Der letzte große Komponist des 20. Jahrhunderts ist tot: Aribert Reimann

Aribert Reimann. Foto: Schott-Verlag

Der Komponist, Pianist und leidenschaftliche Liedbegleiter Aribert Reimann ist am 13. März im Alter von 88 Jahren in Berlin verstorben. Über siebzig Werke füllen seinen Katalog, Liederzyklen, Kammermusik, Orchesterwerke und neun Opern. Wie in klassikfavori-Kritiken dokumentiert, gehörte Aribert Reimann zu den Opernkomponisten, deren Werke es ins Repertoire der Häuser Europas geschafft haben. Das zeigen zuletzt die besprochenen Inszenierungen von Hilsdorf „Bernarda Albas Haus“ für Gelsenkirchen, Marthalers „Lear“ in München oder Kay Links „Medea“ am Aalto in Essen. Derzeit steht „Lear” in der Inszenierung von Joe Hill-Gibbins auf dem Spielplan der Staatsoper in Hannover. Während der Proben hat Reimann regen Anteil am Entstehen genommen und stand in direktem Kontakt mit Beteiligten. Am 21. März findet dort die letzte Aufführung „in memoriam” statt. Schon lange begleitet Klaus Kalchschmid Reimanns Opern. Für Klassikfavori hat er einen persönlichen Nachruf verfasst.

Gerade 19 und Student der Musikwissenschaft in München, konnte ich 1982 Aribert Reimanns Lear in der legendären Uraufführungs-Inszenierung von Jean-Pierre Ponnelle mit Dietrich Fischer-Dieskau in der Titelpartie am Nationaltheater erleben. Der gewaltige Eindruck dieser Shakespeare-Vertonung wirkt bis heute nach, aber auch die späteren Münchner Uraufführungen von Troades nach den Troerinnen des Euripides (1986) und Bernarda Albas Haus (2000) nach Lorca sowie die Übernahme der Berliner Uraufführungs-Inszenierung von Das Schloss nach Kafka haben sich tief in die Erinnerung eingeprägt wie kaum eine andere zeitgenössische Oper.

Er kannte sich mit Stimmen aus wie kein anderer

Reimanns hochkomplexe Sprache und seine ebenfalls ungemein komplizierten und doch durchaus singbaren, hochexpressiven Gesangslinien waren und sind unverwechselbar. Als Klavierbegleiter von Brigitte Fassbaender, Julia Varaday, Fischer-Dieskau und etlichen anderen Sängerinnen und Sängern sowie als Professor für Liedgestaltung an der HDK in Berlin, die Liedklasse hatte er selbst ins Leben gerufen, kannte er Stimmen wie kaum ein anderer zeitgenössischer Komponist. Und das Musiktheater, vor allem die Literaturoper, war seit dem Erstling des 28-Jährigen mit Traumspiel (1964) nach Strindberg und Melusine (1970) sein ureigenstes Terrain.

Nach einer Uraufführung beim Empfang

Als feststand, dass es mit Medea, nach langer Zeit an der Wiener Staatsoper wieder eine neue Reimann-Oper geben würde, war die Reise noch am selben Tag geplant. Am 28. Februar 2010 verblüffte ich dann den Komponisten nach der Uraufführung beim Empfang. Ich sagte ihm, er sei verantwortlich dafür, wenn ich am nächsten Tag zum Zahnarzt müsse, worauf er erschrocken zusammenzuckte. Erst nach der Erklärung, der Abend sei so intensiv gewesen, dass ich die ganze Zeit die Zähne aufeinander gepresst hätte, lächelte er erleichtert.

Keine zweite Lorca-Oper

Leider sollte L’invisible nach drei Einaktern von Maurice Maeterlinck Reimanns letzte Oper bleiben. Sie ging 2017 an der Deutschen Oper Berlin erstmals über die Bühne, wie zuvor in seiner Heimatstadt schon Die Gespenstersonate und Das Schloss. Wenn ich mich recht erinnere, verfolgte Reimann auch den Plan, nach einer zweiten Strindberg eine weitere Lorca-Oper zu komponieren: Nach Lorcas Komödie ohne Titel, die er nur mit Countertenören besetzen wollte. Dazu ist es wohl nicht mehr gekommen.

Gerhaher in der Titelrolle des Königs Lear

Als 2021 sein Lear in einer Neuinszenierung an der Bayerischen Staatsoper mit Christian Gerhaher in der Titelrolle gespielt wurde, war Reimann, der sonst kaum einer Premiere seiner Opern fernblieb, nicht dabei. Angeblich, weil er den Kompromiss nicht wirklich gut hieß, dass die große Schlagzeug-Batterie, die wegen der Abstandsregeln zu Pandemiezeiten nicht im Orchestergraben Platz fand, aus dem Probensaal zugespielt wurde. Aber vielleicht ging es dem 85-Jährigen einfach gesundheitlich nicht gut.

Gema-Preis für sein Lebenswerk

Im Februar dieses Jahres konnte Aribert Reimann noch den Preis der Gema für sein Lebenswerk entgegennehmen. Nun ist er, wenige Tag nach seinem 88. Geburtstag, in Berlin gestorben – der letzte große Komponist des 20. Jahrhunderts!

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