„Zaide. Adama“ – Doppeltes Musiktheater: Mozart und Chaya Czernowin am Theater Aachen

Zaide“ hat Mozart 1779 24jährig begonnen, lässt das Singspiel aber 1780 in der Schublade verschwinden, um „Idomeneo“ in Angriff zu nehmen. Weil die Salzburger Festspiele zum Mozartjahr 2006 eine Gesamtaufführung aller Mozart-Bühnenwerke anberaumten, wurde Chaya Czernowin beauftragt, das zweiaktige Fragment zu vollenden. Sie entwickelt ein eigenes modernes Musiktheater, das sich mit einer Parallelhandlung in die Leerstellen des Singspiels verkeilt. Der damalige Festspielleiter Peter Ruzicka verlangte, Mozart unangetastet zu lassen. 2017 überarbeitete Czernowin ihre Schablone, fügte einen Chor hinzu und erweiterte sie mit collageartig das Original überlagernden Momenten. Diese Fassung feiert eine umjubelte Premiere am Theater Aachen. (Von Sabine Weber)

Laia Vallés (Zaide), Ángel Macías (Gomatz). Im Titelbild das Adama-Paar Christina Baader und Samuel Pantcheff. Links Andreas Fischer. Fotos: Anemone Taake und Matthias Baus

(27. April 2024, Theater Aachen, Premiere) Die Bearbeitung hat Chays Czernowin zusammen mit Ludger Engels vorgenommen. Da Engels dem Aachener Haus verbunden ist, kommt diese Fassung natürlich auch in die Karlsstadt.

Ende offen

Zaide ist klar ein Vorläufer zur Entführung aus dem Serail zwei Jahre später. Charaktere wie Osmin und Soliman kommen bereits vor. Ihre Zurückweisung des Sultans und die Flucht Zaides aus dem Palast, nicht dem Serail, aus dem Konstanze flieht, sind ähnlich, aber hier… Ende offen. Die Flüchtigen werden gefasst. Aber erfahren sie Begnadigung oder Bestrafung, was hat Mozart wohl zu diesem Zeitpunkt favorisiert? Am Ende der Entführung verzeiht und verzichtet Soliman großmütig und entlässt in Frieden. Mit einem letzten großen Quartett, Zaide, ihrem Geliebten Gomatz, Fluchthelfer Allazim, und Soliman, dem beleidigten Tyrannen, endet Zaide.

In die Leerstellen hinein komponiert

Das Libretto von Hoftrompeter Johann Andreas Schachtner, Mozart komponiert Zaide in seinen letzten beiden Salzburger Jahren, wirkt ein bisschen holzschnittartig zusammengezimmert. Die Arien schematisch auf Gefühlsstandards ausgerichtet. Allerdings fehlen hier die handlungstreibenden und verbindenden gesprochenen Dialoge des Singspiels. Schwer zu sagen, wie der Kitt geglättet hätte. In diese Leerstellen komponiert Czernowin Adama hinein.

Eine Frau, ein Mann…

Adama ist hebräisch – Chaya Czernowin ist in Israel geboren -, heißt Erde, bedeutet aber auch Mensch und Blut. Dass eigene Erfahrungen des palästinensisch-israelischen Dauerkonflikts hineinspielen, ist naheliegend. Eine Frau und ein Mann – namenlos – lieben sich, gehören aber befeindeten Gruppen, Gemeinschaften oder Nationen an, die die Liebe hintertreiben. Die scheiternde Liebesgeschichte entwickelt Czernowin abstrakt, sodass sie sich auf vergleichbare Konfliktherde übertragen ließe.

Regisseur Ran Chai Bar-zvi verzichtet auf religiöse, ethnische oder nationale Symbole

In Aachen verzichtet der israelische Regisseur Ran Chai Bar-zvi wohlweislich ebenfalls auf religiöse, ethnische oder nationale Symbole und Zuordnungen. Die „Comunity“ ist eine Partygang auf einer schwarz-leeren Bühne. Die silbern glitzernden Gestalten haben Wollmützen auf, tragen Rucksäcke, schieben Kinderwägen oder Rollatoren, sind also ein moderner Gruppenquerschnitt. Der „Comunity Chor“ ist für diese Produktion eigens in Aachen und Umgebung gecastet worden und wird ergänzt durch den Extra-Chor. Da Mozart keine Ouvertüre geliefert hat, beginnt Czernowin.

„Frau… d…e…n…k…t.“

Die Bühne ist von Nebel und Lichtstreifen durchzogen. Die Frau (Christina Baader) in einem silberweißen langen Kleid und der Mann (Samuel Pantcheff), in einer Art schwarzglänzendem Trainingsanzug, stehen bewegungslos an der Rampe. Sie singen sich in Sprachfetzen an, die als Übertitel mitgelesen Worte ergeben. So beginnt sie mit tiefer sonorer Stimme „Frau… d…e…n…k…t.“ Die gesungenen Wortfetzen bleiben ihr Vokabular, das Czernowin mit instrumental aufgeraut bohrenden Klängen verbindet. Das Czernowin-Ensemble mit Flöte, bzw. Bassflöte, zwei Bassklarinetten, Posaune, Violine, Viola, jeweils zwei Celli und Kontrabässen sowie Schlagzeug, sitzt auf der Bühne im Hintergrund, geleitet vom Aachener Kapellmeisters Chanmin Chung. Das Mozart-Orchester des Aachener Sinfonieorchesters sitzt ordnugnsgemäß im Graben.

A-capella Höhepunkt

Gesangsbrösel bis hin zu Atemgeräuschen sind zunächst nicht leicht einem Ausdrucksgehalt zwischen zwei Liebenden zuzuordnen. Zumal sie später auch wie Liebende spielen und in einer Art Höhepunkt a cappella mit Tönen wie rhythmisch zucken und abwechselnd hicksen.

Wie in ein Aufklappbuch für Kinder

Schockartig klamaukisch ist der erste Mozarteinsatz. Wenn Prospekte aus bunt bemalten Stoffbahnen sich in die schwarze Leere senken. Sie stellen den Palast wie in einem Aufklappbuch für Kinder dar. Das Mozart-Orchester im Graben unter Mathis Groß, einem weiteren Aachener Kapellmeister, klingt wie ein Fremdkörper in das eben Gehörte. Aus abstrakt wird sehr direkt: Lächerliche Soldaten mit schottischen Fellmützentürmen und Maschinengewehren reihen sich auf und singen ein Trinklied auf die Lebenslust. Unter ihnen Gomatz, Ángel Macias aus dem Ensemble, der Geliebte von Zaide, die kurz darauf wie eine Puppe mit Schleifen und durchsichtigem Reifrock dekoriert auftritt (Laia Vallés, ebenfalls aus dem Ensemble).

Pawel Lawreszuk (Osmin), Philipp Nicklaus (Soliman), Laia Vallés (Zaide). Foto: Annemarie Taake, Matthias Baus.

Sind die Bühnenaktivitäten in den Czernowin-Teilen eher statisch, slow motion, so wuselt es bei Mozart immer los. Ein barockesker Hofstaat wird angeführt von Soliman, der als eitler Conferencier mit blonder Haartolle und rotglitzerndem Dress Aufmerksamkeit und Beifall heischt, was schnell und immer wieder in Boshaftigkeit gegenüber seinen Untergebenen ausartet. Schauspielerisch brillant stellt Philippe Nicklaus im ersten Akt nur spielend die Willkür des Tyrannen aus, der mit Menschen umgeht wie mit Objekten. Er spricht und agiert durchweg so deutlich wie ein Schauspieler. Und hat dann im 2. Akt unerwartet einen „Melolog“, so beschreibt der Musikwissenschaftler Max Nyffeler den mit Musik unterlegten Monolog im Uraufführungsprogramm 2006. Und eine bravouröse Löwenarie schiebt er noch hinterher. In der Entführung reduziert Mozart die Partie Solimans auf eine reine Sprechrolle.

Musikstile kommunizieren nicht

Czernowins und Mozarts Musikstile kommunizieren nicht wirklich miteinander. Wobei es immer einfacher ist, von Mozart auf Czernowin umzuswitchen als umgekehrt. Czernowin durchzieht auch einige der Mozart-Teile mit ihrer Musik, was allerdings einmal irritierend klingt, weil man meint, die Drehbühne quietsche.

Dezente Videoprojektionen

Die Regie verschränkt genial, sodass Palast und schwarzleerer Bühnenraum sich immer mehr durchdringen, zum Schluss reißt Soliman die Palaststoffe wütend runter. Die Bühne wird immer abstrakter, der Hinterraum mit den Projektionsmaschinen öffnet sich. Es gibt wenige Male dezente Videoproduktionen von einer wohl orientalischen Stadtansicht, von Landschaften, die aus Palästina sein könnten. Es schieben sich zwei Bühnengerüste rein. Nachdem der Mann und die Frau von der Gruppe bedrohlich umringt wurden, stehen sie getrennt voneinander je auf einem Gerüst.

Chaya Czernowin in der Premiere

Es wird hervorragend gesungen und musiziert. Osmin Pawel Lawreszuk ist mit seiner Lacharie geradezu herrlich komisch. Dem Regisseur gelingt es aber vor allem, durch seine Erzählweise der aus zwei unterschiedlichen Epochen zusammen kommenden Handlungen einen überzeitlichen Konflikt darzustellen. Seine Personenregie sorgt für Spannung und Bewegung auf der Bühne, ohne überbordend zu wirken. Und auch das Parkett wird einmal erobert. Das Ende besiegelt ein anhaltender Cluster im Chor, der versteinert innehält. Der Tyrann Soliman geistert durch das eingefrorene Standbild wie aus der Zeit gefallen. Für Despoten ist kein Raum mehr… Großer Applaus für diese Aachener Leistung. (Siehe auch klassikfavori-Artikel) Und auf der Bühne werden nicht nur die Sänger, die Dirigenten und das Regieteam gefeiert. Auch Chaya Czernowin, die zu dieser Premiere angereist ist!

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