Große Magiershow im Zirkusrund! – „Zoroastre“ in Münster mit Haute-Contre-Star David Tricou!

Rameaus Spätwerk „Zoroastre“ war schon 1749 in Paris ein sensationelles Bühnenspektakel, was Beleuchtung nebst Feuerwerk, Bühnenmaschinerie und Kostüme anging. Am Theater Münster verordnet Regisseur Georg Schütky den Kampf der Lichtgestalt Zoroastre gegen die Mächte der Unterwelt in eine umtriebige Zirkusarena. (Von Sabine Weber)

(24. März 2024, Theater Münster, Premiere) Regisseur Lorenzo Fioroni kennt sich aus mit Rameau-Opern, wie zuletzt in Mannheim zu erleben, wo übrigens auch Bernhard Forck am Dirigierpult stand. Fioroni musste wegen Überlastung absagen. Der gebürtige Österreicher Georg Schütky durfte in Münster ans Rameau-Werk und erfindet für Rameaus Tragédie, 1756 überarbeitet überliefert, ein furios klar durchdachtes Konzept. Im Off der Garderoben und auf der Manege eines Zirkus. Und es geht schon los, bevor es anfängt. Die Artisten üben, scherzen, sitzen am Schminktisch. Eine alte Darstellerin, als Königin verkleidet, hält anlässlich des Geburtstages einer Artistin eine kurze Ansprache und verschwindet mit Knall. Alle rennen verwirrt durch die Manege und suchen mit fragenden Blicken. Das ist die Vorgeschichte der Oper, die Patriarchin von Baktrien verschwindet. Amélite muss ihre Thronansprüche verteidigen, aber ihr Priester und Geliebter Zoroastre ist verschwunden. Die Mächte des Bösen sind auf dem Vormarsch. Der Kampf des Lichts gegen die Dunkelheit ist das Programm.

Alles bekommt in diesem Tohuwabohu später doch glatt einen Sinn

Trotz gewaltigem Spektakel geht Georg Schütkys Zirkuskonzept auf und trägt in Münster Zweidreiviertelstunden. Einiges wird mit dem Aktionismus der sechs Zirkustänzer*innen oder Akrobat*innen zwar irritierend gegen den Strich gebürstet. Der erste Auftritt von Prinzessin Amélite (Robyn Allegra Parton aus dem Ensemble) beispielsweise, die sich im pinken Babydollrock mit „Reviens, c‘est l‘amour qui t‘appelle“ nach ihrem verschollenen Geliebten Zoroastre sehnt und von instrumentalen Air tendres, sanften Rondeaus und schwingende Gavotte-Tänzen, also von feinster Rameau-Musik begleitet wird. Das wird unter Führung von Tänzer Luca Völkel mit hektisch-ruckartigem Contemporary-Dance (Choreograpie: Josep Caballero Garcia) konterkariert. Camila Scholtbach bricht aus der Formation (noch dabei Benedetta D’Onofrio, Antonia Aae) an der Rampe aus, um mit einer das Weinen grimassierende Mimik Amélite zu beeinflussen. Das bekommt in diesem Tohuwabohu später noch einen Sinn.

Mit Witz, Detailfreude und Geschmack hat Katharina Gault die Kostüme gestaltet

In dieser Zirkuswelt scheint alles zunächst nur Show. Sogar eine mit Sexappeal spielende Travestieshow! Die Kostüme von Katharina Gault werden immer wieder gewechselt, ergänzt. Die Tänzer*innen tragen Hotpans über Netzstrümpfen, wobei das Team der Maske den Männern teilweise Frauengesichter aufzaubert, dass man zusammenzuckt, wenn gesungen wird. Die spanische Dame mit Mantilla outet sich als Bariton und Abramane, den Anführer der Bösen. Johan Hyunbong Choi aus dem Ensemble wirkt seiner gewichtigen Körperstatur wegen schon komisch und bewegt sich im seitwärts ausgestellten zeremoniellen Reifrock auch noch wie ein Sumoringer. Érinice (Wioletta Hebrowska) ist die Konkurrentin von Amelite. Sie verbindet sich mit Abramane im Hasskomplott gegen Zoroastre und ist ein Zirkusdirektor mit Schnurrbart. Mit Witz, Detailfreude und Geschmack hat Katharina Gault die Kostüme gestaltet. Gregor Dalal (Ensemble) und Oscar Marin-Reyes (Opernstudio), ebenfalls in Schwarz, sind erst spanische Toreros mit schwarzem Bolero über Rüschenhemd und sofort optisch dem Bösentrio mit Abramane zuzuordnen. Später tragen auch sie Röcke.

Gregor Dalal (Zopire, Vengeance), Chor und Extrachor. Foto: Martina Pipprich
Zoroastre singt den Hymnus an die Sonne und das Licht

Hier wird kräftig mit Gefühlen gespielt. So entpuppt sich Lichtpriester Zoroastre, besser bekannt als Zarathustra, in der Münsteraner Manege als ein Magier, der sich mit Amélite inszeniert und seine Gefolgschaft wie ein Guru verführt und Geld abkassiert. Wie der Fernsehprediger Prof. Joe Butcher aus dem Bondfilm Lizenz zum Töten tritt er in weißem Anzug und mit Tropfenbrille auf. Aus seinem Rollkoffer zaubert er später Nebelwolken, die sein Begleiter Oromazès (Bassist Kihoon Yoo), ebenfalls im weißen Anzug, schnell mit der Nebelmaschine dahinter produziert. Später gibt es eine Massenverheiratung unter Naturhypnose. In diesem Ritual singt Zoroastre den Hymnus an die Sonne und das Licht. Musikalisch ist das eine der schönsten Szenen. Verständlich, dass dazu eine Ohnmacht nach der anderen auf der Bühne passiert. (Siehe Titelbild: Camila Scholtbach, Antonia Aae, Benedetta D’Onofrio, David Tricou, Opernchor, Extrachor. Foto: Martina Pipprich)

David Tricou, neben Reinhoud van Mechelen einer der derzeit besten Haute-Contres

Besser als mit David Tricou, neben Reinhoud van Mechelen einer der besten Haute-Contres, kann die Rolle Zoroastres aktuell gar nicht besetzt werden. Der Franzose versteht es, höchste wie tiefe Töne klangschön in jeder Dynamik anzusteuern und in bruchlose, wohltönende, geschmeidige Linien zu fügen. Er folgt der Diktion des Textes und fügt Koloraturen elegant ein. Wenn er singt, ist die Balance mit dem Orchester, das seitlich der Bühne platziert sitzt, nie ein Problem. Johan Hyunbong Choi muss einige Male aus dem hinteren Bühnenbereich singen und klingt zu leise. Robyn Allegra Parton, trotz schönem Timbre, scheint die Partie der Amélite an einigen Stellen zu hoch. Ihr fehlt die französische Légèreté, sie presst und klingt zu laut, weil ihr die französische Sprache wohl nicht so wie das Italienische liegt. Wioletta Hebrowska überzeugt mit ungeheurer Sprachagogik und geht mit ihrem Text inhaltlich so mit, dass Wett gemacht ist, dass man den nicht versteht. Die tiefen Stimmen, fulminant Gregor Dalal, in der Rolle der Vergeltung vielleicht mit etwas zuviel Vibrato, und Oscar Maria-Reyes, spielen auch vorzüglich die Rolle der Spießgesellen.

Bernhard Forck leitet das Sinfonieorchester Münster mit Schmiss und perfekten Tempi

Bernhard Forck, Konzertmeister der Akademie für Alte Musik Berlin, leitet das Sinfonieorchester Münster mit Schmiss und perfekten Tempi. Einige Barockbögen fliegen sogar über die Saiten. Das Orchester ist historisch engagiert. Der Continuo-Cellist zieht allerdings trotz Barockbogen die Töne nur gnadenlos durch, immerhin ohne Vibrato. Da hätte man sich doch ausnahmsweise einen Spezialisten leisten dürfen. Denn das Continuospiel gehört nicht zur Routine von Orchestermusikern. Die beiden Querflötistinnen spielen auf hölzernen Klappenflöten, was dem lieblichen Klang der Traverso bei den Naturidylle beschwörenden Tänzen und Airs sehr nahe kommt. Die Sturm- oder Höllenmusiken, Windmaschinen werden gedreht, funktionieren im Tutti gewollt tumultuös. Manchmal allerdings etwas zu leise. Wurde Rameaus Musik nicht damals eher als zu „tumultuös“, also zu laut verunglimpft?

Es tanzt auch mal ein Elefant auf der Bühne

Es sind die musikalischen „Exzesse“ der Rameauschen Musik, auf die die Regie zu Recht abfährt ohne je das Spielerische zu verlieren. Auch wenn es manchmal sehr viel ist, was sich im Zirkusensemble so alles mit und gegeneinander abspielt. Aber alles in diesem wirklich genial inszenierten Tohuwabohu hat einen Sinn und fügt sich zu einem Ganzen, das nie Gefahr läuft, platt und eindimensional zu werden. Und wenn es musikalisch den plötzlichen Stimmungsumbruch vom rumpelndem Düsteren ins lichte Helle gibt, dann wird eine Szene ausgeleitet, der Blick ins Off auf etwas Neues geführt. Oder es tanzt auch mal ein Elefant auf der Bühne! Die Barockzeit liebte das Kuriose.

Erstaunlich viele junge Gesichter

Der Opernchor und Extrachor des Theaters verdient noch Erwähnung. Sie sind immer wieder eingebunden. Als die Zuschauer, oder als zartfühlende Gefährten, die Geister der Grausamkeit oder die ohnmächtig werdenden Hochzeitskandidaten – und singen und spielen dabei großartig. Zu erwähnen ist auch noch das Publikum im fast ausverkauften Theater. Erstaunlich viele junge Gesichter sind zu sehen gewesen. Und alle restlos begeistert. Generalintendantin Katharina Kost-Tolmein, die seit 2022 hier amtiert, hat ein gutes Händchen in der Repertoirewahl für ihr Haus. Uns fällt noch etwas auf: barocke Oper steht derzeit unter Showverdacht. (siehe klassikfavori, L‘amant anonyme in Essen)

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2 Gedanken zu „Große Magiershow im Zirkusrund! – „Zoroastre“ in Münster mit Haute-Contre-Star David Tricou!“

  1. Als gebürtiger Franzose fand ich am Samstag Abend das Französisch von Amélite (Robyn Allegra Parton) besonders gut. Sie hat auch für mich, neben David Tricou, die strahlendste Stimme des Abends – “gepresst” war es gar nicht und ihre Koloraturen waren unglaublich beeindruckend.

    Jedoch, als Zuhörer mit absolutem Gehör möchte ich auch darauf hinweisen, dass es schon eigenartig ist, Rameau in moderner Tonhöhe aufzuführen, im Gegensatz zu A392 (etwa einen Ganzton unter der modernen Stimmung).

    1. Danke für Ihre Bemerkung. Der hohe Stimmton ist natürlich ein Problem. Selbst zu Wagners Zeiten war er noch auf 435 Hz.

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