gemacht (Andreas Deinert). Marschierende Soldaten, die sich zu Motiven auf einer Tapete durch Spiegelungen vervielfältigen, sodass sie zu kleinen Müsterchen werden, ist aber noch keine Auseinandersetzung mit dem Krieg. Und gibt es da eine Putin-Nähe? Oder warum kommt die Nachbildung der Mutter-Heimat-Statue aus Stalingrad, anlässlich des Sieg der Sowjets errichtet, ins Bild? Mit ihrem zum Schrei verzerrten Gesicht mit erhobenem Schwert ist diese Kolossstatue ein Kriegsdenkmäler-Kult, bei dem man sich nie sicher sein kann, ob der sinnlos gefallenen Soldaten gedacht oder doch letztendlich der Krieg verklärt wird (Bühne: Volker Hintermeier). Das Gerüst um die Statue und ihr abgefallener Kopf in der zweiten Hälfte ändern daran wenig. Zumal ziemlich willkürlich auf dem Gerüst gewandelt wird, zum Beispiel die Pilger, die in der zweiten Szene ins Klangbild kommen. Natürlich turnt auch Leonora als Blutkleid-Geist mal im Baugerüst. Dazu eine unsägliche Lichtregie mit Augenschmerzen-verursachenden Spots aufs Publikum gerichtet. Und auch grell-leuchtenden Streifen auf hereingeschobenen Wänden sorgen für physische Unannehmlichkeit. Eine Frau hinter mir flucht lautstark. Andere halten sich das Programmheft vor die Augen…
Die Buhs für die Regie sind berechtigt
Die Personenregie bleibt rudimentär. Das gehört wohl nicht zum immersiven Programm. Das nehmen Jorge Puerta und Massimo Cavalletti als Alvaro und Don Carlo in ihren Begegnungen und Duetten Stimm- und Szenen-sicher selbst in die Hand. Es braucht kein Krankenhausbett mit Infusionsständer. Und das Gefuchtele mit der Pistole, deren erster Schuss laut Libretto sich selbst löst und damit die Verkettung von unglücklichen Umständen (Schicksal!) auslöst, nehmen sie als Lästigkeit hin. Daubnerová drückt übrigens in der ersten Pistolenszene diese Leonora in die Hand, obwohl der tödliche Schuss auf den Vater sich doch aus der weggeworfenen Pistole aus Versehen lösen soll. Ist das jetzt als ihre verzweifelte Attacke auf das Patriarchat zu deuten? Die Buhs für die Regie am Ende sind berechtigt. Und eigentlich noch viel zu harmlos gewesen.
Perfekte Verdi-Stimmen
Musikalisch ist dieser Verdi allerdings großartig. Astrik Khanamiryan als Leonora ist in ihren ersten beiden Arien vor der Pause stark, klar und gestalterisch überzeugend, in ihrer Gebetsarie rührend, sodass das Publikum begeistert applaudiert. Jorge Puerta – leider etwas sehr füllig, sodass ihm gewisse Bewegungen schwer fallen – hat zwar keine überlaute, dafür aber eine wunderbar temperierte und ausgewogen geführte Tenorstimme, die im Fortissimo auch ohne Stentorgehabe durchdringt, also ohne zu schreien das Orchester übertönt. Eine perfekte Verdi-Stimme, die auch Bariton Massimo Cavalletti besitzt. Vom Typ her ein George Clooney, frisst ihn die Rache und falsch verstandenes Ehrgefühl gegen die Schwester immer mehr auf. Darum geht es in dieser vom Zarenhof in Sankt Petersburg in Auftrag gegebenen und dort auch 1861 uraufgeführten Oper. Verdi hat sie später nochmals für Mailand mit einem neuen Verklärungsfinale und einem Terzett zu einem hoffnungsgeschwängerten Ende ausgestattet, wie auch in dieser Forza (Siehe Titelbild). Alvaro überlebt, obwohl ausgerechnet er die Oper über immer wieder sterben will. „Lasciate mi morire!“ Das ist auch Schicksal.
Die solistischen Leistungen sind hervorzuheben
GMD Andrea Sanguineti entlockt schon in der leitmotivisch vollgespickten Ouvertüre feinste Töne, wie er auch in den Arienbegleitungen die Essener Philharmoniker mal zu einer Kanzone-begleitenden Gitarre formt. Die solistischen Leistungen der Soloklarinette sind hervorzuheben. Das sind fast Konzerteinlagen. Und ganz apart die Akkordbrechungen unter dem Gesang. Übrigens auch mal vom Fagott zu hören. Die Nebenrollen sind auch alle großartig besetzt. Hervorragend füllt auch Bettina Ranch die zwielichtige Rolle der Preziosilla aus, eine Kriegsverherrlicherin, Wahrsagerin oder Kurtisane des Kriegsheeres.
Zufrieden mit dem Aalto-Verdi-Schicksal!
Wie Verdi immer wieder in La Forza mit Off-Chören und Orgelklängen Kirchenmusik einbringt, um heilige Fallhöhe zum unheiligen Rachefeldzug Don Carlos zu schaffen, wäre einer gesonderten Studie wert. Da erwirbt sich der Chor des Aalto Theaters auf jeden Fall große Verdienste. Das Publikum dürfte also im Großen und Ganzen mit seinem Aalto-Verdi-Schicksal zufrieden sein, und bedankte sich für die Leistungen im Graben und die sängerischen auf der Bühne immer wieder mit Szenenapplaus.
Héroïnes – Drei Kurzopern des 20. Jh.s eröffnen die Saison in Nancy. Und starke Frauen haben das Sagen im Nancy-Tryptichon!
„Frau, du bist der Fels, auf den ich meine Kirche baue…“ Im Demi-Choeur und im Schlusschor der „Danse des Morts“ (1940) Arthur Honeggers ist das biblische „homme“ mit „femme“ ersetzt worden. Im Nancy-Triptychon „Héroïnes“ – Heldinnen – folgerichtig! Sowohl in Hindemiths „Sancta Susanna“ (1922), als auch in Bartóks „Blaubart“ (1911) zuvor stehen starke Frauen im Fokus. Honeggers Chororatorium mit Solisten und einer Sprecherrolle, hier natürlich weiblich besetzt, ist eine Repertoire-Entdeckung. Eine weitere Heldin steht im Graben. Was den Klang des Orchesters unter Sora Elisabeth Lee angeht, bleibt nichts zu wünschen übrig. (Von Sabine Weber) Héroïnes – Drei Kurzopern des 20. Jh.s eröffnen die Saison in Nancy. Und starke Frauen haben das Sagen im Nancy-Tryptichon! weiterlesen
Haydns „Schöpfung“ und Strauss’ „Elektra“. Mit einer Doppelpremiere eröffnet die Kölner Opernsaison
Gegensätzlicher geht es nicht! In der ersten Premiere wird die Entstehung einer neuen Welt mit Erzengeln im Dress mit Zirkusdirektor-Anmutung, einer pantomimisch darstellenden Tanzgruppe und gigantischer Bild-Licht-Kostümshow (Chor) gefeiert (Regie: Melly Still). Am nächsten Premierenabend steuert Elektra im dunkel-nebligen Säulenwald unter gleißenden Neonröhren zielgerichtet auf das blutiges Finale zu. Der Klassiker Joseph Haydn – großartig dirigiert von Marc Minkowski! – und Bürgerschreck Richard Strauss – der GMD aus Ulm, Felix Bender, schlägt sich mehr als wacker – werfen ja auch die Orchestermaschinerie – bewunderungswürdig mal wieder das Gürzenich-Orchester in seiner Bandbreite – völlig unterschiedlich an. Kindlich-bunt verspieltes Lob auf unsere Welt trifft in Köln am zweiten Premierentag auf die meisterhafte Personenregie von Roland Schwab, die streng wahnhaft auf menschliche Konfrontation setzt. (Von Sabine Weber) Haydns „Schöpfung“ und Strauss’ „Elektra“. Mit einer Doppelpremiere eröffnet die Kölner Opernsaison weiterlesen
„Volle Batterie!“ in Köln – Das Gürzenich-Orchester mit Hip Hop im Club und Atomkatastrophe in der Oper „INES“
Zwei Mal Ausnahmezustand! Und dennoch ein finaler Saison-Paukenschlag der besonderen Art. Mit geplant natürlich von und zugeschnitten auf den Mann und Dirigenten, dessen Name derzeit nicht über die Lippen geht. Auch wenn das Gürzenich-Orchester durch dessen künstlerische Ausnahmeleistung das erreicht hat, womit es genau an diesem Wochenende punktet. Was für ein Mist. Denn ein Image-Schaden muss abgewendet werden. So zählt der Rap/Hardrock-Ausflug samstags mit DJ, Beatboxing und einer Hevy-Metal-Partitur von Bernhard Gander („Melting Pot“) im Club Carlswerk-Victoria und die Uraufführung der Atomkatastrophen-Oper „INES“ von Ondřej Adámek am Tag danach eben als Befreiungsschlag. Titus Engel und der Komponist Adámek haben sehr gern die Leitung des Gürzenich-Orchesters samstags und sonntags übernommen. (Von Sabine Weber) „Volle Batterie!“ in Köln – Das Gürzenich-Orchester mit Hip Hop im Club und Atomkatastrophe in der Oper „INES“ weiterlesen
„La Chauve-Souris“ – „Die Fledermaus“ – geht in Lille in neuer französischer Fassung über die Bühne und begeistert!
Die deutschsprachige Operette Nummer eins funktioniert auf französisch formidable, denn in dieser Produktion ist der Text von Agathe Mélinand musikalisch passgenau neu übersetzt worden, Laurent Pelly, der französische Offenbach-Spezialist, führte Regie, in einem sensationellen Bühnenbild von Chantal Thomas, sodass die Wände wackelten. Im Graben Johanna Malangré, seit 2022 Cheffe d’orchestre in Amiens, die ihr Orchestre de Picardie nach Lille mitgebracht und auf Walzer, Galopp und Csárdás eingeschworen hat. (Von Sabine Weber)
Radioaktives Rheingold! – Konwitschny inszeniert die vorletzte Oper seines Dortmunder Rings!
So hat wohl noch keiner Alberich in Richard Wagners Vorabend des „Rings“ erlebt! (Siehe Titelbild. Foto: Thomas M. Jauk) Als Rockefeller-Unternehmer-Typ sitzt er im Chefsessel. Er treibt seine Nibelungen-Techniker ins Geheimlabor und bastelt an der Atombombe! (Von Sabine Weber)
Radioaktives Rheingold! – Konwitschny inszeniert die vorletzte Oper seines Dortmunder Rings! weiterlesen
Hoffnung und Friedensutopie in Magnards „Guercœur“ weiten sich in Strasbourg ins Kosmische
Stéphane Degout muss sich in der Titelrolle unter Regisseur Christoph Loy in einem kargen Setting hart an himmlischen Mahnerinnen und menschlichen Widerständen abarbeiten und bleibt dabei bis zuletzt stimmlich überragend. Das Orchestre Philharmonique Strasbourg dreht unter Ingo Metzmacher gewaltig auf und erklimmt die vielen dramatischen Gipfel Alberic Magnards, während der Chœur de l’Opera national du Rhin mit mystischen Botschaften aus dem Off hinter dem Parkett das Publikum entrückt. (Von Sabine Weber) Hoffnung und Friedensutopie in Magnards „Guercœur“ weiten sich in Strasbourg ins Kosmische weiterlesen
„Zaide. Adama“ – Doppeltes Musiktheater: Mozart und Chaya Czernowin am Theater Aachen
„Zaide“ hat Mozart 1779 24jährig begonnen, lässt das Singspiel aber 1780 in der Schublade verschwinden, um „Idomeneo“ in Angriff zu nehmen. Weil die Salzburger Festspiele zum Mozartjahr 2006 eine Gesamtaufführung aller Mozart-Bühnenwerke anberaumten, wurde Chaya Czernowin beauftragt, das zweiaktige Fragment zu vollenden. Sie entwickelt ein eigenes modernes Musiktheater, das sich mit einer Parallelhandlung in die Leerstellen des Singspiels verkeilt. Der damalige Festspielleiter Peter Ruzicka verlangte, Mozart unangetastet zu lassen. 2017 überarbeitete Czernowin ihre Schablone, fügte einen Chor hinzu und erweiterte sie mit collageartig das Original überlagernden Momenten. Diese Fassung feiert eine umjubelte Premiere am Theater Aachen. (Von Sabine Weber)
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Große Magiershow im Zirkusrund! – „Zoroastre“ in Münster mit Haute-Contre-Star David Tricou!
Rameaus Spätwerk „Zoroastre“ war schon 1749 in Paris ein sensationelles Bühnenspektakel, was Beleuchtung nebst Feuerwerk, Bühnenmaschinerie und Kostüme anging. Am Theater Münster verordnet Regisseur Georg Schütky den Kampf der Lichtgestalt Zoroastre gegen die Mächte der Unterwelt in eine umtriebige Zirkusarena. (Von Sabine Weber) Große Magiershow im Zirkusrund! – „Zoroastre“ in Münster mit Haute-Contre-Star David Tricou! weiterlesen