„Parsifals Verführung” – von Laurence Dreyfus

Laurence Dreyfus, Parsifals Verführung, Faber & Faber 220 Seiten.

Warum interessieren sich Literaten für Komponisten und Musiker? Helmut Krausser für Alberto Franchetti, den Baronissimo unter den gehandelten Nachfolgern Verdis. Oder aktuell Laurence Dreyfus für den Dirigenten Hermann Levi. Dreyfus ist kein Schriftsteller, sondern ein renommierter Gambist und Musikwissenschaftler und offensichtlich nicht nur der Alten Musik verpflichtet und seinem Berliner Gamben-Ensemble Phantasm. (Von Sabine Weber)

Der jüdische Name Dreyfus steht bekanntlich für einen der ersten großen politisch relevanten Antisemitismus-Skandale in Frankreich. (Robert Harris hat übrigens die Dreyfus-Affäre literarisch verarbeitet).

Hermann Levi als Königlicher Hofkapellmeister in München. Holzstich 1875. Wiki Commons

Jetzt schreibt ein Dreyfus über den jüdischen Dirigenten Levi und die Umstände der von ihm auf dem Grünen Hügel geleiteten Uraufführung des Parsifals. Levi war Widerständen ausgesetzt. In einer virulent antisemitischen Stimmung sich für das Mysterien-schwangere christliche Bekenntnis Wagners einzusetzen, zumal Wagner keineswegs davor zurück geschreckt ist, Levi persönlich als Juden zu verunglimpfen. Dennoch lässt sich Levi von der Musik verführen. Außerdem setzt sich Wagner für Levis Dirigat bei der Uraufführung des Parsifals kompromisslos ein. Mehr Doppelbindung geht nicht.

Laurence Dreyfus zeichnet die Komplexität dieser Widersprüche und Zerreißprobe subtil nach. Er lässt uns Anteil nehmen an Gedankengängen, Motivationen, Auseinandersetzungen. Es geht um Kunstverständnis, Religionszugehörigkeit, Bewunderung und Bekenntnisse zu Musikauffassungen. Gleich am Anfang präsentiert Dreyfus die Anekdote von Levis Vater, einem Rabbiner in Bayreuth, bei dem Richard Wagner aufläuft, um von ihm die Gaslaternen der Synagoge für das Festkonzert zur Gründung seines Festspielhauses im Markgräflichen Theater zu leihen. Wagners antisemitische Schmähschrift war da nicht nur längst veröffentlicht, sondern hatte gerade eine Neuauflage erfahren, was der Rabbi wusste. Eine Genugtuung für ihn, den Antisemiten als Bittsteller zu erleben. Die Stärke dieses Romans liegt in den persönlichen Begegnungen und Auseinandersetzungen. Es wird Platz genommen an Wagners Tafel in Wahnfried. Immer wieder ist es die Musik, die Kompromisse verlangt, Religionsfanatismus an die Seite drängt, und wenigstens kurzzeitig Vorurteile entkräftet. Auch in der Beziehung zwischen Brahms und Levi geht es um Ideologien, letztendlich um die Neudeutsche Schule und Brahms versus Levi, der zu Wagner hält. Dreyfus nuanciert den homoerotischen Anteil in der Brahms-Levi-Beziehung, die aber nicht daran zerbricht, sondern an den gegensätzlichen musikalischen Lagern. Die Aufführung des Bühnenweihfestspiel Parsifal ist Kulminationspunkt, aber längst nicht das spannendsten Ereignis in diesem Roman, der immer wieder in zurückliegende  Jahre zurückspringt, um nötige Zeichen zum Verständnis aufzufinden und letztlich viel über die Persona Hermann Levi erzählt. Geschrieben auf hohem Sprachniveau, das auch durch die Übersetzung aus den Englischen von Wolfgang Schlüter nichts einbüßt,  wird ein epochaler Moment neu erlebbar. Selbst wenn der Roman kein „Wagner-Roman“ ist, wie er beworben wird, so liefert er eine bemerkenswerte Studie zu des Meisters letztem Bühnenwerk aus emotional ungewohnt jüdischem Blickwinkel!

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