Archiv der Kategorie: Buchbesprechung

„Schlussvorhang”! Ein Gedenkkonzert an der Kölner Oper als Rahmen für Michael Hampes postum erschienenes Buch

20 Jahre sind fast ein Rekord. Nur Julius Hofmann hat es als Intendant an der Oper Köln (1881-1903) zwei Jahre länger ausgehalten als Michael Hampe (1975-1995). Der Schauspieler, Regisseur, Hochschullehrer und bald Mitglied des Salzburger Festspieldirektoriums sorgt an der Kölner Oper für nie dagewesenes internationales Renommee, sodass Gastspiele der Kölner Oper zu Exportschlager werden. Dafür modelt er die Gewohnheiten des Repertoirehauses ein bisschen zum En-Suite Betrieb, einem modifizierten Stagione-Betrieb, hin um, führt ein Containersystem ein, sodass bei laufender Produktion auch mal vor Ort gelagert werden kann, zudem sofort zum Gastspiel weiter reist. Und die kurz aufeinander folgenden Serien einer Produktion bringen auch noch Stars nach Köln, ein nicht zu unterschätzender Faktor. Zudem reduzieren sie all zu viel Umbau auf der Hauptbühne, die dann für einen Tag blockiert bleibt und künstlerische Unproduktivität bedeutet. Das bei einer 102 Prozentbelegung! Auch eine Idee Hampes. Wer unverhofft seine Karte nicht braucht, spendet sie, bekommt eine Spendenquittung, und der ansonsten leer gebliebene Platz wird nochmals verkauft! „Dat Hampe“, so der legendäre Kulturdezernent Kurt Hackenberg, ist für Köln eine win-win-Situation gewesen. Und natürlich ist das Kapitel über Köln das spannendste in seinem neuen Buch. Auch wenn man in denen über seine Regisseur-Vorbilder und Bühnenbildner, viel Interessantes aus der Inszenierungsgeschichte überhaupt erfährt. (Von Sabine Weber)

Herausgegeben und mit einem Nachwort von Michael Wienand
Eine Publikation des Kölner Wienand Verlags im Alexander Verlag Berlin 2022, 216 Seiten

„Herr Intendant! Rote Karte! Wat han Se denn da wieder für ne Scheiß jeplant!“, entfährt es Bühneninspektor Christian Heyden wohl mehrmals, wenn er an der Sekretärin vorbei ins Intendantenzimmer stürmt. Genau solche denkenden Mitarbeiter hat Hampe aber geschätzt und sich auch mal eine Lektion erteilen lassen. Denn immer geht es ihm um die Machbarkeit des Bestmöglichen. Für Hampe ist alles Mittel und Zweck für eine gute Aufführung!

Dirigenten und Tenöre zwischen Kanal- und Brückensanierungen

Was Hampe in seinem minutiös mit Verleger Michael Wienand geplanten und jetzt posthum erschienenen Buch „Schlussvorhang“ (Alexander Verlag Berlin) aus dem Off berichtet, ist äußerst interessant und verrät den großen Plan! Es werden unorthodoxe Geheimrezepte im Kulturbetrieb Preis gegeben, damit er besser fährt als mit preussischer Korrektheit. Zwei visionäre Drahtzieher machen es möglich. Der damalige Kulturdezernent Hackenberg und Intendant Hampe, die sich durchaus kritisch beäugt, aber immer gewusst haben, was sie aneinander hatten. „Machiavelli-Hackenberg“, so „dat Hampe“, Hackenberg, der Hampe auch nach Köln gelotst hat, umgehen elegant die „Kölner Gemeindeordnung“, weil sie nur eine Zweijahresplanung für den Opernetat zulässt, die, so Hampe, einen fünfjährigen braucht. Die Geheimformel„Mifrifri!“entfährt  Hackenberg sofort. Die „Mittelfristige Finanzplanung“ könnte den Bühnenetat übernehmen! Und der Regierungspräsident drückt auch beide Augen zu. So ist das, wenn Menschen an einem Strang ohne Selbstbezug für die Sache ziehen, vor allem mit langem Atem kommunizieren. Dass jetzt Dirigenten und Tenöre zwischen Kanal- und Brückensanierungen verbucht werden, bleibt ein Kuriosum der Kölner Bühnen, die als einzige Institution in der Welt unter Hampe mehrmals auf einen Fünfjahresetat stolz sein dürfen!

„Das geht nicht – und geht doch“

Hampes Kölner Intendanz ist in vielen Details der Erinnerung wert. Und dass die Oper Köln für die Buchvorstellung einen musikalischen Rahmen mit Ensembles aus Mozartopern liefert, die Hampe so wichtig gewesen seien, und dazwischen Gesprächsrunden mit ehemaligen und aktiven Mitgliedern des Opernensembles, ist sehr kurzweilig. Zu den persönlich geschilderten Begegnungen und spontan auch sehr emotionalen Lobeshymnen hätte man sich durchaus noch mehr schwarz-weiß Bilder seiner Hausherren-Inszenierungen gewünscht, deren wenige projiziert wurden. Und es wäre geradezu großartig gewesen, wenn jemand auch ein paar der legendären Inszenierungen beschrieben und sie damit gewürdigt hätte, um die es Hampe ja zu aller erst immer gegangen sei. Der legendär psychotische Wozzeck von Hans Neugebauer im Bühnenbild von Achim Freyer, Ponnelles Mozartzyklus, Harry Kupfers Janáček-Serie oder Hampes eigener legendärer Contes d’Hoffmann!, dem ein international gültiger Modellcharakter zugesprochen wurde, mit  Domingo in der Titelrolle und Edda Moser in allen Frauenrollen, bis auf die Muse, die Ann Muray interpretiert hat. (Carl H. Hiller erwähnt die Inszenierung in seinem Buch 400 Jahre Musiktheater in Köln) Es scheint also niemand aus der Ära Hampe angefragt worden zu sein.

Birgit Meyer über Ihre Erfahrungen mit Hampe

Daher ist der Vortrag im Rahmen dieses Buchvorstellung-Gendenkkonzerts von Birgit Meyer vielleicht der berührendste, nicht, weil sie es war, die in ihrer Intendanz Hampe für seine überhaupt letzte Inszenierung einer Zauberflöte nach Köln geholt hat, sondern weil sie Hampe im O-Ton dabei hat. Kurz vor seinem Tod im November letztes Jahr hat sie noch ein Interview mit ihm in Zürich geführt.  „Das geht nicht – und geht doch“, erklärt Hampe zu seinen wichtigsten Erfahrungen in Köln. Und auch die No-go(s) im Staatenhaus, die immer zu besonderen Chancen wurden. In seiner Intendanz in Köln hatte Hampe jedenfalls einen langen Atem und lange Zeit einen Hackenberg im Rücken. Heute wünscht man sich in allen öffentlichen Bereichen mehr dieser Visionäre…

Manchmal findet uns das Buch! In meinem Fall ein Buch über 400 Jahre Musiktheater in Köln!

Das ist die ungewöhnlichste Buchfindung in meinem Regal. Auf dem Weg zum Supermarkt, an einer Straßenecke, steht ein Karton mit Büchern. Einfach so abgestellt. Das ist in Köln inzwischen Usus. Aussortiertes wird nicht weggeworfen, sondern zum Mitnehmen rausgestellt. Meist Plunder. Die Bücher sind aber liebevoll im Karton angeordnet, scheinen zu „warten“, und ziehen meine Hand magisch an. Eins ziehe ich dann ganz heraus. Beige-zitronengelber Einband – das Bild eines engelhaft in den Himmel blickenden Ritters, umringt von nackten Damen… (Von Sabine Weber)

Carl H. Hiller, Vom Quatermarkt zum Offenbachplatz.
400 Jahre Musiktheater in Köln, Verlag J.P. Bachem, Köln 1986

Das ist der „Chevalier De Fleur“, mit dem die Kölner Oper ihre „Parsifal“-Premiere 1983 bewirbt. Das Buch erscheint drei Jahre später, 1986. Auch wenn ich mir nicht vorstellen kann, wie 400 Jahre Musiktheater – laut Titel – in Köln zusammen kommen können, nehme ich das Buch mit. Zuhause schlage ich sofort das letzte Kapitel auf, das die Kölner Intendanz Michael Hampes (letzten November in Zürich verstorben) von 1975 bis 1983 belichtet. Insgesamt 20 sensationelle Jahre bis 1995 dauert sie an. Das Buch kommt 1986 heraus. Manchmal findet uns das Buch! In meinem Fall ein Buch über 400 Jahre Musiktheater in Köln! weiterlesen

„Ich denke in Tönen“ – eine Begegnung mit Nadia Boulanger in Gesprächen

Es sollte ein Film über sie werden. Doch dann verstarb die Grande Dame des 20. Jahrhunderts, die legendäre Musik-Pädagogin Nadia Boulanger, der in Paris so viele große Komponisten und Musiker ihre Aufwartung machten. Strawinsky, Bernstein, Copland, Menuhin… Bruno Monsaingeon, Geiger, Regisseur und Filmemacher, hat sein Material und seine Einsichten kurzerhand in einem Buch aufbereitet. Bereits 1981 ist es in Frankreich herausgekommen. Jetzt sind die zum Teil als fiktive Interviews aufbereiteten Einsichten im Berenberg Verlag GmbH in einem feinen Buch herausgekommen. „Ich denke in Tönen. Gespräche mit Nadia Boulanger“. Übersetzt von Jochim Kalka. (Von Sabine Weber) „Ich denke in Tönen“ – eine Begegnung mit Nadia Boulanger in Gesprächen weiterlesen

„Parsifals Verführung” – von Laurence Dreyfus

Laurence Dreyfus, Parsifals Verführung, Faber & Faber 220 Seiten.

Warum interessieren sich Literaten für Komponisten und Musiker? Helmut Krausser für Alberto Franchetti, den Baronissimo unter den gehandelten Nachfolgern Verdis. Oder aktuell Laurence Dreyfus für den Dirigenten Hermann Levi. Dreyfus ist kein Schriftsteller, sondern ein renommierter Gambist und Musikwissenschaftler und offensichtlich nicht nur der Alten Musik verpflichtet und seinem Berliner Gamben-Ensemble Phantasm. (Von Sabine Weber) „Parsifals Verführung” – von Laurence Dreyfus weiterlesen

Melaten und Torso – ein Friedhof und ein Konzert in Köln…

Was haben die Gräber auf Melaten mit einem Sinfoniekonzert in der Philharmonie gemein? Die Gestaltung von Erinnerung und eine Kunst des vergänglichen Moments? Beides lebt und rückt nahe durch Geschichten hinter Grab , Komposition oder Komponist. In dem neuen Buch „Mein Melaten – ein persönlicher Friedhofsführer“ (Greven Verlag Köln) von der ehemaligen Dombaumeisterin Schock-Werner mit Bildern von Nina Gschlößl, geht es um Geschichten von Kölner Menschen, die auf Melaten begraben liegen. Im Programmheft zum Gürzenich-Orchester-Konzert am Abend gibt es auch Grabesstimmung. Schuberts „Unvollendete“ sei ein „Grabesgesang“. Und Anton Bruckner musste kurz vor der Vollendung seiner Neunten begraben werden. Skizzen und Papiere des fast vollendeten vierten finalen Satzes seien von Brucknerfans angeblich wie eine Leiche gefleddert und entwendet worden. Die „Neunte”, dieses Konzert, dieser Abend – endet also mit einem Adagio … (Von Sabine Weber) Melaten und Torso – ein Friedhof und ein Konzert in Köln… weiterlesen

Dem Viel- und (nicht nur) Schön-Schreiber Wolfgang Rihm zum 70. – Eine persönliche Hommage

Er ist der meistgespielte zeitgenössische Komponist und erreicht mit seinem Musiktheater nicht nur ein breites Publikum jenseits der Spezialisten für Neue Musik, die längst ihr großes N eingebüßt hat und heute so vielfältig ist wie noch nie. Rihm hat sich in den letzten Jahren immer wieder neu erfunden und erstaunt in seinen Werken für alle Gattungen mit einem ungemein weiten Spektrum inhaltlicher wie ästhetischer Art. Die soeben erschienene Biographie von Eleonore Büning erfasst das exemplarisch; ein viertägiges Festival der musica viva in München ehrte den Komponisten zu seinem 70. Geburtstag am vergangenen Sonntag, den 13. März. (Von Klaus Kalchschmid) Dem Viel- und (nicht nur) Schön-Schreiber Wolfgang Rihm zum 70. – Eine persönliche Hommage weiterlesen

Der gedichtete Himmel! Und warum diese literarische Romantikstudie in die Hände jeden Musikers und Musikinteressierten gehört!

"Der gedichtete Himmel" überschreibt der Literaturwissenschaftler Matuschek seine im C.H.Beck Verlag veröffentlichte Romantikstudier
Stefan Matuschek, Der Gedichtete Himmel, C.H.Beck, 400 Seiten mit 29 Abbildungen

Selten ist Fachliteratur so anschaulich geschrieben und so spannend zu lesen. Der Literaturwissenschaftler Stefan Matuschek wählt für seine Epochenbiografie über die Romantik auch einen unerhörten Startpunkt. Das sehnsüchtige und träumerische Klischee weist er von Anfang in seine populären Schranken. Matuschek geht es vielmehr um die in Vergessenheit geratenen Beiträge aus der Romantik zur Moderne. (Von Sabine Weber)
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Milo Rau inszeniert für Genf Mozarts “La Clemenza” und zieht Verbindungen zum Sturm aufs US amerikanische Capitol!

Als Regisseur, Filmemacher und (auch schreibender) Aktivist hat der gebürtige Schweizer Milo Rau längst einen Namen. Mit dem NTGent leitet er derzeit auch ein Theaterhaus. Und inszeniert jetzt für Genf seine erste Oper! Wolfgang Amadeus Mozarts La Clemenza di Tito. Am 19. Februar, also übermorgen, findet die online-Premiere statt. In einem Artikel, der gerade in einem Sammelband mit Texten von Milo Rau erscheint, setzt er diese Regiearbeit in Bezug zum Sturm aufs USamerikanische Capitol. Der Text in diesem Essayband wird im Verbrecher Verlag am 5. März erscheinen. Weil klassikfavori über die onlie-Premiere berichten wird, dürfen wir diesen Text mit Erlaubnis des Verlages schon einmal veröffentlichen. Hier geht es zum Artikel

Milo Rau, GRUNDSÄTZLICH UNVORBEREITET
99 Texte über Kunst und Gesellschaft
Herausgegeben von Rolf Bossart und Kaatje De Geest
Broschur, 224 Seiten, 18 €
ISBN: 978-3-95732-475-7
Erscheint am 5. März 2021 Milo Rau inszeniert für Genf Mozarts “La Clemenza” und zieht Verbindungen zum Sturm aufs US amerikanische Capitol! weiterlesen

Schlaglichter auf Musik und ihre Zeitumstände! Essays von 107 Autor*innen füllen über 1000 Seiten in zwei gewichtigen Bänden unter dem Titel “Musik und Gesellschaft”

(Musik und Gesellschaft, Bd. 1 Von den Kreuzzügen bis zur Romantik; Bd. 2 Vom Vormärz bis zur Gegenwart. Königshausen und Neumann Verlag, Würzburg 2020
ISBN 9783826067310, Gebunden, 1424 Seiten, 58,00 EUR)

Was für ein gewaltiges Oeuvre ist hier geschaffen worden! „Um Musik mal anders zu denken – oder zu verstehen“, so Frieder Reininghaus, einer der drei Herausgeber im Vorwort. Frieder Reininghaus ist mit seinem gnadenlos schwäbischen Dialekt in den Öffentlich-Rechtlichen vielen bekannt, wenn es um profunde Premierenkritiken von Opern geht. Hier jetzt ist er Essayist – er hat auch die meisten Artikel verfasst. Seine Mitherausgeberinnen sind Judith Kemp und Alexandra Ziana, musikwissenschaftlich ebenfalls ausgebildet und aktiv für Musikredaktionen von Verlagen, Theater- oder Konzerthäuser. (Von Sabine Weber) Schlaglichter auf Musik und ihre Zeitumstände! Essays von 107 Autor*innen füllen über 1000 Seiten in zwei gewichtigen Bänden unter dem Titel “Musik und Gesellschaft” weiterlesen