Die Kunst und der Mythos Callas! Das ultimative Buch von Arnold Jacobshagen

Sie ist die Jahrhundertkünstlerpersönlichkeit! Sie hat das Opernsingen revolutioniert wie keine vor und nach ihr. Die wunderschöne Frau mit dem Stimmtimbre, das schon Alleinstellungsmerkmalqualitäten hat, verfügte auch noch über dreieinhalb Oktaven. Und sie nimmt Opernrollen in Angriff, die Sopranistinnen schon längst nicht mehr singen. Zu schwer, zu viel Koloratur… Und dann legt sie auch noch eine Leidenschaft in die musikalische Interpretation und das Bühnenspiel, dass sie mit den Bühnenfiguren regelrecht verschmilzt. Da konnte es nicht nur um das Schön-Singen gehen. (Von Sabine Weber)

Die Originalausgabe gebunden mit Schutzumschlag hat 367 Seiten, 38 Abbildungen und kostet 25€.

Was ist nicht alles über diese Frau behauptet, erfunden und spekuliert worden, deren Karriere nur 15 Jahre währte. Biographien, Bücher und Romane arbeiten mit an der Legendenbildung. Und immer noch wird selbst von gestandenen Musikjournalisten Verschwurbeltes produziert, wenn sie sich vor der Jahrhundertdiva verneigen, die immer hin fast 50 Jahre tot ist. 1977 ist sie plötzlich und unerwartet verstorben.

Anläßlich des 100. Geburtstags der „Diva divina“ im Dezember flutet mal wieder so allerhand den Markt. Unter den Büchern ist eines ultimativ. Das von Arnold Jacobshagen im Reclam-Verlag erschienene Buch „Maria Callas. Kunst und Mythos“. Endlich nähert sich jemand dem Callas-Phänomen faktenbasiert und stellt nicht die Callas, sondern die Callas-Klischees und festgefressene Erklärungsmuster zur Diskussion. Aber vor allem rückt er als offenkundiger Opernconnaisseur ihre Kunst ins Zentrum.

Fleisch und Blut

Was sich über Maria Callas zu wissen lohnt, ist in diesem Buch zu erfahren! Zum Beispiel, dass sie alles singen konnte und dennoch nur bestimmte Rollen für sie in Frage kamen. Mozart hat sie nicht interessiert (obwohl sie die Constanze viermal aufgeführt hat). Gluck schon eher. In Italien feiert sie ihren Durchbruch am venezianischen La Fenice übrigens in der Rolle der Isolde. Und singt nebenbei Puccinis Turandot. Der Musikdirektor der florentinischen Oper scoutet für sie Rollen. Nur Titelrollen! Bellinis Norma wird zu ihrer Signatur-Rolle. Ihr umjubeltes Rollen-Debüt findet 1948 mit 25 Jahren in Florenz statt. Es folgen Donizettis Lucia di Lammermoor, Rossinis Armida. Cherubinis Medea wird ebenfalls eine ikonografische Rolle. Für Medea wird sie zum Filmstar, denn sie verkörpert Medea in einem Film von Pier Paolo Pasolini – ohne zu singen. Aber vor allem leitet Callas den „Belcanto-Turn“ ein. Diesen Begriff prägt Jacobshagen. Denn den mit Gesangsmanirismen und Belcanto-Koloraturen entstellten Heroinen gibt Callas menschliche Leidenschaft zurück. Fleisch und Blut. Anna Bolena, La Sonnambula. „Verheerend gewaltig bis zur Selbstvernichtung“ interpretiert die Callas Verdis Traviata oder Lady Macbeth. Lucchino Visconti will mit ihr inszenieren. Franco Zeffirelli liegt ihr zu Füßen und prägt die Zeitrechnung vor C und nach C – vor und nach Callas!

Ohne Norma keine Callas!

Jacobshagen beginnt mit einer gut zu lesenden Biographie, die alles Wissenswerte in Reihenfolge darstellt und auch die wichtigen Opernstationen der Frühzeit erfasst, beispielsweise ihre Debüts in Griechenland unter nationalsozialistischer Besatzung. Auch die Plattenkarriere ist dokumentiert. Alle wichtigen Aufnahmen sind benannt. Natürlich die Jahrhundertaufnahme der Tosca mit Giuseppe Di Stefano (Cavaradossi) und Tito Gobbi (Scarpia) im Exklusivertrag mit der EMI 1953. Callas gehört zu den ersten, die in Gesamtaufnahmen von Opern auf LP verewigt werden. Sie steht auf dem Zenit ihrer Kunst, als auf zwei LPs eine komplette Oper gefasst wird. Die Absatzzahlen von Callas-Scheiben erreichen selbst Caruso und Karajan nicht. Nachdem der Zenit überschritten ist und Stimmprobleme einsetzen, möglicherweise wegen einer angeborenen Dermatomyositis, nimmt Callas ein Repertoire auf, das sie nie auf der Bühne verkörpert hat. Das französische Repertoire wäre eine zweite Chance gewesen, so Jacobshagen. Aber das interessierte zu dem Zeitpunkt niemanden. Ohne Norma keine Callas!

Ein unglaubliches Pensum

Bereits im biografischen Teil entlarvt Jacobshagen unter dem Mythos vor allem die Frau, die hart und zielstrebig arbeitet und ein unglaubliches Pensum absolviert. Ihr Arbeitsethos, die wichtigen Stationen und Produktionen ihrer Opern, das erstaunlich konservative Weltbild der schönen Glamourfrau, der angehängt wurde, mal hässlich und dick gewesen zu sein. Und die widerliche Begehrlichkeit von Männern und Frauen, die sich an sie hängen, um von ihrem Mythos schon zu Lebzeiten zu profitieren.

Die faszinierende Wirkung dieser Ausnahmekünstlerin

Die zum großen Teil nach künstlerischen Gesichtspunkten nachgeordneten Kapitel vertiefen das Bild. Sie kreisen unter dem Übertitel „Kunst“ um ihr Stimmphänomen, ihre Rollen oder um Interpretationsgeschichte. Jacobshagen stellt Diven-Vergleiche mit Malibran, Colbran oder Pasta an, räumt auf mit der Konkurrenzlegende zu Tebaldi, sie waren nämlich Freunde, und er bringt Details wie das phänomenale Gedächtnis ins Gesamtbild, das es ihr erlaubt hat, Rollen in kürzester Zeit zu erlernen. Wegen ihrer Kurzsichtigkeit eine nicht zu unterschätzende Hilfe! Aber weil sie ihre Rollen noch vor dem ersten gesungenen Ton bereits mit Wucht inhaliert hatte, erwartete sie diesen Einsatz auch von ihren Mitspielern auf der Bühne. Dennoch war sie eine unglaubliche Teamplayerin und immer als erste am Set, das sie als letzte verließ. Zitate und Einschätzungen von Zeitgenossen verdeutlichen die faszinierende Wirkung dieser Ausnahmekünstlerin.

Als Glamour-Dame ist sie Arbeitsbiene geblieben

Unter dem Übertitel „Mythos“ geht es um Liebe und Verehrer, auch um die Medienwirkung und Skandale und aus welchem Holz die ersten Biografien geschnitzt sind. Die Mär vom hässlichen Entlein, das dick und hässlich sich durch Callas-Diät zum eleganten Schwan wandelt, wird relativiert. Als Glamour-Dame ist sie Arbeitsbiene geblieben und krabbelte für Visconti sogar auf allen vieren. Dennoch behauptet sie sich gegenüber der anmaßenden Männerwelt und ist schlagfertig. In ihrem bereits erwähnten konservativen Weltbild richtet sie sich gut ein und schätzt die Ruhe und das Alleinsein. Die Verbindung zu dem 27 Jahre älteren Giovanni Meneghini ist eine Liebesbeziehung gewesen. Meneghini hält ihr 12 Jahre nicht nur den Rücken frei, sondern organisiert Auftritte und Karriere. Er lebt irgendwann nur noch von ihrem Geld. Und damit hörte dann wohl die Liebe auf. Meneghini habe sich mit ihrem Geld als Millionär ausgegeben, wirft sie ihm vor. Am Karriereende verlässt sie ihn für den um einen Kopf kleineren Reeder-Millionär Aristoteles Onassis. In „Ari“ verliebt sie sich ausgerechnet auf einer Kreuzfahrt der Luxusyacht Christina, die Callas mit Meneghini auf Meneghinis Wunsch hin antritt. Onassis trägt keine Schuld am Ende ihrer Gesangslaufbahn. Der Kunstbanause bleibt den wenigen Auftritten der Callas fern. Auf die unerwartete Heirat Jacky Kennedys, die Callas brüskiert haben muss, wird nicht weiter eingegangen. Lediglich erwähnt, dass es bis auf die gemeinsamen Fahrten auf der Luxusyacht nie eine gemeinsame Lebensplanung gegeben hätte.

Unterhaltsam, faktenbasiert

Das Verdienst dieses Buches ist es, keinem Klischee zu verfallen, sondern in gut lesbarer und unterhaltsamer Sprache faktenbasiert zu erzählen und eine starke Frau darzustellen. Es werden Zahlen interpretiert. Ihre auf 41 begrenzten Bühnenrollen. Aber 92 Mal die Norma live! Sie war ein Superstar der Gesamtaufnahme. Es gibt jeweils vier Gesamtaufnahmen von Norma und Traviata. Aber eine der meistverkauften Platten ist Puccini Heroines überschrieben. Im Anhang gibt es neben einer Rollenübersicht eine Auswahldiskographie. Dass bei Belcanto-Studioproduktionen neben der Grande Vocaccia der verlässliche Tenorpartner das Problem war, führt dazu, dass es ihre wichtigen Belcanto-Opern allenfalls im Live-Mitschnitt gibt. Ihre Juilliard-Masterclasses werden ebenso erfasst wie die jüngst uraufgeführte Oper The Seven Deaths of Maria Callas eingeordnet wird. Ob der Callas-Kosmos Bestand haben wird, daran zweifelt Jacobshagen. Auch wenn Warner Music zum 100. Geburtstag immerhin die umfangreichste Box mit Callas-Aufnahmen herausgibt, die je veröffentlicht wurde. All ihre Rollen sind vertreten, auch die Juilliard-Masterclasses sind enthalten. Die Box ist etwas für wahren Fans, braucht aber Regalmeter. Sie ist eben „das letzte Märchen, die letzte Wirklichkeit, deren ein Zuhörer hofft, teilhaftig zu werden“, formulierte Ingeborg Bachmann in ihrer Hommage à Maria Callas ein Jahr nach ihrem Tod. Mit diesem Zitat endet auch Jacobshagens wirklich lesenswertes Callas-Buch!

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