Alle Charaktere sind problematisch! Ted Huffman zum zweiten Mal an der Kölner Oper

Ted Hufmann. Foto: Dominic Mercier

Ted Huffman bildet zusammen mit Komponist Philip Venables ein erstaunliches Duo. 2016 entwickeln sie die erste Oper nach einem Schauspiel von Sarah Kane. „4.48 Psychosis“ katapultiert  Komponist Venables in der Karriere nach oben, wie auf klassikfavori nachzulesen (STRASBOURG, SEMPER 2). 2019 dann die zweite Oper des Komponist-Regisseur-Duos nach einer realistischen Begebenheit zweier russischer Teenager, die von zuhause abhauen und in ihrem Hüttenversteck von Sicherheitspolizisten erschossen werden. Zu „Denis & Katya“ verfasst Ted Huffman auch das Libretto. Nach der Uraufführung in Philadelphia startet eine beachtliche Europatournee. Letztes Jahr wandert die dritte Venables-Huffman-OperThe Faggots and Their Friends Between Revolutions“ vom National Festival in Manchester nach Aix-en-Provence, zu den Bregenzer Festspielen, nach London South Bank, zum Holland Festival und ins Ruhrgebiet auf die Ruhrtriennale. Nächstes Jahr steht das vierte Opernprojekt an: „We are the lucky one“. Eine weitere und völlig neue Kreation, zu der Huffman wie zuvor das Libretto verfasst.

Kann zwischen diesen aufregenden Erfolgen Monteverdis „L’Incoronazione di Poppea“ reizen? Vor allem, weil die Produktion vom Festival Aix-en-Provence zum wiederholten Male aufgeführt wird. Wie oft, erfahren Sie in folgendem Klassikfavori-Interview.

(Die Fragen stellt Sabine Weber)

Ted Huffman: Sie kam von Aix-en-Provence nach Rennes und auch nach Versailles und Valence… Köln ist die fünfte Station dieser Produktion…!

Für mich ist Monteverdi der „zeitgenössischste“ Komponist überhaupt. Der Opernstil, der im 17. Jh entworfen wurde, vor allem der venezianische, war ein absolut offener, und wirkliches Musiktheater. Danach verschlechterten sich die Bedingungen. Oper drehte sich um äußerlichen Dekor, in einer immer traurigeren Art wie ich finde. Davon müssen wir uns wieder befreien und uns wieder darauf besinnen, für wen Oper überhaupt komponiert wird. Monteverdi schrieb seine Opern in Venedig für ein zahlendes Publikum. Die Oper musste also Menschen betreffen, und zwar in einer direkten Art und Weise. Die Leute zahlten ja dafür.

L’Incoronazione di Poppea ist eine römische Geschichte. Und Sie sind jetzt in Köln, der zweitältesten Stadt Deutschlands und römischen Ursprungs.
Hatten Sie mal Zeit, irgendetwas zu besichtigen und zu sehen? Übrigens ist Agrippina die Stadtgründerin und war die Mutter Neros, um den es in der Oper geht.

Das ist ja interessant. Nein, ich habe noch nichts Römisches hier in Köln gesehen. Aber ich war im Kolumba-Museum, und da sind unterirdische Fundamente zu besichtigen. Die zeitgenössische Architektur darüber spricht wunderbar direkt aus den Ruinen. Das liebe ich sehr. Das ist einer meiner bevorzugten Plätze in Köln!

Also haben Sie etwas gesehen, nämlich dass sobald man in Köln in die Tiefe bohrt, römische oder mittelalterliche Fundamente auftauchen. L‘Incoronazione ist ein wilder Stoff über die skandalöse Liebe des römischen Kaisers Nero zu Poppea, die es dann sogar schafft, gekrönt zu werden. Haben Sie die Geschichte aktualisiert?

Ich habe mich dieser Geschichte als moderner Erzähler genähert. Dramaturgisch ist sie so angelegt, dass sich eine Gruppe von Menschen die Geschichten wieder erzählen. Es gibt keinen präzisen zeitlichen Bezug. Die Erzählenden sind zeitgenössisch angezogen. Aber es soll ein Schauspiel ohne realen Zeit- und Ortsbezug sein. Die Charaktere machen die Geschichte. Und vor allem soll nie das Gefühl entstehen, das sei etwas Historisches.

Poppea und Nero. Produktion Aix-en-Provence. Foto: Ruth Walz
„Alle Charaktere sind in einer gewissen Art problematisch, böse und doch auch schön“
Ein mächtiger Mann, der seine Frau los werden will, um seine Liebe an seiner Seite zu haben, das könnte überall passieren.
Monteverdi gönnte Poppea eine warme lyrische Sopranpartie. Wie gehen Sie mit dem Widerspruch einer sympathischen Stimme und einem widerlich machtgeilen Charakter um?

Ich liebe diese Oper genau aus dem Grund! Alle Charaktere sind in einer gewissen Art problematisch, böse und doch auch schön gezeigt. Also gibt es keine einfachen Erklärungen. Das ist wie im Leben. Im Leben gibt es nicht nur gute oder schlechte Menschen. Wir machen gute und schlechte Sachen. Und erst dadurch, dass wir Menschen in die eine oder andere Kategorie stecken, entstehen gesellschaftliche Probleme. Ich liebe Monteverdis Sichtweise. Alle wollen in einer gewissen Hinsicht Liebe, Erfolg. Nero ist in eine Situation geboren worden, die ihn zu einem verdorbenen Kerl gemacht hat. Aber auch er will Liebe. Ich versuche in dieser Produktion zu zeigen, wie widerlich er agiert, aber auch wie liebevoll er sein kann. An diesen Widersprüchen bin ich interessiert.

Kein schwarz und weiß!
Sie erarbeiten mit dem fünften Ensemble Ihre Inszenierung. Inwiefern inspirieren Sie neue Sänger?

Bevor ich dazugestoßen bin, ist schon viel Arbeit vom Team in Köln erledigt worden. Und die Hälfte der Solisten hat die Inszenierung vorher schon einmal mit mir erarbeitet. Das hilft auch der anderen Hälfte in Bezug auf die psychologischen Details, die mir wichtig sind und wie auf der Bühne agiert und gespielt werden soll.

Es hilft also, Ihre Vorstellung ins Stück zu bringen wenn Jake Arditti wieder Nerone, Laurence Kilsby Lucano singt und Paul-Antoine Bénos-Dijan wieder dabei ist. Oder wollten diese Sänger auch mal etwas Neues versuchen?

Sie reagieren natürlich auf neue Mitsänger, einen neuen Dirigenten, aber sie atmen vor allem die Idee meiner Inszenierung.

Und wie gehen Sie mit der Rolle der Arnalta um? Die Amme ist eine der ersten Travestierollen der Operngeschichte?

Es ist natürlich eine sehr komische Rolle. Wir sehen da fast einen Clown…

Ein Mann oder eine Frau?

Es ist ein Mann, der eine Frau spielt (John Heuzenroeder aus dem Kölner Ensemble. Anm. der Klassikfavori-Red.). Und das verstecken wir nicht.

Kölns spezielle Bedingungen
Hier in Köln gibt es spezielle Bedingungen. Sagen wir eine Weitwinkel-Panoramabühne. Und nur ein Bühnenbild ist möglich, weil es keinen Schnürboden gibt. Mussten Sie etwas ändern?

Nein, wir haben nichts geändert. Wir haben uns an das Staatenhaus angepasst. Die Decke ist sehr viel niedriger als dort, wo wir bisher gespielt haben. Bis auf Formmaße haben wir aber nichts geändert.

Wie sind Sie überhaupt Opern-Regisseur geworden. Sie sind ja in New York geboren?

Ich habe als Kind viel Musik gemacht…

… klassische Musik?

Ja, und viel Theater und Oper. Ich habe Klavier gelernt. Als Kind habe ich in Kinderchören gesungen. Viel gesungen und auf der Bühne auch gespielt, eigentlich habe ich damit nie aufgehört.

Übernehmen Sie auch Schauspielregie-Aufträge?

Ja, ich arbeite jetzt zwar oft in der Oper, aber einige Male pro Jahr reserviere ich fürs Schauspiel. Ich habe gerade Street Scene von Kurt Weill in Paris an der Opera de Bastille gemacht. Da gibt es auch sehr viel gesprochenen Text. …

Hat Philip Venables irgendwie Ihren Zugang zur Oper auch mitbestimmt?

Ich habe mich schon mit Oper beschäftigt und in Opernhäusern gearbeitet lange bevor Philip es tat. Wir waren bereits fünf Jahre befreundet, bevor er die Gelegenheit bekam, eine Oper zu schreiben. Wir besuchten gemeinsam Opernvorstellungen und entwickelten und teilten eine Sichtweise, lange bevor wir unsere erste Oper machen konnten. Und dann bekamen wir die Chance. Das war die Kammeroper 4.48 Psychosis. (An der Oper Mainz im April 2025 auf dem Plan. Anm. der Klassikfavori-Red.)

Klingt, als hätten Sie mal zusammen gelebt?

Wir haben nie in einer Stadt zusammen gewohnt. Er war oft in London, ich war oft in Berlin. So sahen wir uns immer wieder.

Sie planen wieder eine neue Oper. We Are The Lucky Ones. Liegt ihr ein Schauspiel zugrunde? Und dürfen wir schon ein paar Informationen darüber bekommen? Wo wird sie uraufgeführt?

Es ist nicht über eine Schauspiel, sondern die Dramatikerin Nina Segal und ich schreiben zusammen das Libretto. Die Oper wird in Amsterdam an der holländischen Nationaloper uraufgeführt werden. Sie basiert auf Interviews mit Menschen, die in den 1940ern geboren wurden. Wir befragten sie über ihr Leben, ihre Vergangenheit, ihre Zukunft. Uns interessiert der „aktive Blick” auf das eigenes Leben. Wie kann zurück geblickt werden? Im übergeordneten Sinne geht es um Distanzen, die sich zu den jüngeren Generationen entwickeln.

Und welche Musik spielt dazu?

Neue Musik!

Das nehme ich an. Leicht wird es für Philip Venables nicht sein, Erinnerungsreden Musik beizusteuern…

Wir haben die Leute zu Dingen befragt, die so wichtig in ihrem Leben waren, dass sie einschneidende Veränderungen verursacht und emotional bewegt haben. Einige sind ja im Krieg geboren worden und haben frühe Erinnerungen. Die sind sehr beeindruckend.

Die Charaktere erzählen nicht nur, sondern werden ihre Erinnerungen auch spielen?

Es wird etwas dazwischen sein. Eine Art Reportage und ein „Acting out“.

 

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