Wie sag’ ich’s Ihr? Joseph Bolognes „L’amant anonyme“ bekommt in Essen „Unerwartete Wendungen“!

„Schwarzer Mozart“ wurde Joseph Bologne de Saint-Georges seiner dunklen Hautfarbe wegen genannt. Sohn eines ausgedienten Musketiers und einer schwarzen Sklavin, konnte er den Geigenbogen ebenso brillant wie den Degen führen. Er hat in der französischen Nationalgarde die junge Republik verteidigt und wäre dennoch fast auf dem Schafott gelandet. Sechs Opern hat er komponiert. Eine, „L’amant anonyme“, ist komplett überliefert. Am Aalto in Essen wird diese „Comédie mêlée en deux actes“ wiederentdeckt und bekommt „Unerwartete Wendungen“: Neue Musik, ein „Seniorinnenquartett“, zwei Zuschauer, zwei „Spoken Word Artists“ und „Street-Dancers“! Es geht erstaunlich gut! (Von Sabine Weber)

(16. März 2024, Aalto-Theater Essen, Premiere) Natürlich ist die Spannung groß, wie sich das Bühnenwerk dieses 1745 in Saint-Georges in Guadeloupe geborenen, musikalischen Ausnahmetalents wohl anhört.

Die Neugier auf dieses unbekannte Werk wird in Essen erst einmal enttäuscht. Denn gleich nach der kurzen, von den Essener Philharmonikern unter Aalto-Kapellmeister Wolfram-Maria Märtig spritzig servierten Sinfonie-Ouvertüre, gibt es eine Pause. Dabei haben die zwei Flöten, Oboen, Hörner und Streicher im frühklassischen Stil (erstes und zweites Kontrastthema), mit dem Motor des Sturms und Drangs (Tonrepetionen) vorbildlich vorwärts drängend, Appetit gemacht. Ein ellenlanger Text bremst aus. Monoton vorgetragen von einer blaubehaarten „Spoken Word“-Artistin mit Nerdbrille im Gesicht, die völlig unbeweglich und breitbeinig in schwarzen Hotpans und schwarzen Knöchelboots am Mikro steht (Text und Vortrag: Jule Weber).

„Wie sagich Ihr, dass ich ich sie liebe?“

Dieser erste Monolog kreist mit redundanten Wortspielen um Liebesverweigerung. Denn Leontine (Lisa Wittig aus dem Essener Ensemble) ist schon während der Ouvertüre in elegant schwarzer Rokoko-Robe – sie ist gerade Witwe geworden – mit geschmackvoller Echthaar-Turmfrisur durch die Dreh-Labyrinth-Architektur mit Palastwänden, noch mehr Türen und Durchgängen gegeistert. Die Bühne stammt aus einer älteren Mozartopernproduktion. Nach dem Entwurf von Frank Philipp Schlössman hat sie Ivan Ivanov nachgebaut, der auch die Kostüme entworfen hat. Leontine will sich nach der unglücklichen Ehe bloß nicht mehr liieren, wird aber von einem anonymen Liebhaber mit Blumen und Briefen verfolgt. Die Komödie vom unbekannten Liebhaber nach einem Schauspiel von Stéphanie Felicité de Genlis hat eigentlich keine Handlung. Sie präsentiert Zustände, die wie Momentaufnahmen einzig um die Frage kreisen: „Wie sagich Ihr, dass ich ich sie liebe?“

Lisa Wittig (Léontine), Tobias Greenhalgh (Ophémon). Foto: Matthias Jung

Der geheime Liebhaber ist ihr Busenfreund und Vertrauter. Und zögert deshalb. In himmelblauem Gehrock und Kniebundhose mit weißer Perücke, ebenso weiß geschminktem Gesicht, quält er Freund Ophémon in Musketierstiefeln. Ihm klagt er immer wieder sein Leid. Stoff für einige Duette. (Georges Vîrban und Tobias Greenhalgh, ebenfalls aus dem Ensemble). Dann gibt es noch das Vorzeige-Paar Jeannette und Colin, die vorschriftsmäßig auf Leontines Schloss ihre Hochzeit feiern. Schafe, Büsche, Wolken und eine Baumandeutung werden wie barocke Prospekte hineingeschoben oder -getragen. Alles in grellem Pink oder Magenta. Ein Magenta-Panskopf auf Mannsgroßer Anzugpuppe hält eine Moët-Chandon-Flasche im Arm. Es stimmt alles im gespielten Rokoko-Arkadien.

Diese Neuproduktion bietet eine unterhaltsame Show

Sobald die sich eingangs eingestellten Widerstände, das Original nicht im puren Original erleben zu dürfen, abgelegt sind, entpuppt sich diese Essener Neuproduktion immer mehr als eine unterhaltsame Show. In der geht es freilich weniger um die Musik von Joseph Bologne. Auch wenn sie bis auf zwei gestrichene Tänze eigentlich komplett zu hören ist.

Da ist nämlich auch noch die feinfühlig hinzu und hinein komponierte Musik von SJ Hanke. Der ehemalige Trojahn-Schüler setzt drei Mal bruchlos an, lässt ein singendes „Seniorinnenquartett“ mit den Widerständen Leontines kommunizieren, malt filmmusikalisch Stimmungen aus, setzt tonlose Blasgeräusche wie das Schlagen der Streicherbögen auf die Instrumente ein, und liefert zum Ende ein jazzrockiges Snare-Drum-Bongo-Melodram, diesmal unter einem Text von Wortartist Jan Seglitz in Fliegerseide. Das funktioniert tadellos.

Ensemble und Streetdancer
Ensemble und Streetdancer. Foto: Matthias Jung

Auch die fünf professionellen Essener Street Dancer, die in eigenen Choreografien mit unglaublicher Eleganz, man glaubt es kaum, nicht stören, sondern beleben. Zu Menuett und Co. gibt es Waacking, Hip Hop, spektakulär wirbelnden Break Dance sowie Popping Boogaloo (so steht es im Programmheft). Letzteres wohl eine Weiterentwicklung des Moonwalks. Es fügt sich!

Das Aalto-Theater zeigt, wie von außen eingebunden wird

Die Oper muss sich erneuern und jünger werden! In diesem Aalto:Startup-Projekt, von der NRW-Förderung „Neue Wege“ , unterstützt zeigt das Aalto, wie von außen eingebunden wird. Ein Zuschauer-Duo gibt es auch noch. Die unbändig schauspielerisch begabte Christina Clark, ein Publikumsliebling in Essen, genießt mit Ensemblekollege Rainer Maria Röhl diesen Auftritt.

Lisa Wittig (Léontine), Christina Clark (Zuschauerin), Rainer Maria Röhr (Zuschauer)
Lisa Wittig (Léontine), Christina Clark (Zuschauerin), Rainer Maria Röhr (Zuschauer). Foto: Matthias Jung

Sie sitzen in der ersten Reihe, reflektieren zwei Mal lautstark über das Stück, bis sie die Bühne stürmen, um in die Handlung einzugreifen, entdecken und beschreiben wie zwei neugierige Kinder, was sie auf der Bühne entdecken: die Höhe des Bühnenturmes, die Souffleuse… Das Publikum schmunzelt mehrmals.

Zwei Regisseure!

Auch zwei Regisseure kann sich dieser Abend der Förderung wegen leisten. Es lohnt sich, denn sie verzahnen alles gekonnt. Szoáfia Geréb ist für die Opernanteile zuständig, Alvaro Schoeck für die „Unerwarteten Wendungen“, wie sie im Untertitel dieser Produktion genannt werden. Kleine Gags und Gesten stimmen, auf der Rokoko-Ebene leicht gestelzt, insofern verzeiht man auch die mit gestützter Stimme und im typisch gebrochenen Ausländerdeutsch manirierten Sänger-Dialoge, die von den Regisseuren übrigens neu geschrieben wurden. Rezitative gibt es in dieser Komödie nicht.

Das „cross-over“-Bühnenspiel permanent auf Touren. Ob das die reine Bologne-Oper vermocht hätte, für eine Privataufführung in kleinem Rahmen konzipiert, ist die Frage. Klar fragt man sich hinterher, was war denn jetzt mit Bolognes Musik? Da war die Unruhe im Herzen in rastlosen Begleitfiguren im Orchester hörbar. Ach ja. Leontine hat drei große Arien gehabt, auch mal ein Recitativo congitato, in das Hanke ja seine Musikbruchstücke eingebaut hat, und sie darf auch mal Koloraturen singen. Die Ensembles waren nicht schlecht, einmal ein Quintett. Klingen mozartisch. Aber im Zusammenhang wirkte die Musik zwischen dem vielen Text wie die Zugabe von Schauspielmusik in Nummern.

Als das Ensemble dann nach dem Verbeugen zu einer nochmals einsetzenden Tanzmusik durch den Publikumsraum winkend auszieht, ist das fast wie im Karneval. Auf einer Leinwand ist zu sehen, wie sie „happy“ durch die Saaltüren nach draußen stürmen, raus aus dem Opernhaus in ein Taxi, Leontine und Valcour, in den Bus, Jeanette und Colin, und Ophémon strebt auf eine Bar zu, die wohl stadtbekannt ist, denn das Publikum lacht laut auf. Und es gibt noch eine Foyerfeier, zu der Intendandin Merle Fahrholz ihr Publikum einlädt. Da sind sie alle wieder da, immer noch im Kostüm, und dürfen angesprochen werden. Ein Jazztrio mit dem Schlagzeuger und dem Bassisten der Essener Phiharmoniker improvisiert über Motive aus Bolognes Comedie. Ich erkenne nichts wieder. Aber die Stimmung im Aalto ist grandios.
Wir hoffen natürlich, dass Originalwerke auch mal wieder im Original zu entdecken und erleben sind. Aber wenn „cross-over“, dann bitte so gekonnt wie in Essen!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert


The reCAPTCHA verification period has expired. Please reload the page.