Die Französische Erstaufführung von Paderewskis „Manru“ in deutscher Sprache füllt in Nancy das Haus!

Diese Repertoire-Entdeckung beschert der Opéra Lorraine in Nancy auch bei der dritten Aufführung wieder ein volles Haus. Und es hat Vorteile, in der zweiten Runde einer internationalen Koproduktion, hier mit der Oper Halle (Premiere am 21. März 2022), am Ball zu sein. Die junge Regisseurin Katharina Kastening nutzt den zweiten Anlauf und intensiviert ihre Personenregie. Hier steht ihr auch ein hoch motiviertes, nur für diese Produktion zusammen gekommenes Ensemble zur Verfügung. Anders als an einem Repertoirehaus sind die Solisten durch keine Zwischenengagements abgelenkt. Im letzten Akt bekommt die instrumentale Traumszene von Manru zudem ein neues Lichtschattenspiel, das die Dämonen der Titelfigur auf den Plan ruft! Das ist völlig neu! (Von Sabine Weber)

(14. Mai 2023 Opéra national de Lorraine, Nancy, 3. Aufführung) Diese polnische Oper liegt in Nancy auch in besten Händen, weil das Haus seit 2021 eine Polin als Orchesterchefin hat. Und Marta Gardolińska lässt ihre Verbindungen spielen. Sie hat einen virtuosen „Zigeuner“-Geiger aus der Heimat engagiert. Oder sollte ich besser „Kaffeehausgeiger“ sagen? Wie spricht sich jetzt politisch korrekt über eine Zigeuner-Oper, die das Unwort expressis verbis selbst zum Thema hat? Das Libretto ist in deutscher Sprache verfasst. Manru wurde 1901 auch in Dresden uraufgeführt…

Vor dem Chor Lucie Peyramaure (Asa), Artur Banaszkiewic (Geiger), Thomas Blondelle (Manru) Foto: Jean-Louis Fernandez

Geiger Artur Banaszkiewicz, einmal vom Balkon rechts solistisch aus, und dann von einem leider namentlich nicht genannten Hackbrettspieler im Orchestergraben begleitet, sorgt in Nancy für einen besonderen Moment in dem ansonsten mit Folkloristik sparsamen Werk. Die eben erwähnten Musikeinlagen sind in der Partitur auch nur angedeutet, müssen also, wenn gewollt, dazu-improvisiert werden. In dieser Oper geht es um die Magie der Musik, die mehrmals im Libretto beschworen wird.

Das Werk verfehlt seine Wirkung nicht

Und das Werk verfehlt seine Wirkung beim Publikum auch nicht. Es erlebt einen Siegeszug über die europäischen Bühnen und wird sogar an der MET in den USA gegeben. Eine kuriose Pressemeldung zur Kölner Erstaufführung, nur ein halbes Jahr nach der Uraufführung, sei mir hier erlaubt. „.. Ein wirkliches, von einem Pusztasohn mit großer Virtuosität gehandhabtes Zigeunercymbal kam darin vor.“ Zu lesen war auch: „Man mag politisch über Polen denken, wie man will, musikalisch muss man die Rasse als eine der höchst stehenden unseres Planeten schätzen.“ Keine 20 Jahre später wird Polen endlich unabhängig, und Paderewski im neuen Polen Ministerpräsident. Paderewsi verfolgte mit seinem Opernerstling damals durchaus eine national-diplomatische Mission, die wahrgenommen wurde.

Eine Roma-Minderheit in der Hohen Tatra

Manru ist seine einzige Oper geblieben. Dass er in Zeiten nationalistischer Selbstbehauptung sich der internen Minderheiten-Problematik im Land annimmt, mag erstaunen. Die Roma-Minderheit in der Hohen Tatra, ein von Paderewski geliebtes Mittelgebirge, das er mit Klavierstücken bedacht hat, muss es gegeben haben. Naheliegend, dass dörfliche Gemeinschaften sie gehasst und diskriminiert haben. Die Vorlage Hütte am Rande des Dorfes von Jósef Ignacy Kraskzewski erzählt das Drama eines „Zigeuners“, der sich in eine Frau verliebt und die ihn mitsamt dem gemeinsamen Kind verlässt, um in die Dorfgemeinschaft zurück zu kehren, worauf er sich umbringt.

Nicht alles ist schlüssig

Paderewski und sein Librettist Alfred Nossig haben Namen und die Geschichte über Ausgrenzung und starre Gesellschaftsformationen, die sich durch Abgrenzung behaupten, leicht verändert. Nicht die Frau, sondern Manru der Zigeuner, verlässt seine Frau und kehrt zu seinem Clan zurück, worauf sich Ulana, so ihr Name, umbringt. Nicht alles ist schlüssig in der Erzählung. Kann es vielleicht auch nicht sein in den vielen Verwerfungen, die Intoleranz bis auf den heutigen Tag zeitigt. Der erste und letzte, dritte Akt entwickeln musikalisch und szenisch große dramatische Momente. Regisseurin Katharina Kastening bewegt den Chor einmal als bunt-fröhliche Dorfgemeinschaft, die eine Hochzeit ausgelassen feiert, was die Fallhöhe der ausgestoßenen Ulana am Rand erhöht. Im letzten Akt dann grenzen die Roma, etwas platt mit Schaschlickspießen an Biertischen ein Lagerfeuernomaden-Dasein verkörpernd, Manru aus. Die Kinder (Chor und Kinderchor du Conservatoire régional de Grand Nancy) allein wenden sich spontan in jeweils beiden Gesellschaften unbedarft den Ausgestoßenen zu und umringen sie, werden aber sofort von den Alten zurückgezogen. Das sind Bilder, die sich mitteilen.

Ausländerfeindliche Parolen

Die Bühne besteht aus einer gigantischen Wellacrylglaswand, die Licht und Schatten durchlässt und sich dreht, vorne und hinten Platz lassend, wenn die Drehbühne fährt und die Hütte von Manru und Ulana herein dreht (Bühne und Kostüme: Gideon Davey). Auch die Hütte ist mit Acrylglas verkleidet. Nicht sehr ästhetisch. Aber die Wände – durchsichtig und von allen einsehbar – machen begreiflich, dass sie keinen Schutz bietet. Die Scheiben sind auch bereits mit ausländerfeindlichen Parolen beschmiert.

Das Ensemble in Nancy lässt wenig zu wünschen übrig

Das Ensemble lässt in Nancy wenig in diesem Drama zu wünschen übrig. In der Reihenfolge des Auftritts Janis Kelly als Ulanas Mutter im bieder rosa-farbenen Kostüm wie Queen-Mum mit Hut, singt mit leicht flackerndem Vibrato, was zu ihrer ältlichen Rolle perfekt passt. Nach ihrem rührenden Täubchen-Lied verhärtet sie, lässt ihre Tochter gnadenlos abblitzen. Gemma Summerfield gestaltet die stets in der Defensive befindliche Tochter Ulana, mit weich bittendem Sopran herzzerreißend und jugendlich dramatischem Volumen in der Höhe ausbrechend, die die Vergeblichkeit dieser transkulturellen Verbindung spürt und sich Manrus mit einem Liebestrank zu versichern sucht, was eine tristaneske „Nuit d’ivresse“ ohne Langzeitwirkung beschert. Über Manru erfährt man eigentlich wenig. Warum hat er seinen Clan verlassen, wie ist er auf Ulana gestoßen? Man erlebt ihn ausschließlich in der hadernden Rolle eines Menschen, der nicht weiß, wo er hingehört. Eine Riesenpartie für Tenor, der Thomas Blondelle souverän, stimmgewaltig und mit vielen Nuancen gerecht wird. Auch spielerisch bringt er den verzweifelnden Borderliner im Karoholzfällerhemd nahe, im mittleren Akt leider zu nie ganz rhythmischen Amboßgeräuschen à la Siegfried, die irgendwann nerven.

Starrsinn verkörpert auch der Clanführer

Urok ist eine zwielichtige Figur, eine Art Dorfschamane und Mittler zwischen den Welten, der omnipräsent alles mitverfolgt und immer wieder eingreift und Ulana den Trank braut. Gyla Nagy spielt ihn als eine Art durchtriebener Dorftrottel, der allerdings ziemlich genau alles mitbekommt und auch ausspricht, was unerbittliche Wahrheit ist. Freiheit und Unabhängigkeit hat ihren Preis in diesen engen Gesellschaftssystemen. Jede und Jeder muss ihn bezahlen. Starrsinn verkörpert auch Clanführer Oros, Thomaz Kumięga, der Manru einen Verräter schimpft und ihm die Rückkehr verwehrt. Manru ergeht es in seiner Gesellschaft nicht besser als Ulana in der ihren. Eine frühere Geliebte (mit schönem Mezzo Lucie Peyramaure) setzt sich für Manru ein. Dass sie eine Carmenwiedergängerin sein muss, ist wohl ein Zugeständnis an das, was als westeuropäische Exotik Mode sein konnte.

Großartige Musik

Musikalisch liefert Paderewski eine großartige Partitur, die natürlich Anklänge an damals virulente Erfolgsmodelle hören lässt. Wie hat Paderewski aber ohne je Kompositionsunterricht gehabt zu haben, diese Partitur zustande gebracht? Ein bisschen Fluchmotiv aus dem Ring, nebst gestopften Hörnern, mehr noch die Holländer-Männerchöre, aber auch Rübchen-schäl-Frauenchöre aus dem Freischütz und Dvořáks Rusalka-Mondnacht-Beschwörung. Alles geht in einem farbigen Paderewski-Fluss auf. So wie Mahler und Bruckner das auch für sich verbuchen. Freilich gibt es bei Paderewski nichts innovativ Neues. Immerhin, die Leitmotivik ist bei Paderewski nicht Zeigefingermäßig dräuend. Am Ende des 1. Aktes leistet er sich sogar einen folkloristischen Volkstanz, nachdem Manru von den Männern in die Zange genommen wurde. Der ist also wie die „Zigeunermusik“ dramaturgisch eingebunden. Der Liebestrank, zynisch gesprochen, diente Paderewski wohl dazu zu zeigen, dass er nur in westeuropäischen Kulturen wirkt, für die polnischen Verhältnisse keine Bedeutung hat, er aber durchaus in der Lage ist, rauschhafte Musik dazu zu schreiben.

Marta Gardolińska ist eine zuverlässige Sachwalterin der Partitur, lässt das Orchester sowohl im Tutti als auch in den kammermusikalischen Momenten glänzen (solistische Einsätze von Oboe, Oboe d’amore oder Klarinette). Das Orchestre de l’Opéra national de Lorraine folgt ihr. Es gelingen feine Rubati, geschmeidige Accelerandi, allenfalls die Chöre sind bei ihren Einsätzen nicht immer gleich präzis.

Dass Nancy mit einer polnischen Oper Erfolg verbucht, hat sogar historische Berechtigung. Seit dem 18. Jahrhundert gibt es eine Verbindung zu Polen. Seit der polnischen König Stansilas Leszczynski in Nancy sein Exil antritt und nicht zuletzt das Opernhaus an der Place Stansislas erbauen lässt. Noch heute gibt es in Nancy eine aktive polnische Gemeinde. Die Aufführung von Manru unter ihrer Stabführung ist Marta Gadolińska jedenfalls ein besonderes Anliegen gewesen. Geplant lange bevor es zur Koproduktion mit Halle kam, die durch das polnische Adam Mickiewicz-Institut angeregt wurde. Halle hatte seine Termine allerdings früher gesetzt.

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