Ecce homo Alberich! Castellucci eröffnet seinen Brüsseler Ring!

Es ist der erste Ring von Regisseur Romeo Castellucci. Und nicht von ungefähr verwirklicht er ihn am De Munt/ La Monnaie in Brüssel. Hier hat er 2011 sein Regiedebüt mit Wagners „Parsifal“ gegeben. Inszenierungen von Glucks „Orphée et Eurydice“ 2014, der „Zauberflöte“ 2018 und Honeggers „Jeanne d‘Arc au bûcher“ 2019 folgten. In dieser und der nächsten Saison schmiedet er also einen belgischen Wagner-Ring. Im wahrsten Sinne des Wortes, wie im „Rheingold“ gestern zu erleben war. Maschinenbauer unter Sicherheitshelmen biegen live an einer Drehmaschinenwerkbank gewaltige Eisenstangen zu Riesenringen. Das omnipräsente Symbol. Auch eine Metallsäge kreischt auf und schneidet in das Metall. Der stets asketisch schwarz gekleidete Regisseur mit dick schwarz umrandeter Brille und dunkel-dichtem Haar liebt das Drastisch- Realistische. Alberich gilt seine besondere Aufmerksamkeit. Seiner Versehrtheit, seinem Versagen, seinem Bloßgestellt werden. (Von Sabine Weber)

(24. Oktober 2023, De Munt/ La Monnaie, Brüssel) Ecce homo! Alberich ist ein „Man of Pain“ – ein Schmerzensmann – für Castellucci, wie er in einem kurzen Meeting vor der Premiere verrät. Und so steht Alberich in einem zentralen Moment seiner ersten Rheingold-Inszenierung überlistet und völlig entblößt ganz nackt da und schreit wie ein verletztes Tier. Seine ekligen Hautlappen sind ihm abgezogen worden, er ist vom Monster zum Mensch geworden. In der vierten Szene wird er von Loge mit schwarzer Farbe übergossen an einen der Stahlringe gefesselt und mit lang gezogenen Armen im Ring hochgezogen. Muss das nicht wehtun? Scott Hendricks, ohne Bodenkontakt, singt auch noch. Er gibt hier ein beeindruckendes Alberich-Rollendebüt und übersteht die hochnotpeinliche Befragung mit stimmlicher Bravur wie die gesamte Partie an diesem Abend.

Die Götter sind bei Castellucci am Ende des Rheingolds bereits erledigt

Castellucci liebt drastisch-realistische Momente, die die Menschen in ihrer Not ausstellen. Immer bietet sich dann auch eine Perspektive an, die Anteilnahme jenseits des Voyeurismus einfordert. Eines der betroffen machenden menschlichen Bilder zeigt Mime, wie er sich an die Mauer presst und entsetzt schaut, wie sein einstiger Peiniger Alberich jetzt noch grausamer gepeinigt wird als er selbst von ihm. (siehe Bildergarlerie vom La Monnaie) Er hat ihn nämlich an die Götter verraten. Das hat er nicht gewollt. Wenn ein Mensch, egal wie schlecht er ist, derart gedemütigt wird, wächst Hass ins gefährlich Unermessliche. Während Alberich Wotan verflucht, schmiert der Gedemütigte ihm zu Recht schwarze Farbe ins Gesicht. Der weiße Gott hat sich durch sein Verhalten beschädigt. Die Götter, die zu diesem Zeitpunkt in weißen Gewänden stecken, begehen nicht von ungefähr quasi sektiererischen Selbstmord. Sie stürzen sich mit ausgebreiteten Armen rückwärts fallend in ein schwarzes Loch. Dazu erklingt die jubelnd wabernde Triumphmusik zum Einzug in die Götterburg, deren Bau Wotan erst in Schieflage gebracht hat. Die Götter erledigen sich, während die Musik sie feiert! Eine logische Konsequenz in dieser Inszenierung.

Das Spiel mit der eigenen Monstrosität

Castellucci zeigt im Rheingold, wie er mit frei assoziierten  Symbolen wirkmächtig umzugehen versteht. Und die Menschen – auch die Götter sind es – lässt er sich an sich abarbeiten. Alle weiteren Ring-Folgen sollen übrigens losgelöst voneinander ins Bild gesetzt werden, hat er angekündigt. Hier werden also erst einmal Orangen zertreten, weil Wotan die Fruchtbarkeitsgöttin an die Burg-Erbauer Fasolt und Fafner verhökert. Wenn zwei schwarze Riesenkrokodile wie Fleisch beim Metzger an Haken, hier an Schienen hängen und von den Riesen am Schwanz gepackt verschoben werden, so spielen sie mit ihrer eigenen Monstrosität.

Die Götterriege wird gedoubelt

Die Götterriege wird beim Auftritt der Riesen übrigens von jugendlichen Darstellern gedoubelt. So wirkt sie schmächtig gegenüber den Riesen, die wie Hafenarbeiter aus den 1920ern mit entblößtem Oberkörper und Hose mit Gürtel unter den Rippenbögen daher stampfen. Wotan singt dann aus dem Off, was etwas schwach klingt, während die Doubles „frozen“ Standbilder  einnehmen. Später werden die Götter auch von alten Menschen ersetzt, die am Stock herein tippeln. Das tun sie auch zum Endapplaus, ist also echt!  Da stehen sie als Rentnergang an der Rampe und bewegen die Münder zum Gesang aus dem Off. Herrscher, die das Alter normal gemacht hat.

Castelluccis Brüsseler Ring
Auf dem schrägen Relief ist der siebenarmige Leuchter vom Titusbogen in Rom zu sehen. Das Beuterelief zeigt den Leuchter aus dem Tempel in Jerusalem, der kurz darauf zerstört wird. Davor Gábor Bretz (Wotan), Marie-Nicole Lemieux (Fricka). Foto: Monika Rittershaus

Castellucci evoziert mit seinen Bildern Atmosphären, auch wenn man nicht immer so genau versteht, was er sagen will. Es bannt aber die Zuschauer in die Beobachtung hinein. Die schmutzig-braune, dennoch gleißende Wand, erhebt sich mit Ringausschnitt über dem Schatten Alberichs. Er hat das Rheingold an sich gebracht (siehe Titelbild). In der zweiten Szene lässt Castellucci mit antiken Riesenreliefs eine helle – tote – Museumslandschaft entstehen. Lebendige Körper rollen am Boden. Die Reliefs wie der siebenarmige Leuchter vom Titusbogen in Rom sagen Untergang voraus. Museal im Untergang gefangen und stapfen und wanken über das am Boden liegende fleischfarbene Leben hinweg. Sie selbst sind zu diesem Zeitpunkt in schwarz gekleidet, die Männer stecken in japanischen Kampfröcken. Das scheint gerade Bühnenmode zu sein, bietet aber auch eine Verbindung zu Rituell-Militärischem, ohne Pickelhaube und Tarnfleckenanzug zu bemühen. Es gehört zu Castelluccis Spieltrieb, immer auch die Kulisse aktiv ins Spiel zu bringen. Einige Reliefs fallen zu Boden und erdrücken Leiber, die sich dann mit Last in Bewegung setzen. Und es muss immer Bühnennebel geben.

Magische Momente
Castelluccis Brüsseler Ring, die Rheintöchter.
Scott Hendricks (Alberich) und die Rheintöchter. Foto: Monika Rittershaus

Die Rheintöchter im Prolog sind nur mehr goldüberzogene schemenhafte Körper im Dunkel. Ergänzt durch drei ebenso ausgestattete Tänzerinnenkörper sind sie das personifizierte Gold. Es regnet oder rieselt im Bühnen-Schwarz, was durch die Beleuchtung wie ein Unterwasserszenarium wirkt. Castellucci, Regisseur, Bühnen- und Kostümbildner, ist auch sein eigener Beleuchter. Ein Riesenring kollert übrigens noch vor dem Vorspiel in der Mitte des schwarzen Bühnenausschnitts und produziert immer schneller werdende Rhythmen, bis der Ring schließlich flach liegt. Stille. Danach drückt sich das Es-dur der Kontrabässe im völligen Dunkel langsam durch. Der Goldrahmen um den Bühnenausschnitt leuchtet mit den ersten füllenden Akkordtönen. Das alles wirkt wie noch selten erlebt. Ein magischer Moment gleich zu Beginn.

„Ausdrucksstarke Filmmusik“

Ein erster von vielen, den Alain Altinoglu mit dem Orchestre Symphonique de la Monnaie sensitiv mitgestaltet. Er sorgt für „ausdrucksstarke Filmmusik“, allen Notenfehlerchen zum Trotz. „Wagner ist der Erfinder der Filmmusik“, behauptet Castellucci. Und so lässt Altinoglu musizieren . Die Sänger werden vom Sound jedenfalls in jedem Moment sorgsam getragen, werden nie übertönt, und die zu den Personen aufscheinenden Musikfarben kommen just aus der Ecke des Orchestergrabens, an der sich oben die sie betreffenden Personen befinden. Wenn es sein darf, kostet Altinoglu auch gewaltiges Fortissimo aus. Er ist übrigens nach Boulez erst der zweite Franzose, der in Bayreuth dirigiert hat.

Für alle ein neues Ring-Abenteuer

Für Altinoglu ist es aber ebenso der erste Ring, wie für Castellucci und die Sängerriege. Nickey Spence als Loge artikuliert überaus deutlich, bewusst überzogen. Er ist in seiner Schuluniform so ein bisschen der intellektuelle Komiker der Szenerie, der sich von der Götterriege auch optisch absetzt, mit Farbbeuteln respektlos auf historische Wagnerdarsteller wirft, die auf großen schwarz-weißen Bildtafeln herein getragen werden. Als einziger fällt er nicht ins Loch, sondern geht von der Bühne ab. Scott Hendricks fulminanter Alberich wurde schon erwähnt. Peter Hoare als Mime ist ihm in seiner viel kleineren Rolle ebenbürtig. Alle anderen Sänger singen leider nicht textverständlich. Und die französischen Übertitel irritieren manches Mal. So wird „gebunden“ mit „terrorisé“ übersetzt. Gábor Bretz leiht Wotan ein edle Gestalt und edles Timbre, hätte aber etwas mehr Durchschlagskraft haben dürfen. Marie-Nicole Lemieux als Fricka ist souverän, lässt nur ein kleines Zittervibrato in der Stimme erklingen. Ante Jerkunica ist stimmlich ebenso gewaltig wie körperlich und wird zum Duo Fasolt-Fafner von Wilhelm Schwinghammer ergänzt.

Ein grandioser Auftakt

Castelluccis Brüsseler Ring

Das Publikum reagiert einhellig begeistert auf diesen Ring-Auftakt. Castellucci erweist sich mal wieder als ein Meister der Magie. Und nie kippt etwas ins Banale. Es bleibt immer ein Rest Mysterium. Die technische Umsetzung einiger Ungeheuerlichkeiten wie das Niederkrachen eines der Riesenkrokodile genau neben dem erschlagenen Fasolt klappt perfekt! Auch das Technikteam der Brüsseler Oper ist zu loben. Und wieviele Beteiligte hinterher die Bühne füllen! Nebst den Bühnenarbeitern ein Wagner-Heer! Der Applaus will am Ende nicht aufhören.

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