In eingeblendeten Fernsehnachrichten aus aller Welt wird vor dem Einschlag eines riesigen Kometen gewarnt. Der Vorhang hebt sich und das Publikum lacht. Denn auf der Bühne ist eine Karambolage auf einer Autobahnauffahrt ins Bild gesetzt. Auf der Flucht und ausgebremst. Grell gelbes „Yellow Cab“ vorne, silbernes Coupé daneben, ein Wohnmobil hinten, und weitere Karossen ineinander verkeilt. Oben auf der Brückenüberführung hängt sogar ein originaler Polizeiwagen in der Leitplanke! Großartig gemacht von Bühnenbildner Zinovy Margolin. Die Einleitungstoccata von György Ligeti zu seinem „Grand Macabre“ hat ihr Bild. Denn ein wildes Hupkonzert hat Ligeti da hinein komponiert. Vasily Barkhatov verordnet dem Weltuntergangspektakel im fiktionalen Breughelland das Hier und Jetzt. Ob das in allem so aufgeht? (Von Sabine Weber) Brillante Spaßszenen im Breughelland – der Untergangsprophet als Narr richtet in Barkhatovs Frankfurter „Grand Macabre“ da wenig aus! weiterlesen
Archiv der Kategorie: Oper
Ecce homo Alberich! Castellucci eröffnet seinen Brüsseler Ring!
Es ist der erste Ring von Regisseur Romeo Castellucci. Und nicht von ungefähr verwirklicht er ihn am De Munt/ La Monnaie in Brüssel. Hier hat er 2011 sein Regiedebüt mit Wagners „Parsifal“ gegeben. Inszenierungen von Glucks „Orphée et Eurydice“ 2014, der „Zauberflöte“ 2018 und Honeggers „Jeanne d‘Arc au bûcher“ 2019 folgten. In dieser und der nächsten Saison schmiedet er also einen belgischen Wagner-Ring. Im wahrsten Sinne des Wortes, wie im „Rheingold“ gestern zu erleben war. Maschinenbauer unter Sicherheitshelmen biegen live an einer Drehmaschinenwerkbank gewaltige Eisenstangen zu Riesenringen. Das omnipräsente Symbol. Auch eine Metallsäge kreischt auf und schneidet in das Metall. Der stets asketisch schwarz gekleidete Regisseur mit dick schwarz umrandeter Brille und dunkel-dichtem Haar liebt das Drastisch- Realistische. Alberich gilt seine besondere Aufmerksamkeit. Seiner Versehrtheit, seinem Versagen, seinem Bloßgestellt werden. (Von Sabine Weber) Ecce homo Alberich! Castellucci eröffnet seinen Brüsseler Ring! weiterlesen
Zur Saisoneröffnung in Köln: Richard Strauss „Die Frau ohne Schatten“
Nichts als Ehekrise auf einem Zauberberg, der einmal auch mächtig dampft! So hat es den Anschein in der Kölner Produktion von Richard Strauss‘ „Die Frau ohne Schatten“ in der Regie von Katharina Thoma. Das soziale Brennpunktpaar Färberin und Färber fetzt sich, die Kaiserin und der Kaiser missverstehen sich, und dann ist plötzlich Liebe überall. Und hurra! Die Kinder, die geboren werden wollen (Mädchen und Knaben der Kölner Dommusik), singen mit! Es gibt aber auch noch die Geisterwelt (Chor der Oper Köln), das Übernatürliche, den Geisterboten und die zwielichtige Amme, die etwas von einer Hexe hat. Ein Falke in extravagant stylisch rotem Outfit. Was auf dem Bühnenbildberg von Johannes Leiacker auch immer gespielt wird, das Gürzenich-Orchester schwelgt unter Marc Albrecht im Klang einer gigantischen Partitur, dass einem grad alles lieb ist. (Von Sabine Weber) Zur Saisoneröffnung in Köln: Richard Strauss „Die Frau ohne Schatten“ weiterlesen
Reduziertes Bild – Rauschende Musik. Thalheimers „Parsifal“ in Düsseldorf!
Axel Kober wird schon enthusiastisch beim ersten Antritt begrüßt. Vor jedem weiteren Aufzug des Parsifal und vor allem am Ende nach fünf Stunden. Die Düsseldorfer schätzen ihren Wagner-Dirigenten und bis Sommer 2024 noch ihr GMD. Er wird die Saison auch mit einem „Holländer“ abrunden. Dass in der euphorischen Beklatschung der Solisten für den Parsifal- und die Kundry-Interpreten vereinzelt Buhrufe auszumachen sind, ist wirklich ungehörig.
Gast Daniel Frank ist vielleicht nicht die optimale Verkörperung eines jungen strahlenden Helden. Aber in die vom Regisseur Michael Thalheimer angelegte Rollendeutung fügt er sich hervorragend ein und meistert seinen Part stimmlich sehr gut. Da habe ich schon anderes erlebt. Sara Ferede aus dem Ensemble gibt und spielt ihr Rollendebüt ebenfalls großartig. Nicht in allem makellos, aber der wirklich heiklen Momente sind wenig, und insgesamt überzeugt sie zudem durch ihr Spiel. Über die Rollenausdeutung lässt sich streiten. Das Regie-Team spaltet das Publikum. Beängstigend laut waren die Für- und Widerreaktionen, sodass man einen ausbrechenden Tumult befürchten musste. (Von Sabine Weber) Reduziertes Bild – Rauschende Musik. Thalheimers „Parsifal“ in Düsseldorf! weiterlesen
Die dunkeldüsteren Macbeths und die „Légèreté“ Verdis! Nicht nur daran scheitert die Regie der aktuellen Produktion am Aalto, die musikalisch grandios ist!
Man spürt die Freude des Essener Publikums, wieder Oper zu haben! Und sein Votum ist einhellig bei dieser Eröffnungspremiere: die Solisten werden mit euphorischem Applaus bejubelt! Massimo Cavalletti in der Titelpartie. Als Gast besteht er sein Aalto-Debüt in dieser erstmals einstudierten, wirklich schweren Baritonpartie bravourös. Ihm gelingt auch das von Verdi geforderte sotto voce, beziehungsweise das „Nicht zu singen, sondern mit verhohlen und verschleierter Stimme Darzustellen!“ An seiner dunklen Seite Astrik Khanamiryan als Lady Macbeth mit Durchschlagkraft und wohl geformter Fühligkeit und Suggestion. Dazu Sebastian Pilgrim als dunkeltönender Banco und der mexikanische Tenor Alejandro del Angel als Macduff, Macbeth‘ Gegenspieler. Sie sind neu im Ensemble, das für das italienische Belcanto-Fach bestens aufgerüstet ist. Als der neue GMD Andrea Sanguineti aufs Podium kommt, der Tomáš Netopil nach 10 Jahren nachfolgt, gibt es sogar stehende Ovationen. Der Meister des italienischen Fachs wird als alter Bekannter begrüßt, er hat am Aalto bereits mit Verdis „Don Carlo“ und Donizettis „Lucrezia Borgia“ gepunktet. Beim Regieteam um Emily Hehl weichen die Jubelschreie den Buhs. Obwohl man spürt, dass alle eher Jubel wollen, auch wegen der supersympathischen neuen Intendantin, die das Publikum vor der Vorstellung herzlich begrüßt hat. (Von Sabine Weber)
Für Janaceks „Aus einem Totenhaus” auf der Ruhrtriennale bringt Tscherniakov die Zuschauer ins Gefängnis
Für Janaceks „Aus einem Totenhaus” auf der Ruhrtriennale bringt Tscherniakov die Zuschauer ins Gefängnis
Leos Janacek hatte in seinen Opern immer die Schwachen der Gesellschaft im Visier, die vom Weg abgekommenen, die Rechtlosen, die auch noch Unrecht begehen. Frauen, die aus Not gegen das Gesetz verstoßen („Jenufa” und „Katja Kabanova”), im „Schlauen Füchslein” die schutzlose Tierwelt. In seiner letzten Oper geht er so weit wie nie, denn er vertont die Aufzeichnungen „Aus einem Totenhaus” von Fjodor Dostojewski. Dostojewski hat vier Jahre im Gefängnis beziehungsweise einem Gulag-Vorläufer durchleben müssen. Janaceks 1926/27 komponierte Oper ist immer ein existentielles Erlebnis für die Zuschauer, denn Verurteilten, Gewaltverbrechern, dem Abschaum der Gesellschaft leiht Janacek seine Musik. Dmitri Tscherniakov hat für die diesjährige Ruhrtriennale hautnah inszeniert und das Publikum gleich mit ins Gefängnis gebracht. Premiere war gestern, am 31. August 2023. Mit im Gefängnis der Jahrhunderthalle Bochum der Chor der Janacek-Oper des Nationaltheaters Brünn. Die Bochumer Sinfoniker saßen zwar vor den Gittern, aber Chef Dennis Russell Davis war auf Bildschirmen omnipräsent. Noch im Foyer der Bochumer Jahrhunderthalle hat klassikfavori das Mikrofon gezückt und mit Opernexperte Klaus Kalchschmid das Erlebnis in einem podcast kommentiert. (Die Fragen stellt Sabine Weber) Für Janaceks „Aus einem Totenhaus” auf der Ruhrtriennale bringt Tscherniakov die Zuschauer ins Gefängnis weiterlesen
In Ristoris „Lamenti d‘Orfeo“ ruft weibliche Vernunft zur Raison. Orfeo muss seinen Irrtum im Globe Neuss sogar beichten…
Deutsche Prinzessinnen haben sich im Zuge der Aufklärung weit aus dem Fenster gelehnt. Wilhelmine von Bayreuth lässt beispielsweise eine Festa teatrale auf ein eigenhändig verfasstes Libretto komponieren, in dem standhafte Frauen die stets in amouröse Abenteuer verstrickte Männlichkeit zur Vernunft bringen. Im Juni war „L‘Huomo“ auf den Potsdamer Musikfestspielen zu erleben (Siehe Interview mit Dorothee Oberlinger und Opern news). Für die diesjährige Sommeroper im Globe Neuss hat Dorothee Oberlinger wieder eine aufgeklärte Opernfigur entdeckt, die dem Mann den Zeigefinger vorhält. In Giovanni Alberto Ristoris „Lamenti d‘Orfeo“ wird sogar der Mythos von Orpheus auf den Kopf gestellt! (Von Sabine Weber) In Ristoris „Lamenti d‘Orfeo“ ruft weibliche Vernunft zur Raison. Orfeo muss seinen Irrtum im Globe Neuss sogar beichten… weiterlesen
„München leuchtet“ bei den Opernfestspielen – mit vielfältigem Musiktheater, „Oper für alle“, Lieder- und Arienabenden
Fünf Wochen leuchten die Münchner Opernfestspiele jedes Jahr, und traditionell findet am 31. Juli die letzte Aufführung statt. Einst bündelten Wagners „Meistersinger von Nürnberg“ an diesem Tag noch einmal alle Kräfte von Solisten, Chor und Orchester, bevor alle in die Theaterferien fahren. Denn an diesem Tag oder kurz danach beginnen stets auch die Ferien für die Schüler in Bayern. (Von Klaus Kalchschmid)
Zum Saisonende: Olivier Messiaens „François d’Assise“ als achtstündiger Erlebnistag in Stuttgart!
Wir sind heute ein bisschen heiliger geworden! Berührt, bewegt, beeindruckt von der Messiaenschen Heiligenvita, in die wir einen ganzen Tag lang in Stuttgart eingetaucht sind und die wir wie musikalische Exerzizien erlebt haben. Nachdem Michael Mayes in der Megarolle François d’Assise nach acht Stunden aus seinem Geschirr befreit wird, das ihn zuletzt mit Libellenflügel in den Bühnenhimmel gezogen hat, und er sich dem Publikum zuwendet, wird er in der ausverkauften Oper Stuttgart bejubelt und gefeiert. Die Menschen springen auf und schreien, der Chor im Hintergrund klatscht mit. Ob ihm das hilft, aus der Heiligenrolle rauszukommen? Um 14 Uhr hat sie begonnen, jetzt schlägt es 22 Uhr. (Von Sabine Weber) Zum Saisonende: Olivier Messiaens „François d’Assise“ als achtstündiger Erlebnistag in Stuttgart! weiterlesen
„Die ersten Menschen“ sind die letzten! Rudi Stephans einzige Oper erlebt in der Regie von Tobias Kratzer in Frankfurt eine grandiose Neuinterpretation
Rudi Stephans „Die ersten Menschen“ sind hier 1920 sogar aus der Taufe gehoben worden. GMD Sebastian Weigle hat sich eine Neuproduktion zum Abschied gewünscht. Solche Herausforderungen sind dem Wagner-Connaisseur Herzensangelegenheit. Wagner, Debussy, Strauss sogar Weillsche Rhythmik ist aus Stephans Amalgam-Partitur herauszuhören, die das mit 28 Jahren auf dem Schlachtfeld 1915 gebliebene Talent doch so einzigartig gegossen hat. Diese Partitur gibt dem „ekstatischen Mysterium“ Otto Borngräbers das nötige Fleisch. Den etwas gestelzten Wortflüssen Spannungsfaçon, den Konflikten die Munition, der Leidenschaft den freudianischen Trieb. Borngräber unterzieht die „ersten Menschen“ Adam, Eva, Kain und Abel einer Psychoanalyse und funktioniert die biblische Geschichte zu einem inzestuösen und erotisch aufgeladenen Drama um. Hier begehrt Kain seine Mutter und bringt den Bruder um, weil er ihn inflagranti mit seiner Mutter erwischt! (Von Sabine Weber) „Die ersten Menschen“ sind die letzten! Rudi Stephans einzige Oper erlebt in der Regie von Tobias Kratzer in Frankfurt eine grandiose Neuinterpretation weiterlesen