Zur Saisoneröffnung in Köln: Richard Strauss „Die Frau ohne Schatten“

Nichts als Ehekrise auf einem Zauberberg, der einmal auch mächtig dampft! So hat es den Anschein in der Kölner Produktion von Richard Strauss‘ „Die Frau ohne Schatten“ in der Regie von Katharina Thoma. Das soziale Brennpunktpaar Färberin und Färber fetzt sich, die Kaiserin und der Kaiser missverstehen sich, und dann ist plötzlich Liebe überall. Und hurra! Die Kinder, die geboren werden wollen (Mädchen und Knaben der Kölner Dommusik), singen mit! Es gibt aber auch noch die Geisterwelt (Chor der Oper Köln), das Übernatürliche, den Geisterboten und die zwielichtige Amme, die etwas von einer Hexe hat. Ein Falke in extravagant stylisch rotem Outfit. Was auf dem Bühnenbildberg von Johannes Leiacker auch immer gespielt wird, das Gürzenich-Orchester schwelgt unter Marc Albrecht im Klang einer gigantischen Partitur, dass einem grad alles lieb ist. (Von Sabine Weber)

Die Geisterwelt. Irmgard Vilsmaier (Amme), Karl-Heinz Lehner (Geisterbote). Foto: Matthias Jung

(20. September 2023, Oper im Staatenhaus, Köln, zweite Aufführung) Und auch der gestelzte Text wird einfach mit Klang weichgespült. Wir setzen uns nach der ersten Pause sogar um in den ganz rechten Block. Denn rechts neben der Bühne ist das Gürzenich-Orchester aufgebaut. 100 Instrumentalisten. Die ganz hinten sind gar nicht mehr zu erkennen! So ein starkes Orchester passt normalerweise in kaum einen deutschen Orchestergraben. Das Staatenhaus in Köln machts also mal wieder möglich. Und wir lassen uns von dem Klang, den Marc Albrecht entfesselt, so richtig durchfluten, oft mit Blick aufs Orchester. Die Posaunen- Hornfront, für die Wucht der Geisterakkorde mitverantwortlich, ist sogar quasi hinter den Streichern versteckt. Zwischendrin die Kontrabässe. Vor dem Dirigenten, den wir natürlich von hinten sehen, sitzen wichtige Solisten. Konzertmeisterin Natalie Chee, und ihr Pultnachbar soliert auch mal. Tian Bonian schwelgt mal wieder unglaublich schön und weich und blitzblank sauber auf seinem Cello. Strauss hat ein kleines Cellokonzert hinein komponiert. Es ist aber genauso herrlich, in den phonstark kakophonischen Tumulten drin zu sein, die Strauss furios wie ein Unwetter im Gebirge aufbaut, um mit einem Tupfer Kitsch schnell wieder in harmonischen Fahrwasser zu beruhigen. Etwas von der Alpensinfonie ist drin. Aber hier auch noch die Glasharmonika zum Schluss! Also un petit rien mehr als das Elektra-Orchester!

Die Sängerinnen und Sänger sind auf dem weißen Terrassen-Berg (Bühne: Leiacker) links von uns aus richtig gut zu hören. Der Berg schwingt auch ein bisschen in unsere Richtung. Und wie der Beleuchter Nicol Hungsdorf und Videofilmer Georg Lendorff den Berg, der ein Felsenstück oben trägt, an und ausleuchten, mit Mustern beleben, durchfluten, sogar den Kaiser (erscheint ein bisschen preußisch bieder, aber singt sehr ordentlich: Tenor Aj Glueckert), der an den Felsen gedrückt mit Rücken zum Publikum steht, einmal durch Projektionen quasi versteinern, ist beeindruckend. Hinter dem Orchester stehen vier gewaltige Turmgerüste mit den Leuchtmitteln oben auf. Man hört also nix summen und brausen. Die Entlüfter oder Kühler stören oft nicht unerheblich die Musik.

Lise Lindstrom (Färberin), Jordan Shanahan (Färber). Foto: Matthias

Die Frauen haben die schwersten Partien, müssen oft gewaltig übers Orchester in große Höhe. Lise Lindstrom mit Prolo-Gelbhaaren und sackigen Kleidern als Färberin provoziert und reizt ihren Färbermann bis aufs Blut (Bariton Jordan Shanahan immer lyrisch und wohllautend wunderbar – er hat im Sommer Klingsor in Bayreuth gesungen). Er ist ein Langweiler und bringt es nicht (in der Handlung natürlich), verbittert die Frau, die sich ihm sexuell entzieht. Jaja, es wird alles ausgesprochen und in der Regie von Katharin Thoma auch real leibhaftig.

Giulia Montanari (Falke), Daniela Köhler (Kaiserin), Irmgard Vilsmaier (Amme). Foto: Matthias Jung

Daniela Köhler tritt in schönem Kimono mit edler Flechtfrisur als Kaiserin auf und hat zunächst ein irritierendes Flackern in der Stimme. Das verliert sich nach den ersten Phrasen. Dann flutet ihr dramatischer Sopran klar in der Höhe. Eine perfekt edel-zarte Erscheinung. Ja und dann die Amme mit Melone in schwarz, von einem Bustier gehalten und auf einen Stock gestützt. Sie gibt eine herrliche Playmakerin (Dramatischer Mezzo: Irmgard Vismaier), die durchtrieben mitmischt, einen wunderbaren Fischsuppenzauber anzettelt, und am Ende bestraft wird, weil aus Geistersicht die Chose schiefläuft. Geisterfürst Keikobad, nie zu sehen, will seine Geistertochter zurück! Die Amme, verurteilt vom Geisterboten (Karl-Heinz Lehner), wird auf einer abgetrennten Stufe des Bergrands wie auf einem Kahn von knubbeligen Geistern mitsamt ihrer Arzttasche abgeschoben. Stehend fährt sie ihrem Untergang – für immer bei den Menschen zu sein! – entgegen. Ein tolles Bild, von schwarz-düsterer Musik begleitet.

Chor der Oper Köln, Ruth Häde, Tinka Pypker, Giulia Montanari, Lise Lindstrom (Färberin), Irmgard Vilsmaier (Amme). Foto: Matthias Jung

Überraschend oft klingt der Parsifal von Sonntag an. Nicht nur in der Leitmotivik, die Strauss anwendet. Es gibt auch Blumenmädchen, die die Färberin im Auftrag der Amme zu Lustleben mit Schmuck, schönen Kleidern und Fister Nöllchen animieren. Die Erscheinung eines Jünglings ist überhaupt der Clou. Es erscheint ein wirklich schöner Statist, denkt man. Aber Tenor Bryan Lopez Gonzalez hat nicht nur eine Dressman-Figur mit Sixpacks, die er zeigt. Er kann auch noch singen, wenn auch nur zwei kurze Male. Die Versuchung der Färberin ist also echt und glaubhaft im Bild. Schließlich soll sie ja ihren Schatten, sprich ihre Fruchtbarkeit, an die Kaiserin verkaufen und dem Sklavenleben in der Ehe abschwören.

Was in diesem Stück – eigentlich ein Märchenstoff – an Paarkonflikt, Krach, Streit, vor allem Vorwürfen und Vorhaltungen seitens der Färberin gegen ihren Färber in den Raum geworfen wird, ist, bedenkt man die Entstehungszeit (1912-1918), nicht zu glauben. (Siehe das Interview mit der Regisseurin) Librettist Hugo von Hofmannsthal hat dem Komponisten wohl auf Wunsch eine Vorlage zur Vertonung von dessen eigener, bekanntlich sehr turbulenter Ehe mit der Sopranistin Pauline de Ahna geliefert. Strauss hat seine Sinfonia Domestica wie Die Frau ohne Schatten in seinen Berliner Jahren komponiert. Und in beiden Werken läuft Strauss zur Hochform auf, wenn es um die musikalische Ausdeutung einer extravagant aufmüpfigen Gefährtin geht. Vor allem der Mann kommt sanft ertragend durchwegs gut weg, und die Frau lenkt unter vielfachen Beteuerungen wieder ein.

In der Oper hat auch das hohe Märchen-Paar Probleme. Der gefühlseingeschränkte Kaiser ist das Problem, der also nicht von ungefähr so preußisch daher kommt und im Stück gleich ganz versteinern soll. Die Kaiserin wird dafür zur Allegorie der Heilenden. Die Mitleidende – wieder ein Parsifal-Moment –, die mit Menschlichkeit belohnt wird. Sie steht in einem schönen Blumenkleid mit Edelschürze auf der Bühne und verfolgt alles mit, um dem armen niedergekämpften Färber zum Trost die Füße zu waschen. Durch die Rückkehr ihres Mannes und mit Kindersegen von ganz oben belohnt, trägt sie dann Schuhe, ist zivilisiert!

Katharina Thoma schafft es hervorragend, die Geschichte zu erzählen, deren Konflikte auszuleben (schönes Bild, wenn die Färberin als Lebedame mit Schirm und Kippchen auftritt), und gleichzeitig ein Märchen seinen Lauf nehmen zu lassen. Da helfen auch die ästhetischen Kostüme von Irina Bartels mit. Der Falke ist mit der Maske und Haartolle wunderbar designt. Der Färberclan in Fliegerseide muss leider im Negativsinne dagegen halten. Bei den Kleiderstücken auf den Stufen hat man allerdings immer Angst, dass ein Solist oder die Kinder möglicherweise darauf ausrutschten.

Jordan Shanahan, Daniela Köhler, Aj Glpckert, Lise Lindstrom. DAvor Statisterie der Oper Köln. Foto: Matthias Jung

Ja, die Kinder, das ist etwas, das einem aufstoßen würde, wäre nicht die Musik so mitreißend. Das Loblied auf das Gebären (die Hausfrau!) hat einen ungesunden Unterton, weil es in der nationalsozialistischen Zeit laut angestimmt wurde. Indem Thoma Migranten-Kinder auftreten lässt, entschärft sie das Bild des engelhaften Kindes und lenkt auf das Problem der irdisch zu erlösenden Kinderschicksale.

In Köln hat die Oper mit einer gelungenen Premiere die Saison eröffnet und zudem ein nicht zu häufig zu erlebendes Werk großartig interpretiert im Angebot.

Weitere Termine: 23./ 29. September; 3./ 8. und 11. Oktober

 

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