Radioaktives Rheingold! – Konwitschny inszeniert die vorletzte Oper seines Dortmunder Rings!

So hat wohl noch keiner Alberich in Richard Wagners Vorabend des „Rings“ erlebt! (Siehe Titelbild. Foto: Thomas M. Jauk) Als Rockefeller-Unternehmer-Typ sitzt er im Chefsessel. Er treibt seine Nibelungen-Techniker ins Geheimlabor und bastelt an der Atombombe! (Von Sabine Weber)
(9. Mai 2024, Theater Dortmund, Premiere im Rahmen von „Wagner-Kosmos“) Nicht von ungefähr erinnert das Nibelheim in Dortmunds Rheingold-Premiere an Manhattan. Altmeister Peter Konwitschny übt – wie kann es anders sein – Kapitalismuskritik! Genauer Kritik am Surveillance-Kapitalismus. Vor dem Manhattan-Panorama in Fritz Langs Metropolis-Optik angedeutet (Bühne und Kostüme: Jens Kilian) sitzt er in seiner Schaltzentrale in Anzug und Goldkrawatte und streicht und tippt auf seinem Ipad. Mittels des von ihm geraubten Rheingolds hat er den digitalen Überwachungsfortschritt eingeleitet, mit Atomkraft sichert er seine Weltherrschaft.

Das Rheingold strahlt gefährlich
Tommi Hakala (Wotan), Ks. Matthias Wohlbrecht (Loge). Foto Thomas Jauk

Die germanischen Götter tauchen dort als Fred-Feuerstein-Witzfiguren auf. Mit wackelnden Köpfen bewegen sie sich slapstickartig, denn in ihren Fellumhängen sind sie hoffnungslos in der Steinzeit zurückgeblieben. Alberichs Reichtum wollen sie rauben, um ihren Fortschritt zu bezahlen, nämlich die über ihre Verhältnisse gebaute Luxus-Immobilie zu finanzieren. Dabei sind sie als Unwissende dem gefährlichen Potential, das Alberich entwickelt hat, gar nicht gewachsen: radioaktive Sprengkörper. Das Rheingold strahlt gefährlich.

Köstlich unterhaltsam

So köstlich unterhaltsam, spritzig-witzig ist das Rheingold schon lange nicht mehr über eine Bühne gegangen. Natürlich schmunzelt das Publikum, als sich der Vorhang zur zweiten Szene öffnet, Fellhütten und Tippi eine Steinzeit-Siedlung zeigen. Fricka im Wilma-Feuerstein-Look ihren Gatten aus der Fellhöhle zieht, der sich mit Knochen in der Hand  seinen Rücken kratzt.

Die Dortmunder Götterwelt mit den Riesen am Steinzeit-Tisch. Foto: Thomas Jauk
Alberich als Steinzeit-Angler

Das Publikum zeigte sich zuvor schon köstlich amüsiert über Alberich als Steinzeit-Angler, der seine Rute in den Graben hält, zum ewig wabernden Es-Dur des Vorspiels gelangweilt gähnt und einschläft. Gleich die erste Szene spielt nur mit den Wellenwürfen des knallroten Vorhangs – unter und durch den die Rheintöchter lugen und hervorkommen. Alberich jagt sie später eine Leiter hoch und runter, die hinter dem leicht geöffneten Spalt des Vorhangs im Dunkeln steht. Zum Ende der Szene öffnet sich dann eine überwältigend gelb-strahlende Bühne, auf der ein Goldstoffteppich liegt, in dem die Rheintöchter wühlen. Alberich, nachdem die Töchter das Entsagungsgeheimnis achtlos Preis gegeben haben, entführt eben mit dieser Entsagung sich selbst und den Stoff am Karabinerhaken und wird nach oben gezogen.

„Weiser du, als witzig wir sind“

„Bist zwar weiser du, als witzig wir sind“ wirft der Riese Fasolt Wotan vor die Füße. Der Witz steckt bei Wagner in vielen ernsten Details. Und Konwitschny stellt Wagners Witz in vielen Bildern und kleinen Regieeinfällen köstlich aus, hinter denen zumeist bittere Erkenntnisse stecken, und immer auf und mit der Musik. Die kommt unter der Leitung von GMD Gabriel Feltz ungewöhnlich pointiert aus dem Graben. Die Streicher der Dortmunder Philharmoniker sind oft zurückgenommen, die Holzbläsern klingen oft wie verzerrt, schreiend überbetont oder die Tuba im Wurmverwandlungsakt so laut, dass man meint, sie sei künstlich verstärkt. Diese auch mit vielen genau gesetzten Pausen durchsetzte Interpretation fügt sich zu der leicht überzogene Bilderwelt. Beides hat etwas Comicverhaftetes. Der Wurm-Auftritt ist übrigens genial gelöst. Durch Lichteinfall wird der vergrößerte Schatten Alberichs mit iPad in der Hand ins Manhattan-Panorama vergrößert. Die Verkleinerung der Kröte wird nicht durch die Kröte, sondern durch den vergrößerten Schatten von den Fellgestalten Loge und Alberich gezeigt, die ihre Krallenhand wie Murnaus Nosferatu nach vorne schieben, um die Kröte zu fangen.

Das Ensemble

Immer wieder erstaunen Details, die einem in einer bestimmten Inszenierung auffallen. Hier ist es der Mann-Frauen-Konflikt. Wotan verschachert Frickas Schwester Freia (Irina Simmes) an die Riesen unter Ausschluss der Frauen, was Fricka (mit rund vollem Volumen Ursula Hesse von den Steinen) ihm zum Vorwurf macht. Die Verjüngung ist verkauft. Die Neandertaler-Götter gehen deshalb am Stock. Alle singen sehr textverständlich. Das ist auch wichtig. Charaktertenor Ks Matthias Wohlbrechts Loge unter Biberfellmütze ist mit seiner leicht nasalen Stimme ein windiger Steinzeitschmierfink und Scout zwischen den Welten. Wotan (Tommi Hakala für Michael Kupfer-Radecky eingesprungen) scheint etwas schwer von Begriff, hat statt Speer ja auch nur einen gigantischen Knochen zur Hand. Donner (Ks Morgan Moody) und Froh (Sungho Kim) werden von den Riesen durcheinander gewirbelt und abgewehrt. Denis Velev beeindruckt als Fasolt wieder mit seiner fundamentalen Bassstimme, und es ist so rührig, wie er in einer absteigenden Sequenz schüchtern Fricke mit abgewendetem Kopf einen Blümchenstrauss anbietet. Joachim Goltz ist ein stimmlich wirklich großartiger Alberich. Konwitschny stellt seine Figur, wenn auch ganz anders als Romeo Castellucci in seiner Brüssler Inszenierung aus dieser Opernsaison, in den Fokus.(Siehe kf-Besprechung von Castelluccis Inszenierung für Brüssel)

Alberich ist der Zivilisierte, die Götter stecken in der Steinzeit fest

Alberich ist der durch Fortschritt der Zivilisierte, die Götter die hoffnungslos in der Steinzeit stecken Gebliebenen, die in der Hier-und-Jetztzeit allenfalls durchgeknallt in Rollstühlen ankommen. Natürlich gibt es bei Konwitschny Brechtsche Einlassungen. Mehrmals geht das Licht an, das Publikum wird direkt angesprochen. Lumpen-Erda (Melissa Zgouri) zieht mit Kinderschar ein, steht sie doch für die Liebe zu den Menschen und zur Natur. Und wickelt dann ziemlich lächerlich ein Puppenbaby. Flugblätter rieseln beim musikalisch fulminanten Einzug nach Walhall von oben „Falsch und feige ist was da oben sich freut“. Die sechs Harfen, je drei rechts und links im Proszenium sichtbar aufgebaut, wuseln über die Zaubersaiten, während die Rollstühle ihrem imaginären Zielpunkt zurollen. Eine Ecke buht heftig. Ansonsten begeisterter Applaus. Die Opern-Intendanten aus Dresden und Köln werden gesichtet. Eine Frau hinter mir regt sich kolossal auf und erklärt mir dann, dass sie als Konwitschny-Fan aus München angereist sei und nicht verstehen könne, wie der Kritiker neben ihr einschlafen konnte.

Dieser Wagner zum Lachen hat, wenn auch diesen Kritiker gelangweilt, aber durchaus die Gemüter bewegt. Im nächsten Jahr gibt es die Götterdämmerung, Die Walküre und Siegfried hat Konwitschny bereits zuvor inszeniert. Und dann gibt es aber auch zwei Mal an vier Tagen (22.05.25 bis 25.05.25 und 29.05.25 bis 8.6.25) die gesamte Tetralogie!

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