Erdrückend gut! Reimanns Garcìa Lorcà „Bernarda Alba“ feiert in Gelsenkirchen Premiere!

Das Musiktheater im Revier bringt Aribert Reimanns „Bernarda Alba“ nach 20 Jahren erstmals wieder auf eine europäische Bühne. Und mit Erfolg. Die Regie von Hilsdorf konzentriert sich auf die menschlichen Konflikte, die eine grausam despotische Witwe unter ihren fünf charakterlich völlig unterschiedlichen Töchtern auslöst. Ein grandios besetztes Solistenensemble macht die Verzweiflung der einzelnen hautnah erlebbar. Dirigent Johannes Harneit, selbst Komponist und Spezialist für neue Musik, katapultiert Reimanns gewöhnungsbedürftige Klänge impulsiv aus dem Graben, um die psychotischen Zustände am Rande der Verzweiflung zu begleiten. Es ist ein hartes, aber faszinierendes Stück und löst in der Premiere großen Jubel aus. Zu Recht! (Von Sabine Weber)

(Aufführung am 7. Mai 2023 im Theater im Revier, Gelsenkirchen) Oper muss nicht kulinarisch sein, um zu packen und zu begeistern. Das Gegenteil ist oft der Fall und gerade in Gelsenkirchen im Theater im Revier zu erleben. Auch wenn Komponist Reimann das Orchester eigenwillig rekrutiert hat. Vier präparierte Flügel, als Streicher nur zwölf Celli, die in hohen Lagen aber wie Geigen klingen dürfen. Dazu eine Flöte, mit ihren Familienmitgliedern Piccolo-, Alt- und Bassflöte, Klarinetten, darunter Bassetthorn, Bass- und sogar Kontrabassklarinette, dazu drei Posaunen und drei Tuben. Ein irrealer Orchesterapparat, liefere aber, so Reiman, sowohl den harten Grund für das Haus, aus dem es kein Entkommen gibt, als auch für das, was hinter den Personen stehe. Solistische Melodien bis harte Posaunen-Riffs , Begleitung, Kommentar, Melodram, alles da, vor allem ist die Farbe des Irrsinns zu hören. Oft subtil, mal auch verstörend elegisch, dann wieder eruptiv.

Garcìa-Lorcas -Frauentragödie dokumentiert eine reale Schilderung

Der erste verrückte Schrei gellt übrigens aus dem Off. „Bernarda“! Ein gelungener Theatergriff des Komponisten, der das originale Stück von Federico Garcìa Lorca (1936) mit originalem Text aus der deutschen Übersetzung bearbeitet und umgestellt hat. Kurz vor seiner Ermordung durch die Falangisten hat Garcìa Lorca die Frauentragödie „La Casa de Bernarda Alba“ übrigens nach einer realen Schilderung in einem andalusischen Dorf fertiggestellt!

Der erste verrückte Schrei
Die Tatorkomissarin aus Münster als verrückte Mutter Maria-Josefa.
Mechthild Grossmann (Maria-Josefa). Foto: Karl und Monika Forster

Und es spricht Bände, dass eine Verrückte die einzige ist, die tatkräftig ihre Freiheit einfordert.
Der Schrei kommt von Mutter Maria- Josefa, die Bernarda immer wieder herausfordert. Eingeschlossen wie ihre Töchter. Keine Luft hat zum Atmen. Aber bis auf die jüngste Tochter begehrt keine auf. Statt dessen giften sie sich gegenseitig an, beobachten sich, denunzieren, hintertreiben, lügen, und treiben die jüngste Tochter in den Selbstmord.

Die fünf Töcher im Disput, die Magd links, und die Mutter rechts hören entsetzt zu.
Lina Hoffmann (Angustias), Katherine Allen (Adela), Bele Kumberger (Magdalena) Soyoon Lee (Martirtio) Margot Genet (Amelia). Foto: Karl und Monika Forster
Ein Hilsdorf-Höhpunkt

Die grausame Folgerichtigkeit dieser 2000 an der Münchener Staatsoper uraufgeführten Oper macht Dietrich W. Hilsdorf  leibhaftig und packend durch seine Personenregie in räumliche Personenkonstellationen umgesetzt, die die Spannungsverhältnisse in realen Situationen stattfinden lassen.  Keine Metadeutungen,  sondern Realismus, auch in den Kostümen  (Nicola Reichart) der Zeit angepasst, in der die Vorlage entstanden ist. Seit langem mal wieder ein Hilsdorf-Team-Höhepunkt. Und kein Charakter bleibt nur schwarz oder weiß. Selbst die Haustyrannin (mit souverän tönendem Mezzo Almuth Herbst) lechzt in dieser Regie letztendlich nach Liebe. Als ihr die jüngste Tochter einmal über den Kopf streicht, fährt sie wie in Trance mit ihrer Hand auf die Stelle, zeigt Rührung und hält inne. Als eben diese Tochter als Tote aufgebahrt wird, brechen ihr die sonst starken Beine kurz weg und sie muss sich am Stuhl festhalten. Hisldorf wie auch die Musik machen deutlich, dass sie leidet, nicht aus ihrer Haut kommt und aus dem Zwang, den Schein, die Fassade wahren zu müssen. Grobheiten den Dorfbewohnern gegenüber – sie sind ganz am Anfang zu einer Trauerfeierlichkeit ins Haus geladen – sind ihre Art Waffe. All diese Facetten lässt Almuth Herbst in der Titelrolle (siehe Titelbild) auch aufscheinen. Menschliche Momente, die wir kennen, und denen Dieter Richter mit einem Tryptichon-Bühnenraum einen Spiel- und Leidensort geschaffen hat, mit einem Balkon, von dem der Blick nach draußen vergeblich Freiheit verheißt.

Sabine Hogrefe (Magd), Lina Hoffmann, Katherine Allen, Bele Kumberger, Soyoon Lee, Margot Genet (Schwestern) Almuth Herbst (Bernarda). Fotos: Karl und Monika Forster
Die Töchter sind allesamt hohe Sopranstimmen, aber differenzierte Charaktere

Die Töchter sind allesamt hohe Sopranstimmen, die ordentlich hysterisch werden können, aber differenzierte Charaktere darstellen, die in dieser Inszenierung auch deutlich werden. Lina Hoffmann gibt Angustias, die älteste Tochter, die mit Pepe – er taucht im Stück nicht auf – verlobt ist, der aber der Geliebte ihrer jüngsten Schwester ist. Bele Kumberger spielt Magdalena, die sanfteste, die ihre Schwestern aber auch ganz schön anpfeifen kann. Margot Genet als Amelia und Soyoon Lee, sind Verbündete. Syoon Lee gibt mit runterhängendem vorgeschobenen Kiefer und Buckel – Martirio ist behindert – eine debile, ist aber eine durchtriebene und widerlich intrigierende Person. Mit hohen Koloraturen, spitz und wenig liebevoll, täuscht sie die Unschuldige vor. Katherine Allen verkörpert Adela, die Geliebte Pepes, die an die Kraft der Liebe glauben und fliehen will; nach der Lüge von Martirio, Pepe sei von der Mutter erschossen worden, erhängt sie sich. Auch die Magd La Poncia steht im Zentrum, ganz wunderbar Sabine Hogrefe, die verhärmt, aber selbstbewusst und ehrlich immer wieder Bernarda auf etwas hinweist und dann klein beigibt. Anke Sieloff als Scheuerfrau trägt ebenfalls wesentlich zu diesem gelungenen Abend bei. Wie auch Mechthild Grossmann, bekannt als Staatsanwältin im Münsteraner Tatort, die mit gewohnter Reibeisenstimme der Sprechrolle der Mutter Maria Josefa zu großer Wirkung verhilft. Nach ihren gellenden Schreien zu Anfang hat sie im dritten und letzten Akt ihren großen Auftritt, einen Monolog, in dem sie sich unglaubwürdigen Zukunftsträumen hingibt.

Keine Minute fällt die Spannung ab. Die Auseinandersetzungen und Konfrontationen, eingeschlossen in einem Haus, entwickeln immer wieder neue Dynamik, in Zweier-Dialogen, aber auch in Gruppensituationen. Ein Lehrstück über weibliche Despotie in der Familie, die sicherlich nicht aus der Welt ist!

In der Frauenwelt ist eben nicht alles besser. Wie Intendant Michael Schulz nach dem reinen Männerstück Billy Budd von Benjamin Britten in dieser Saison klarstellt. Eine formidable Gegenüberstellung, wenn sie, so wie in Gelsenkirchen, mit einer rund um gelungenen Theaterleistung einher geht.

Und das Männer- und Frauenstück werden an einem Wochenende gezeigt am:

Freitag, 12. Mai 2023, 19.30 Uhr, Bernarda Alba
Samstag, 13. Mai 2023, 19.30 Uhr, Billy Budd

Samstag, 03. Juni 2023, 19.30 Uhr, Billy Budd
Sonntag, 04. Juni 2023, 18.00 Uhr, Bernarda Alba

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