„Rosenkavalier“ und „Frau ohne Schatten“ im Strauss-Hofmannstahl-Wochenend-Doppel. Ein Vergleich!

Bühne Rosenkavalier in der Felsenreitschule. Foto: Anna-Maria Löffelberger
Bühne Frau ohne Schatten am Nürnberger Staatstheater. Foto: Pedro Malinowski

Die beiden ersten eigenständigen Gemeinschaftsarbeiten von Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss, „Der Rosenkavalier“ (1911) und „Die Frau ohne Schatten“ (1919), an einem Wochenende in Premieren an mittleren Häusern zu erleben, das bedeutet, zwei der anspruchsvollsten und in jeder Hinsicht umfangreichsten Opern von Dichter und Komponist unmittelbar vergleichen zu können. Was kann ein Haus wie das Salzburger Landestheater oder das Staatstheater Nürnberg leisten? Wie bewältigen das die Orchester? Wie kommen die Sänger:innen damit klar; wie die Bühnentechnik? (Von Klaus Kalchschmid)

Bühne und Regie

(Premieren 1. Oktober 2022, Felsenreitschule Salzburg; 2. Oktober 2022, Staatstheater Nürnberg) Was Regie und Bühne angeht, hat Österreich die Nase vorn, denn Roland Schwab gelingt in der Felsenreitschule ein Juwel an hintersinniger Komik mit dem genial verrückten Einfall, die „Sphaera“, jene tonnenschwere vergoldete Kugel aus Kunststoff von Stephan Balkenhol auf dem Kapitelplatz neben dem Dom, von seinem Bühnenbildner Piero Vinciguerra in dreifacher, unterschiedlicher Größe nachbauen zu lassen für seine Inszenierung einer „Kosmischen Komödie“. Vor den berühmten Arkaden, in denen diesmal Sterne leuchten, muten sie an wie Planeten oder Globen, vor allem wenn an zentralen Stellen kaum wahrnehmbare Schatten von Kontinenten über sie huschen.

Birger Radde, Martin Summer, Elizabeth Sutphen und Victoria Leshkevich. Foto: Anna-Maria Löffelberger

Im zweiten Akt drehen sie sich und geben Vulva-förmige Boudoirs in rotem Samt frei; im dritten dienen sie hinter roten Vorhängen dem Auftritt des Mummenschanzes, mit dem Ochs verwirrt werden soll, hier hermaphroditische Faune mit hornförmigen Phalli, aber dem goldenen Brustpanzer einer Frau! Auf der enorm breiten Bühne liegen weitere zwei Dutzend kleinere Kugeln, die sich auch mal als elastische Gymnastikbälle verwenden lassen. Auf ihnen beobachten Kammerzofen verzückt hüpfend und wippend das Geschehen im zweiten Akt, nachdem sie zuvor bei der Rosenüberreichung Octavians im strahlend weiß leuchtenden Kostüm aus lauter kleinen Lämpchen allesamt in Ohnmacht gefallen sind. Im ersten Akt sind es spiegelbildlich sieben Kammerherren, die lustvoll angewidert und von Schwab herrlich slapstickhaft inszeniert, dem Treiben des sexsüchtigen Barons Ochs von Lerchenau zuhören und zuschauen müssen. Das hat bei aller Abstraktion ein großes sinnliches Potential.

In Nürnberg setzt man dagegen auf Abstraktion und Nüchternheit. Die (Dreh-)Bühne von Johannes Schütz ist ein riesiges Mobile, an dem auf der einen Seite eine weiße Leinwand aufgehängt ist, auf der anderen Seite ein Kasten mit zwei Räumen für die Färber-Familie, dazwischen ein Wohnwagen, der anfangs als Refugium der Kaiserin diente, und Tische. Dahinter ist immer wieder die Brandmauer zu sehen, an der oft die Protagonisten, die gerade nicht auf der Bühne gebraucht werden, und der Kinderchor sitzen. Er ist in Anzug und Krawatte ganz männlich gekleidet und springt immer mal auf die Bühne, auch wenn er laut Partitur auf dem Off singen soll. Wie auch der Falke leibhaftig auftritt, aber optisch gleichzeitig ein beliebiger Papp-Kamerad in Überlebensgröße bleibt. Erst am Ende hat Regisseur – und Intendant – Jens Daniel Herzog einen schönen Einfall, der das überbordende Pathos des Finales mit Leichtigkeit unterläuft. Die weiße Leinwand aus Papier, auf der gerade noch nacheinander die Schatten von Färberin und Kaiserin trennscharf leuchteten, durchbrechen die Kinder wie eine Fruchtblase und spielen geräuschvoll ausgelassen mit dem Papier, decken gar ihre „Eltern“ damit zu.

Die Sängerinnen und Sänger

Gesungen wird in Salzburg wie Nürnberg durchaus ansprechend, auch in den kleineren Partien: Magdalena Anna Hofmann ist eine kühl kontrollierte Marschallin bis es aus ihr nach dem polternder Auftritt des Ochs (Martin Summer ist ein Prachtprackl mit beeindruckendem Bassformat, besoffen von seiner Männlichkeit und ab seiner Werbung für Sophie mit seinem mächtigen nackten Oberkörper durchaus eine Provokation!) herausbricht: „Da geht er hin, der aufgeblas‘ne, schlechte Kerl“. Im folgenden großen Monolog lässt sie dann in Stimme und Spiel auch tiefes Gefühl zu. Ganz anders der 17-jährige „Vetter Taferl“, also Oktavian, den Sophie Harmsen mit schönem, klangvollen Mezzo und großer Spielfreude ausstattet. Elizabeth Sutphen ist die jüngere Ausgabe der Marschallin mit ebenfalls eher kühlem lyrischem Sopran. Birger Radde gibt als Faninal mit großartigem Charakterbariton einen gefährlich neureichen Mann, der dem Ochs in seinem absurden Standesdünkel kaum nachsteht.

Auch in Nürnberg wird teilweise hervorragend gesungen, aber leider über Kreuz: Dem exzellenten Kaiser (mit wunderbar bronzen leuchtendem jungheldischen Tadeusz Szlenkiersteht eine bemerkenswerte Färberin gegenüber ebenfalls mit schönem, intensivem Timbreund Spiel: Manuela Uhl. Barak, der Färber, bleibt in Gestalt von Thomas mit einem soliden, aber wenig farbenreichen Bariton etwas blass, während die Kaiserin von Agneszka Hauzer (eingesprungen für Ilia Papandeou) mit ebenfalls etwas einförmig metallische Tönen nicht ganz überzeugt. Lioba Braun, hier vor zehn Jahren eine großartige Isolde, erweist sich in der Partie der Amme noch einmal als sehr präsente Singschauspielerin.

Die Orchester

Das Mozarteumorchester spielte in Salzburg den Rosenkavalier unter Leslie Suganandarajah mit schöner, plastischer Durchsichtigkeit und spannungsgeladenem Fluss, ohne im üppigen Glanz der Partitur allzu sehr zu schwelgen. Das Grelle, oft auch Dissonante des dritten Akts wird dagegen großartig ausgestellt bis mit dem Terzett und dem Schlussduett noch einmal das Strauss’sche Melos aufblühen darf und ein letztes Mal der kleine Mohamed als goldenes Marsmännchen auftritt und den Running Gag eines Tisches mit zwei angeschraubten Stühlen, die in immer neuer Rotation gezeigt werden, nochmals auf die Spitze treibt.

Das eigentliche Ereignis des Abends tönt in Nürnberg bei der Frau ohne Schatten aus dem Graben: Was Joana Mallwitz mit der Staatsphilharmonie Nürnberg an Farben und Effekten erarbeitet hat, ist wahrlich staunenswert. Ob großer Streicherglanz, auch in den Soli, oder mächtige Blechbläser-Grundierung für die Geister-Welt Keikobads, des Vaters der Kaiserin: das eher seltene Leise wie das überbordend Laute in der ambitioniertesten und üppigsten Opern-Partitur von Richard Strauss gelangen gleichermaßen gut.

Fazit

Nach dem Doppelabend an aufeinanderfolgenden Tagen ist klar: Der Rosenkavalier ist die weitaus theatralischere Oper, besitzt das bessere Libretto, könnte gar als Schauspiel aufgeführt werden. Konzertant kann man sich die „Komödie für Musik“ kaum vorstellen, Die Frau ohne Schatten schon. Und wer die tiefenpsychologische Schicht und das Poetische der Oper wirklich verstehen und in wunderbarer Sprache genießen will, der lese das parallel zur Entstehung der Oper (1912-1919) Prosa-Märchen Hugo von Hofmannsthal!

Weitere Termine – „Der Rosenkavalier“ (Salzburg): 7./9./11./21./23./25. Oktober; „Frau ohne Schatten“ (Nürnberg): 23./30. Oktober, 1./5./27. November, 4./10. Dezember

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