Reduziertes Bild – Rauschende Musik. Thalheimers „Parsifal“ in Düsseldorf!

Axel Kober wird schon enthusiastisch beim ersten Antritt begrüßt. Vor jedem weiteren Aufzug des Parsifal und vor allem am Ende nach fünf Stunden. Die Düsseldorfer schätzen ihren Wagner-Dirigenten und bis Sommer 2024 noch ihr GMD. Er wird die Saison auch mit einem „Holländer“ abrunden. Dass in der euphorischen Beklatschung der Solisten für den Parsifal- und die Kundry-Interpreten vereinzelt Buhrufe auszumachen sind, ist wirklich ungehörig.

Gast Daniel Frank ist vielleicht nicht die optimale Verkörperung eines jungen strahlenden Helden. Aber in die vom Regisseur Michael Thalheimer angelegte Rollendeutung fügt er sich hervorragend ein und meistert seinen Part stimmlich sehr gut. Da habe ich schon anderes erlebt. Sara Ferede aus dem Ensemble gibt und spielt ihr Rollendebüt ebenfalls großartig. Nicht in allem makellos, aber der wirklich heiklen Momente sind wenig, und insgesamt überzeugt sie zudem durch ihr Spiel. Über die Rollenausdeutung lässt sich streiten. Das Regie-Team spaltet das Publikum. Beängstigend laut waren die Für- und Widerreaktionen, sodass man einen ausbrechenden Tumult befürchten musste. (Von Sabine Weber)
(17. September 2023, Oper am Rhein, Düsseldorf) Drei der Solisten wurden einhellig gefeiert. Michael Nagy als blutüberströmter Amfortas und Joachim Goltz, zum ersten Mal hier am Haus, als Klingsor im weinrot flatternden Gehrock (Kostüme: Michaela Barth) und noch mehr Hans-Peter König als Gurnemanz. Er ist als Gralsritter ebenfalls in weiß, blutrot beschmiert, und an Krücken erweckt er den Eindruck , er sei wirklich gehbehindert wie damals Peter Seiffert als Tristan auf einem Stuhl in Köln. Sonor, mit Fülle, ist für ihn perfekte Sprachdeutlichkeit in den Erzählungen kein Problem!

rauschende-musik-thalheimers-parsifal-in-duesseldorf. Michael Nagy (Amfortas).
Michael Nagy (Amfortas). Foto: Sandra Then

Was aus dem Graben strömt ist ebenfalls Wagner-Rausch pur. Und die Pausen, die Kober sich leistet, sind Schockstarre pur. Die, nachdem Kundry in ihrer Erzählung Parsifal im zweiten Aufzug vorführt, wie sie den Gekreuzigten verlacht hat. Das ist ihr Fluch, der die Heidin durch die Jahrhunderte geistern lässt und von dem Parsifal sie durch Taufe erlöst. Taufe und sonstiges Brimborium – der Kirchenglocken läuten viele, die verdammt echt elektronisch zugespielt werden – ist in der Regie Gott sei Dank kein Thema.

Auf Pathos und Ausgestaltung des eh im Text Erzählten verzichtet Michael Thalheimer wohlweislich. So beispielsweise auf die Gralsenthüllung, die Amfortas ja minutiös erzählt. Warum das mit Requisiten nachspielen? Da genügt Licht (Stefan Bolliger). Und Amfortas steckt in einem Schachtkreuz fest, das sich in zwei senkrechten zu einem Spalt geöffneten Wandaufbauten (Bühne: Henrik Ahr) auch in der Waagerechten öffnet. Doch nicht wie der Schicksalsergebene Gekreuzigte mit ausgebreiteten Armen zeigt sich Amfortas. Er hadert gekrümmt in der Kreuzmitte, seinen verwundeten Bauch festhaltend. Unter ihm wabert gefühllos der Ritterchor und pocht auf sein Recht.

Für Klingsors Garten werden die Mauern schwarz

Thalheimer konzentriert sich auf Spannungskonstellationen. Auch der Personen untereinander. Das funktioniert in dem nüchtern einfachen, aber sehr effektiven Bühnenbild. Es besteht nur aus grauhellen Wänden, die Seitenteile bekommen können und sich so zur Burg schließen, oder auf der Drehbühne gedreht seine hintere ganz schwarze Seite zeigt. So drehen sich Kundry, an einer Seite, und Amfortas, an der anderen stehend, um Parsifal, der am Bühnenrand sitzt und bei der Gralsenthüllung ins Publikum starrt.

Daniel Frank (Parsifal); im Hintergrund: Chor der Deutschen Oper am Rhein. Foto: Sandra Then

Beeindruckend ist die Personenregie, als Gurnemanz Parsifal Todeserfahrung vermittelt, indem er ihm klar macht, was es bedeutet, einen Schwan zu killen. „Er war uns hold, was ist er nun?“ „Was ist gut?“ bleibt ebenso unbeantwortet wie „Du siehst, Raum wird hier zur Zeit“ verstanden wird. Das ist übrigens der Moment, wo die Drehbühne sich heftig dreht. Für Klingsors Garten werden die Mauern schwarz. Die Blumenmädchen, versehrt mit merkwürdigen Beulen an Schultern und Hintern, agieren im Dunkel. Der Frauenchor steht in Linie in Schächten rechts und links der Seitenwände.

rauschende-musik-thalheimers-parsifal-in-duesseldorf. Daniel Frank (Parsifal), umgeben von Lavinia Dames, Anke Krabbe, Anna Harvey, Alexandra Yangel, Mara Guseynova und Elena Sancho Pereg (Blumenmädchen). Darüber: Chor der Deutschen Oper am Rhein.
Daniel Frank (Parsifal), umgeben von Lavinia Dames, Anke Krabbe, Anna Harvey, Alexandra Yangel, Mara Guseynova und Elena Sancho Pereg (Blumenmädchen). Darüber: Chor der Deutschen Oper am Rhein. Foto: Andreas Etter
Die Regie fordert, aber konzentriert völlig auf die Musik

Die Regie fordert, zugegeben, aber konzentriert völlig auf die Musik. Parsifal kommt übrigens zum Vorspiel im Nebel zwischen den Wänden „zur Welt“. Tastend, suchend, unsicher. Ein Antiheld in weißer Schiesser-Unterwäsche, der seine Unsicherheiten gegenüber der Welt und gegenüber den an ihn gestellten Ansprüchen zugibt. Daran muss man sich auch gewöhnen. Der Erlöser ist kein Erlöser-Typ!

Was ist der Mensch?

„Was ist der Mensch?“, lautet auch eine zentral gestellte Frage. Kundry in schwarzem Anzug sitzt den ganzen ersten Aufzug auf der Bühne und raucht cool. „Ich bin eine Migrantin und habe mit Euch nichts zu tun!“ Im Klingsor-Akt ist sie leider etwas unvorteilhaft gekleidet in schlabberig roter Hose mit ebenso schlabberndem roten Oberteil und zieht am Ende die Knarre, um ihren Zuhälter Klingsor abzuknallen, damit Parsifal es schafft. Sie wird für den Mord zur Rechenschaft gezogen, denn sie muss im letzten Aufzug stundenlang die blutbeschmierten Wände abwaschen und neu beschriften, die von den Gralsrittern zuvor bearbeitet wurden.

Diese kranke Gesellschaft kann man nicht verstehen
Daniel Frank (Parsifal), Sarah Ferede (Kundry). Foto: Andreas Etter
Daniel Frank (Parsifal), Sarah Ferede (Kundry). Foto: Andreas Etter

Parsifal kehrt, auf den Speer gestützt, wie ein Versehrter in die Gralswelt zurück. Ein Lachen malt ihm die Regie rot aufs Gesicht. Die Musik ist todtraurig. Er auch. Hier gibt es nichts zu feiern, und nichts wird besser. Dass die Gralsritter, traurig blutige Gestalten, sich auch noch wie Zombies gestört bewegen (vier Knappen und der Chor und Herren-Extrachor der Deutschen Oper am Rhein), macht den ziemlich runtergekommenen Männerclub deutlich. Hat nur das Blut Amfortas sie aus Mitgefühl überströmt oder stehen sie für die Kreuzritter und den blutigen Horror, den sie ins Heilige Land getragen haben?

Reine Toren sind sie keinesfalls. Das macht ihr Männergesangsvereins-verdächtiges Schmettern im ziemlich militanten Unisono deutlich: „wandelt (das Brot/ Gral) in Leibes Kraft und Stärke, treu bist zum Tod… Brudergetreu zu kämpfen mit seligem Mute“. Dazu setzen die im Haus im dritten Parkett verteilten Höhenchöre dann aber ätherische Kontraste, wenn auch mit heilig tropfenden, liturgisch wirkenden Versen. Spätestens nachdem das Rittergewürm abgegangen ist, hat Parsifal unsere ganze Sympathie. Diese kranke Gesellschaft kann man nicht verstehen. Auch wenn das Motiv auf „durch Mitleid wissend, der reine Tor“ rührig bis zuletzt durch die Partitur (bis zum Höhenchor der Knaben) geistert. Parsifal ist hier jedenfalls nicht der reine Tor! Sondern kämpft mit sich bis zuletzt. Der reine Tor ist Behauptung!

Die Musik ist überwältigend

Die Musik ist an diesem Abend überwältigend gut. Auch einzelne Musiker der Düsseldorfer Sinfoniker müssen erwähnt werden, die kammermusikalisch grandiose Momente liefern. Mit der Bassklarinette werden immer wieder solistisch die Gedanken einzelner weiterführt, oder mit dem Englischhorn und einem Cellosolo kommentiert. Die Blechfanfaren sind beeindruckend, auch aus dem Off hinter der Bühne. Zweimal gibt es naturhafte Stimmung, zuletzt die Frühlingsstimmung im Orchester, wenn Gurnemanz den Karfreitagszauber einleitet. An diesem Abend fallen die vielen instrumentalen Zwischenspiele geradezu auf, weil sie Raum haben.  Hier wird Musik zu Raum!

Bayreuth steht längst nicht mehr für guten Wagner

Diese Düsseldorfer Saisoneröffnung, eine Koproduktion übrigens mit Genf, verdeutlicht wieder einmal, dass längst nicht mehr nur Bayreuth für guten Wagner steht. Dieser Düsseldorfer Parsifal (weitere Termine) ist großartig. Und die Stimmung hinterher war aufgekocht bis zum letzten. Auf der Premierenfeier durften sich alle wieder langsam fangen…

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert


The reCAPTCHA verification period has expired. Please reload the page.