Halfpipe des Grauens. In Duisburg sind Macbeth und seine Lady von Anfang an Gefangene ihrer wahnhaften Machtgier!

Schwarz-grau-gedämpft ist die Einheitsbühne von Henrik Ahr. Eine riesige Hohlkehle vorne und ein Rand drumrum das Szenario, um das sich eine Wand wie aus Eisen immer wieder wie Gefängnismauern schließt. Nebel des Grauens steigen mit den Gestalten auf, die aussehen, wie aus dem Highlander-Fantasy-Film aus den 1980ern importiert. Zerzauste Haare, blanker Oberkörper unter ärmelloser Weste, ausgeblichene Schottenröcke bis zu den Knien, schwarze Hosen und Stiefel (Kostüme: Michaela Barth). Verwahrloste Gestalten also, die ein Hexenchor mit weißen langen Haaren im Griff hat. Bei Verdi die omnipräsente Verkörperung des Bösen, dem sich die Macbeths aus Machtgier ausliefern. (Von Sabine Weber)

Hrolfur Saemundsson (Macbeth), Ewa Płonka (Lady Macbeht, Chor der Oper am Rhein. Foto: Sandra Then

(15. Juni 2022, Deutsche Oper am Rhein, Duisburg. Zweite Vorstellung) Von rechts schießt das Blech seine dunkeldräuenden Salven, im Wechsel mit akkuraten Streichereinwürfen (Duisburger Philharmoniker unter Stefan Blunier). Schon in der Ouvertüre fährt das Böse seine Krallen aus, um Macbeth und seine Lady wie Puppen an die Kandare zu nehmen.

Dem Regieteam von Michael Thalheimer gelingt es, in dieser Inszenierung, die in Koproduktion mit der Vlaamse Opera 2019 Premiere hatte und jetzt in Duisburg zu sehen ist, die zwischenmenschlichen Dramen und auch brüchige Charaktere erfahrbar zu machen. Verdi ist es in seiner Opernverarbeitung der Shakespearschen Vorlage auch darum gegangen. Kein einziger Mord, den Macbeth und seine gedungenen Mörder begehen, ist zu sehen, dafür Menschen in vielschichtigen, emotional-verbalen Auseinandersetzungen, die wie im Reagenzglas miteinander reagieren.

Hrolfur Saemndsson (Macbeth), Bogdan Talos (Banco). Foto: Sandra Then

Macbeth und Banco setzen sich beispielsweise in ihrem ersten Duettino 1. Akt jeweils anders mit der nächtlichen Verheißung einer Königskrone, für Macbeth, und eines gekrönten Nachfahren, für Banco, auseinander. Banco misstraut den Geistern, und Bogdan Talos, mit schwarzem voluminösem Bass, stimmlich und körperlich standfest, sticht mit seinem Schwert gegen die gefährlichen Geister ein. Dagegen reagiert Macbeth zögerlich. Der isländische Sänger Hrolfur Saemundsson zittert, wankt, und macht auch stimmlich „sotto voce“ – wie Verdi es verlangt – also deutlich gesprochen – klar, dass er das Format für die Königskrone eigentlich gar nicht hat. Und doch giert er danach. In Thalheimers Inszenierung taucht in diesem Moment die stumme Begleiterin der Macbeths auf, eine Solo-Hexe (Annette Hörle), die dem hilflosen, fast mitleiderregenden Macbeth das Messer reicht.

Ewa Płonka (Lady Macbeth). Foto: Sandra Then

Die Partie der Lady Macbeth steht bei Verdi ganz klar im Zentrum. „Madonna mia“ begrüßt Macbeth sie durchaus bewundernd. Die polnische Sopranistin Ewa Płonka ist auch eine beeindruckende kompakte dämonisch-schwarze Gestalt. Sozusagen Energielieferant des Grauens, hängt natürlich auch am Tropf der Hexen und zittert schon einmal wie ferngesteuert. Mit weiß geschminkten Augenliedern, die geschlossen wie Geisteraugen wirken, treibt sie sich und Macbeth mit stahlklaren, auch in der Höhe kraftvollen Tönen, in die Todesspirale des Mordens. Sie ist aber alles andere als eindimensional. Sie bringt auch mal Zweifel mit oder Selbsterklärungen an. „Es sei doch nötig!“, wiederholt sie die Self-fulfilling-Prophecy. Den Toten läge doch nichts am Regieren, erklärt sie dann. Ihnen also – jetzt zynisch – ein Requiem – die Musik steht still in lang gezogenen Tönen. Und dann feiert sie ihre Machtgeilheit, die sie später in den Wahnsinn treibt. Als Puppe sitzt sie dann mit weit gespreizten Beinen wie aufs Sofa gesetzt. Ihre leeren Augen starren in Richtung Publikum.

Ovidiu Purcel (Macduff), David Fischer (Malcom). Foto: Sandra Then

Blut ist die einzige leuchtende Farbe das Abends, die in diesem Dunkel an den Armen und Händen der Macbeths leuchtet. Ein einziges Mal leuchtet sogar die gesamt Szene rot im letzten Akt kurz vor dem Showdown auf, bis es dann auf der Brust von Macbeth von seinem gewaltvollen Tod kündet. MacDuff tötet Macbeth und das Blut spritzt bei diesem einzigen auf der Bühne sichtbaren Mord dann sichtbar. Der Chor feiert die Tat. Aber MacDuff steht stumm, wie paralysiert da. Ein blutiger Mord kann kein Triumph sein.

Nach den zweieinhalb Stunden fragt man sich, wie es die Darsteller auf den wenigen Tritten in die Halfpipe des Grauens überhaupt hinein und immer wieder hinauf geschafft haben.
In der großen Geisterszene des dritten Aktes müssen sogar die toten Wiedergänger in einer Prozession im Kreis runter und hoch! In diesem kargen Gefängnis, das einmal auch von den Hexen gestürmt wird, gelingt aber alles, auch ein Bankett, mit Luftschlangen und Silberkonfetti.

Es wird in Duisburg nicht nur packend gespielt, sondern auch ausnahmslos hervorragend gesungen. Das Solistenensemble überrascht sogar einmal mit einem Gebet a cappella „O gran Dio“. Verdis Musik ist bis auf die Salven des Bösen überhaupt sehr kammermusikalisch, oftmals abgedunkelt, wird aber von Stefan Blunier auch in den überraschend tänzerischen, ja fast beschwingten Momenten ausgekostet. Die Erscheinung des toten Bancos erinnert an diesem Abend mit ihren Begleitrhythmen an den steinernen Gast, den Mozart auftreten lässt.

Auch wenn ein gut besuchtes Haus anders aussieht, gibt es am Ende nicht enden wollende stehende Ovationen in Duisburg. Begeisterung vor allem für Ewa Płonka, die trotz eines Asthma-Anfalls vor der Pause den zweiten Teil ohne Abstriche durchgehalten hat. Für Hrolfur Saemundsson, der in der großen Geisterszene im 3. Akt über sich hinauswächst. Alle anderen aus dem Ensemble des Abends müssten genannt werden. Warum Macht vor allem von denen gewollt ist, die wie die Macbeths sie völlig visionslos letztendlich nicht ausfüllen können, fragt man sich noch geraume Zeit danach. Dieser Shakespeare-Verdi ist durchaus politisch aktuell. Also nicht nur wegen der grandiosen Inszenierung und der großartigen musikalischen Gesamtleistung eine Reise wert. Absolut empfehlenswert!


Die weiteren Termine:

Eine detaillierte Übersicht (und weitere Informationen) finden Sie auf der Website der Deutschen Oper am Rhein.

Hier nur der Überblick.
In der Deutschen Oper am Rhein Duisburg:
18.06. 2022
24.06. 2022
24.06. 2022

In der kommenden Saison wird die Inszenierung in der Deutschen Oper am Rhein Düsseldorf aufgeführt:
04.09. 2022
08.09. 2022
11.09. 2022
14.09. 2022
16.09. 2022
18.09. 2022

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