Im neuen Film von Matthias Glasner passiert „Sterben” auf vielen Ebenen!

„Sterben“ ist zum Schluss ein gefühlig-pathetisches Cellokonzert in einem Satz (Komponist Lorenz Dangel) und wird in der Berliner Scharoun-Philharmonie in kompletter Länge von sieben Minuten unter der Leitung von Tom Lunies alias Lars Eidinger von einem Projektorchester „uraufgeführt“. Es geht in dem neuen Film von Drehbuchbautor Matthias Glasner weniger um die Genese von Musik. Bedrückend sind die Geschichten mit den Eltern des Dirigenten, dem dementen Vater und der todkranken Mutter, dem suizidalen Komponistenfreund, die im Verlauf der drei Stunden – so lange dauert der Film – auch sterben. Auf der Berlinale ist „Sterben“ mit dem Silbernen Bären für das beste Drehbuch ausgezeichnet worden. Am 25. April läuft er in unseren Kinos an. (Von Sabine Weber)

Bernard (Robert Gwisdek).Foto Peter Hartwig

(11. März 2024, Preview Off-Broadway Köln) Dieser Film, gleich vorne weg, lebt von Lars Eidinger, beziehungsweise dem melancholischen Blick von Dirigent Tom. Dieser Tom ist für alle da. Für die Zweifelnden. Komponist Bernard ohne Nachnamen (Robert Gwisdek), der mit seinem Werk hadert, das Tom mit einem Jugendorchester probt und zur Aufführung bringen will. Für die Verlorenen. Seine Ex-Freundin Liv (Anna Bederke) bekommt ein Kind von einem anderen, will aber Tom bei der Geburt dabei haben. Tom lässt sich sogar als Zweit-Vater rekrutieren. Der Film lebt aber auch von der alkoholsüchtigen Ellen, seiner Schwester, Zahnarztgehilfin und Drama-Queen, von Lilith Stangenberg als ein Sterben in Raten großartig dargestellt. Mit ihr rutscht der Film Kapitel-weise in die Groteske ab. Beispielsweise wenn Ellen in einem Club ihren Chef (Ronald Zehrfeld) in eine Hinterkammer zerrt und ihm mit der Zange aus dem Werkzeugkasten bestialisch einen Zahn zieht, dann dessen blutigen Mund Vampir-gierig küsst. Oder sie kotzt als Philharmoniebesucherin in die Vorreihe, womit sie die Uraufführung sabotiert. Tom hat zu seiner Schwester keine Beziehung und baut auch im Verlauf des Films keine auf.

In diesem Film gibt es keine gute Beziehungen

Das ist das Problem mit diesem Film und zugleich sein Thema! Es gibt keine gute Beziehungen. Und es entwickeln sich auch keine. Dargestellt wird, was keine Beziehung sein kann. In einem Mix aneinander gereihter Episoden wird dazu einige Male übertrieben, und es werden auch Klischees serviert. Der Gutachter verweigert kaltschnäuzig Toms Mutter Lissy Lunies (Corinna Harfouch) und ihrem Mann Gerd (Hans-Uwe Bauer) die nötige Pflegestufe. Dafür ist sofort ein nachbarlicher Gutmensch zur Stelle. Dennoch landet der demente Vater schlussendlich im Altersheim in einem karg, kalt, sauberen Zimmer im Stil der Achtziger Jahre. So sehen viele deutsche Altersheimzimmer tatsächlich aus, die wohl alle in dieser Zeit gebaut wurden. Gerd Lunies liegt auf seinem Treka-Bett geistesabwesend mit offenem Mund, so, als sei ihm Morphium in der Todesagonie verabreicht worden. Tochter Ellen, die es trotz ihrer Alkohol-Eskapaden zu ihm geschafft hat, findet wieder keinen Kontakt zu ihm. Das ist ein bedrückend realer Moment, zumal der Vater sich über den Besuch von Tom zuvor noch freuen konnte. Nein, Eltern lieben nie alle Kinder gleich.

Alle sind, was sie sind. Und bleiben es
Corinna Harfouch, Lars Eidinger. Foto: Jakub Bejnarowicz

Einmal kommt man diesbezüglich Tom im Film nahe. Nach der Beerdigung seines Vaters sitzt er bei der Mutter am Kaffeetisch und will etwas über den Vater erfahren. Die Mutter verweigert sich diesbezüglich und konfrontiert den Sohn gefühllos damit, dass sie ihn nie geliebt habe, und dass es daher ok wäre, dass auch er sie nie gemocht habe. Dazu erklärt sie, ihn als Baby – vermutlich absichtlich – fallen gelassen zu haben. Ihr einziges Glück sei danach gewesen, dass er keine Behinderung davon getragen habe. Tom haut wütend in die Kuchenplatte. Aber das war’s auch schon. Denn alle sind, was sie sind. Und bleiben es.

Neue Musik?

Ellens Husten und „Kotz“-Attacken in der Philharmonie, die zum Abbruch des ersten Aufführungsversuchs von „Sterben“ führen, sind wohl der Fantasie des Regisseurs entsprungen. Auch das Dirigentenbild ist klischeebehaftet. Das Werk „Sterben“ bekommt Bernard erst fertig, als er selbst stirbt, bzw. seinen Suizid beschließt. Als würde ein Komponist erst komponieren können, wenn er das darzustellende Gefühl ausprobiere. Interessant ist im Filmverlauf übrigens, dass es in den ersten Proben noch nach Neuer Musik klingt, in der Endversion alles avantgardistisch-kantige ausgebügelt ist.

Autobiografische Bezüge des Drehbuchautors und Regisseurs Glasner

Der Film geht nie wirklich in die Tiefe. Und auch die Episoden fügen sich nicht zu einer Erkenntnis. Wie beeinflusst das elterliche Beziehungsdilemma den Dirigenten künstlerisch, was bewirkt ihr Tod? Schade, dass man auch nicht erfährt, warum Tom bei der finalen Uraufführung weint. Weil ihm „Sterben“ so gut gefällt, aber der Komponistenfreund tot ist, weil er von seinem Vater Abschied nimmt, weil die ungelebte Beziehung zur Mutter weiter schmerzen wird? Oder weil er seine Assistentin – ziemlich unrealistisch, dass sich der Dirigent eines Amateurorchesters eine Assistentin leisten kann – ihm final das eigene Kind beschert hat, also vor Glück? Trotz des kaleidoskopartigen Bilderbogens mit angeblich autobiografischen Bezügen des Drehbuchautors und Regisseurs Glasner, hallt etwas nach, das einen danach begleitet. Und natürlich Lars Eidingers melancholischer Blick…

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert


The reCAPTCHA verification period has expired. Please reload the page.