Bonn weiter auf Pionierkurs! „Asrael” von Alberto Franchetti überzeugt mit einer dicht gearbeiteten farbigen Partitur!

Komponieren und instrumentieren konnte der „Baronissimo“ Alberto Franchetti, Sohn einer dazumal reichen Familie, von ihr auch gefördert und unterstützt. Er studiert unter anderem in München bei Rheinberger und in Dresden bei Draeseke, von denen er die wagnerischen Weihen erhält. Mit 27 Jahren wird sein Opernerstling „Asrael” am Teatro Reggio Emilia 1888 gefeiert und sofort an anderen Häusern nachgespielt. Die deutsche Erstaufführung findet zwei Jahre später in Hamburg statt. Die Handlung ist symbolistisch-katholisches Erlösungsdrama. Ein Engel namens Asrael fällt im Kampf gegen Luzifer in die Hand der Höllenkämpfer, landet in der Hölle (Vorgeschichte), bekommt aber Landurlaub (hier beginnt die Handlung), wird auf der Erde versucht, dann aber von seiner himmlischen Geliebten gesucht, gefunden und erlöst. Regisseur Christopher Alden übersetzt den Plot (Libretto von Ferdinando Fontana) in ein plausibles Familien-Szenario, in der Gott als Kriegsrasselnder Vater mit Gewehr in der Hand drangsaliert und drillt, im Keller den Pickelhelm aufsetzt, zum Teufel wird und Krieg spielt, bis er altersschwach im Rollstuhl sitzt. (Von Sabine Weber)

(17. Oktober 2022, Oper Bonn) Die Klänge bei großbesetzter Orchester- und Chorbeteiligung entwickeln sofort psychosomatische Sogwirkung. Drama, Lieblichkeit, Sehnsucht, Liebe, dazu Motive, Blechfanfaren, Trompetenspieler auf der Bühne und Trompetenensembles vom Balkon rechte Seite über dem Parkett blasen ihre Salven. Die Trompeten blasen schon zum Einlass ihre aus Oktaven, Quinten und wenigen Tonschritten bestehenden Fanfaren. Dann auch in der Pause, um das Publikum hineinzubitten. Sie bekommen Applaus. Alles bedeutungsschwanger wie in einer Wagner-Oper, dennoch nicht so schwer, obwohl es mit Orgel im Orchestergraben (Peter Dicke) viele heilige Betszenen gibt. Der Chor besetzt die hinteren oberen Ränge links. Gibt Kommentare, ist Dialogpartner, nährt heilige Hoffnung mit geistlichen Gesängen auf lateinischen Text. Es gibt aber auch den mittelalterlich angehauchten Balladenerzählton. Das Orchester liefert zudem teuflisch martialische Musik. Und einzelne Instrumente wie die Bassklarinette liefern unbegleitete Motive, die sich wie ein Achtungsfinger aus dem Graben erheben.

Das Bonner Beethoven-Orchester öffnet eine Wundertüte

Die Orchesterpartitur ist von der ersten bis zur letzten Minute eine Wundertüte. Warum haben wir diese Oper noch nie irgendwo aufgeführt erlebt? Aber das ist das Schicksal von vielen vergessenen Opern, über die die Zeit hinwegschreitet und die zu entdecken sich die Bonner Oper seit Jahren beharrlich auf die Fahnen geschrieben hat. Franchetti fällt als Jude natürlich auch der antisemtisch-rassistischen Ausblendung anheim.

In dieser Oper ist das Ensemble überschaubar
Pavel Kudinov (Il Padre). Foto: Thilo Beu

In dieser Oper ist das Ensemble mit fünf Sängern überschaubar. Pavel Kudinov aus dem Ensemble gibt Gott, den Teufel und zu der Balladenerzählung den König von Brabant mit Bass-starker Überzeugung und wenn nötig dämonischem Spieltrieb. Der englische Tenor Peter Auty hat gegen das Orchester zu kämpfen, ist in der Titelpartie aber auch spielerisch leider nicht immer überzeugend. Svetlana Kasyan als Nefta ist die himmlische Geliebte Asraels und zum Verlieben schön. Sie errettet auch als Schwester Clotilde schlussendlich den zum Dämon gewordenen Engel. Mit einem Wahnsinnsorgan ausgestattet, legt sie aber – ach wie Schade – keinen großen Wert darauf, Kantilenen zu singen, sondern röhrt lieber Töne.

Die Balladenerzählung: Pavel Kudinov (König von Brabant), Peter Auty (Asrael), Tamara Gura (Lidoria), Khatuna Mikaberidze (Loretta). Foto: Thilo Beu
Weibliche Herausforderungen Asraels

Dagegen ist Khatuna Mikaberidzes Mezzostimme, eine der beiden irdischen Geliebten von Asrael, beweglich geschmeidig, lässt einmal einen fortissimo-Ton ganz elegant ins pianissimo gleiten, gibt sich aber nicht verführerisch, wie das ihre Rolle als Zigeunerin nahelegen würde. In dieser Inszenierung ist sie auch mehr eine malende Künstlerin. Das Orchester verrät mit spanischer Habanera-Verve und einmal Kastagnettengeklapper, dass sie mit der femme fatale Carmen verwandt sein soll. Sie hat im dritten Akt eine große Arie, die sie mit Bravur absolviert. Tamara Guras Mezzo, sie ist die zweite weibliche Herausforderung Asraels in einer Balladenepisode, überzeugt mit rund-weichem Timbre. Da vergisst man gern und schnell, dass sie einige Male zu leise ist.

Hermes Helfricht zelebriert großartig

Diese Kritikpunkte können die Begeisterung für diese Aufführung nicht wirklich schmälern. Das hat unbedingt mit der Regie und vor allem mit der unglaublichen Partitur zu tun, die das Bonner Beethoven-Orchester mit klanglicher Macht und aller kammermusikalischen Feinheit unter dem jungen Generalmusikdirektor Hermes Helfricht großartig zelebriert. Die Oper ist durchkomponiert, und es gibt viele rauschhafte, rein instrumentale Intermezzi und Zwischenspiele. Die Klänge sind zweifellos Wagner-geschwängert. Aus dem Parsifal, Tristan oder dem Schlafzauber der Walküre finden sich Spuren. Es gibt eine nächtliche tristaneske Rauschszene, wenn Nefta und Asrael sich als Liebende wiedererkennen, mit einem Ave Maria Grazia plena vom Chor geheiligt.

Eine katholische Fin-du-siècle-Musik

Diese Musik ist irgendwie etwas ganz eigenes, ist auch mit Kitsch aufwartende katholische Fin-du-siècle-Musik, der, um sie richtig zu ermessen, gern weitere Franchetti-Erfahrungen hinzugefügt werden würden. Noch zwei weitere Opern hat Franchetti nämlich vollendet (Cristoforo Colombo 1892, und Germania 1902). Zudem kurioser Weise eine Schwarzwald-Sinfonie unter dem Titel Nella Foresta Nera.

Die Akte Franchetti ist geöffnet
Pavel Kudinov (Il Padre), Peter Auty (Asrael), Svetlana Kasyan (Nefta). Foto: Thilo Beu

Die Akte Franchetti ist in Bonn geöffnet worden. Wo zudem das für heutige Verhältnisse möglicherweise leicht befremdliche katholische Erlösungsdrama von Regisseur Christopher Alden mit einem aktualisierten Szenario verknüpft und sich in einem Einheitsbühnenraum (Charles Edwards) großartig fügt. Zum Vorspiel beispielsweise sind die himmlischen Verhältnisse im Wohnzimmer einer gutbürgerlichen Familie möglicherweise kurz vor dem 1. Weltkrieg zu erleben. Die Wände heben sich, und ein angedeutetes Kellergemäuer wird zur Kriegshölle, in der der Vater seinen Sohn gnadenlos an die Front treibt. Statistensoldaten sind präzise auf die Musik choreografiert (Tim Claydon). Zum Schluss ist das Krankenbett, in dem zunächst der kranke Dämon Asrael liegt, die Endstation für Gott-Luzifer-Vater. Denn die Dämonie wird durch Liebe geheilt, nicht aber das Despotentum. Die Musik hebt das Liebespaar an der Rampe in der Schlussapotheose zurück in den Himmel.

Ein Gedanke zu „Bonn weiter auf Pionierkurs! „Asrael” von Alberto Franchetti überzeugt mit einer dicht gearbeiteten farbigen Partitur!“

  1. Sehr schöne Kritik dieser zu unrecht vergessenen Oper. Allerdings eine kleine Korrektur: Franchetti hat noch mehr Opern als Germania fertiggestellt, von welchen bei 3 jedoch die Partitur verloren ist (vorhanden sind sie in gedruckten Klavierauszügen). Fior d‘Alpe und Don Buonaparte sind aber vollständig erhalten.

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