Richard Strauss verglich Giacomo Puccinis Werk „mit einer delikaten Weißwurst“, die schnell verzehrt werden müsse. Im Gegensatz zu der „kompakt gearbeiteten Salami“ – seine Werke –, die eben doch ein bisschen länger vorhalten würden. Bezüglich des Verfallsdatums hat sich Strauss bei Puccini aus heutiger Sicht eindeutig verschätzt. In den drei Einaktern von 1919, seinem vorletzten Opernprojekt, verfolgte er sogar einen neuen novellistischen Ansatz. Dies anzuerkennen muss man freilich den Puccininischen Wohllaut ertragen können, diese unvergleichliche Mischung aus Sentiment und Pathos. Die Regie von Roland Schwab am Essener Aalto-Theater versucht modern gedacht eine traumatische Spur zu legen. (Von Sabine Weber)
Il Tabarro spielt in der Gegenwart, Suor Angelica im 17., Gianni Schicchi im 13. Jahrhundert. Inhaltlich haben die drei Einakter keine Verbindung. Der Begriff Trittico kommt auch nicht von Puccini, sondern, so wird vermutet, vom Verleger Ricordi. Regisseur Roland Schwab findet für seine aktuelle Regie am Aalto-Theater dennoch Verbindungen. Der traumatisierende Tod eines Kindes ist bei Michele und Giorgetta im Tabarro die eigentliche Ursache der gescheiterten Beziehung. „Erinnerst Du Dich daran, als wir unser Kind gewiegt haben…“, singt Michele und will verzweifelt die Liebe in Giorgetta wieder anregen. In Suor Angelica stirbt der durch einen Fehltritt gezeugte und ihr weg genommene Sohn von Schwester Angelica. Sie ist aus Gründen der Familienehre in ein Kloster abgeschoben worden. Die Nachricht vom Kindstod nimmt Suor Angelica jeglichen Lebensmut, sie verübt Selbstmord. Zuletzt ist es der Tod des reichen Familienoberhauptes Buoso Donati, der Gianni Schicchi auf den Plan ruft, ein Testamentbetrüger, der mit der Habgier der Hinterbliebenen abrechnet. Auch hier schlägt das Schicksal zu und alles läuft schief, nur diesmal herrlich komisch.
Das Bühnenbild von Piero Vinciguerra, Partner Roland Schwabs in vorangegangenen Essener Inszenierungen von Verdis Othello, zuletzt I Pagliacci, besteht zunächst aus einer die Bühne bedeckenden Wasserfläche. Sinnbild für die Gefühlswelt, in denen die Protagonisten wie Blinde oder Gefangene waten. Unverarbeitete Erinnerungen fesseln die Psyche. Ein Kind mit Schulranzen liegt ertrunken im Becken. In einem riesigen Deckenspiegel wird es reflektiert. Unbeachtet, dadurch noch schauriger und omnipräsent. In dem vom Pariser Grand-Guignol-Theater beeinflussten und im Schiffermilieu an der Seine spielenden Tabarro bringt ein grell leuchtender Streifen für den Morgen blaues, den Tag weißes, den Abend rotes, die Dämmerung orangefarbenes Licht in das Dunkel der Szene. Kein wirkliches Licht, das die Trostlosigkeit im Alltag, in den Menschen oder in deren Beziehungen erhellen könnte. Puccini zeichnet die Figuren in all ihrer Hoffnungslosigkeit, Wehmut und ein bisschen Sehnsucht mit der gewohnten Mischung aus Sentiment und Pathos. Wobei das sprechende Singen in den Dialogen dieser Einakter eine ungewohnt realistische Kraft entwickelt, die Schwab in seiner zeichnenden Personenregie nutzt. Michele, Heiko Trinsinger, als eine Film-noir-Gestalt des Typs Jean Gabin (Kostüme: Gabriele Rupprecht) und die in rosa gekleidete mädchenhafte Giorgetta, mit viel Schmelz Annemarie Kremer, haben sich entfremdet und können sich nicht mehr in die Augen schauen. Hafenarbeiter Luigi, Sergey Polyakov, immer etwas old-school im Spiel, ist im Rib-Shirt und Jeans ihr heimlicher Lover, der in einem Ausbruch auch mal sozialkritisch über die Armut der einfachen Leute und ihr Schicksal hadern darf und hören lässt, was seine Tenorstimme vermag.
Der Übergang von Tabarro zu Suor Angelica ist ein Regie-Coup!
Die Sehnsucht nach ein bisschen Liebesglück bezahlt er mit dem Leben. Zu dem tristanesk arrangierten Stelldichein, statt mit Fackel gibt Giorgetta das Lichtzeichen mit einem Streichholz, wird er von Michele abgefangen. Nach dem Mord an Luigi kehrt Giorgetta resigniert unter den Mantel Micheles zurück, so, als könnte der Mantel alles ungeschehen machen. Die Bitterkeit bleibt, auch in der Musik. Im Finale stehen Michele und sein Opfer allein wie Auferstandene im Wasserbecken. Der Bühnenraum erhellt sich plötzlich. Geöffnet durch die Hebung des Spiegels. Kirchenglocken läuten. Und hinter wehenden Vorhängen um das Becken – sieht aus als hätte Christo das Kloster verpackt – stimmen die schemenhaft zu erkennenden Nonnen das Ave Maria an. Für die beiden Sünder wie es scheint, die langsam im Hintergrund verschwinden. Dieser Übergang ist ein grandioser Regie-Coup!
Die erste Klosterszene von Suor Angelica hat Länge, die von der Regie geschickt überbrückt wird. Statt der Nonnen, die alltägliches Klosterleben und Sorgen verhandeln, wird die verzweifelte Suor Angelica im Wasser fokussiert, wie schon Giorgetta ganz in rosa. Sie träumt – immer wieder von den Nonnen gestört – mit Dreirad und einem Teddybär von der ihr nicht gegönnten kindlichen Fürsorge einer Mutter. Der helle Frauengesang wirkt da wie ein entlarvtes abgündiges Zwangsszenarium. Mit dem Auftritt der adligen Tante beginnt das Drama der Handlung. Bettina Ranch, schon im Tabarro mit Einkaufswagen die Müll aufsammelnde Frugola, hat sich in eine streng schwarz gekleidete Dame mit Sonnenbrille verwandelt, die mit
sonorer Drohung zum Verzicht aufs Erbe und zur Aufgabe bürgerlicher Lebensträume drängt. Noch einmal träumt Suor Angelica davon glücklich zu sein. Sie nimmt die Wasserleiche, herzt und bedauert das Kind „Senza mama!“ Und Puccini drückt auf die Emotionstube. Dann liegt Jessica Muirhead im Wasser. Im Spiegelbild sieht es aus, als würde sie in den Himmel fahren. Erlösung. Ein großartiges Traumbild! Doch dann folgt das Selbstmordfinale, in der Puccini die moralischen Zweifel daran mit heutigen Ohren nicht ganz glücklich auswalzt. Aber Jessica Muirhead nutzt die Szene wie auch alle zuvor großartig. Ihre sich häufenden Extra-“c“ hat Puccini beabsichtigt zu Verzweifelungsschreien freigegeben. Extra Jubel für sie vor der Pause.
„Gianni Schicchi“ hätte die Krönung sein müssen
„Gianni Schicchi“ nach der Pause, hätte die Krönung sein müssen, gelingt in Essener im Gegensatz zu den ersten Einaktern am wenigsten. Zu „klamaukisch“ blödeln die Figuren wie zufällig. Die Groteske kippt da in Fernsehshow-Allüre ab. Ein wirkliches Regiekonzept ist nicht zu spüren.
Das Wasser ist der Terrasse eines Wellnessbereichs mit Springbrunnen gewichen. Hinter der Fontaine lauert bereits die Familie „Auf-die-Plätze-fertig-los“ und beobachtet, wie sich Donati im Bademantel und Latschen den Kopfschuss setzt. Ein Regieeinfall der besonderen Art. Dann erst setzt die unsagbar tumultuöse Einleitungsmusik ein. Die Familie jagt slapstickmäßig durcheinander. Das wirkt wie Improtheater und scheint nicht wirklich abgestimmt. Das Testament wird gefunden, verworfen und muss neu geschrieben werden, damit nicht allein ein Kloster Busatis Vermögen einsackt. Dazu hat Puccini köstlich komische Genremusik geschrieben, die einem buchstäblich um die Ohren fliegt. Die Musik beschreibt schon ganz ohne Szene, wie der Testamentbetrüger Gianni Schicchi gerufen wird, sich ziert, herrlich bestochen wird und dann seinen Plan entwirft – zu einen neumodischen Foxtrott-Verschnitt. Heiko Trinsinger, stimmlich und spielerisch an diesem Abend auch noch ein großartiger kahlköpfiger Schicchi, schlüpft in die Rolle des todkranken Donati, indem er eine Badekappe aufsetzt und den Bademantel überzieht. Was soll ein Todkranker mit rotweißer Badekappe im Saunafrotté? Mit verstellter Stimme und sozusagen neben der Leiche diktiert er dem gerufenen Notar in die Feder. Musikalisch ist das aber eine der großartigsten Szenen des Abends, zu der auch die Essener Philharmoniker unter Roberto Rizzi Brignoli von Anfang bis Ende entscheidend beitragen. Im Aalto-Theater zu Recht Bombenstimmung und großer finaler Jubel. Auch am Aufführungstag nach der Premiere.