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Ecce homo Alberich! Castellucci eröffnet seinen Brüsseler Ring!

Es ist der erste Ring von Regisseur Romeo Castellucci. Und nicht von ungefähr verwirklicht er ihn am De Munt/ La Monnaie in Brüssel. Hier hat er 2011 sein Regiedebüt mit Wagners „Parsifal“ gegeben. Inszenierungen von Glucks „Orphée et Eurydice“ 2014, der „Zauberflöte“ 2018 und Honeggers „Jeanne d‘Arc au bûcher“ 2019 folgten. In dieser und der nächsten Saison schmiedet er also einen belgischen Wagner-Ring. Im wahrsten Sinne des Wortes, wie im „Rheingold“ gestern zu erleben war. Maschinenbauer unter Sicherheitshelmen biegen live an einer Drehmaschinenwerkbank gewaltige Eisenstangen zu Riesenringen. Das omnipräsente Symbol. Auch eine Metallsäge kreischt auf und schneidet in das Metall. Der stets asketisch schwarz gekleidete Regisseur mit dick schwarz umrandeter Brille und dunkel-dichtem Haar liebt das Drastisch- Realistische. Alberich gilt seine besondere Aufmerksamkeit. Seiner Versehrtheit, seinem Versagen, seinem Bloßgestellt werden. (Von Sabine Weber) Ecce homo Alberich! Castellucci eröffnet seinen Brüsseler Ring! weiterlesen

Existentielle Metamorphosen! Romeo Castelluccis Sicht auf Arthur Honeggers „Jeanne d‘Arc au bûcher“ am La Monnaie/ De Munt in Brüssel!

Kriegerische Amazone, arme Bauerntochter, besessene Jungfrau oder visionäre Heilige … Wer sie wirklich war, wissen wir auch nach den 100 Minuten in der Brüsseler Oper nicht. Regisseur Romeo Castellucci kratzt zwar an den Schichten, die sich im Laufe der Geschichte auf ihren Mythos, beziehungsweise um die inzwischen heilig-gesprochene Patronin Frankreichs gelegt haben. Er legt aber auch neue Projektionsflächen an. Erlebbar macht er vor allem einen Menschen, der einsam ist. Jeanne hat es in Konfrontation mit den Autoritäten gehörig mit der Angst zu tun bekommen. Und dass sie, wenn auch hier kontrolliert Amok läuft, weil sie politisch benutzt wird und dafür kläglich im Feuer sterben muss, ist nachvollziehbar. Ein Hauptverdienst des Abends geht auf das Konto der großartigen Schauspielerin Audrey Bonnet. Die Partie der Jeanne ist eine reine Sprechrolle. Audrey Bonnet durchlebt das in Jeannes kurzem Leben so tief gesunkene Hoffnungsbarometer bis in ein vorweg geschaufeltes Grab hinein mit hohem körperlichem Einsatz. Das sorgt für Kontrapunkte zu den über weite Strecken mystisch-magischen verklärenden Klangflächen. (Von Sabine Weber)

Hausmeister/ Jeanne. Foto: Bernd Uhlig
Bruder Dominique vor und Hausmeister/ Jeanne hinter der Tür. Foto: Bernd Uhlig

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Ruhrtriennale! Absurdes, groteskes, großartiges Musiktheater! Romeo Castelluccis spektakulär experimentelle Sicht auf Morton Feldmans Oper Neither in der Bochumer Jahrhunderthalle

Der Librettist bleibt meistens eine Schattengestalt. Der Komponist geht in die Annalen ein. Im Fall der Oper Neither von Morton Feldman, 1977 in Rom uraufgeführt, ist der Librettolieferant Samuel Beckett vielleicht der bekanntere. Der Protagonist des absurden Theaters (Warten auf Godot aus dem Jahr 1953) lieferte allerdings nicht mehr und nicht weniger als 16 Zeilen mit 87 Wörter! Absurd? Grotesk? Sicherlich! Aber die aphoristisch angerissenen abstrakten Bilder, die mit Paradoxien der Wahrnehmung spielen, korrespondierten exzellent mit der Idee einer abstrakten Musik von Morton Feldman. Klänge im Fluss, die immer in neuen Möglichkeiten aufscheinen, die weder so noch so, immer gleich sind und doch anders aufscheinen. (Von Sabine Weber)

(6. September 2014, Bochumer Jahrhunderthalle) Becketts Wörter, die von „inneren Schatten“ sprechen, die „äußere“ sind, von „undurchdringlichem selbst“, die zu einem ebensolchen „selbst“ durch das Wörtchen „weder“ finden wollen oder von Türen, die sich schließen, wenn man sich ihnen nähert und öffnen, wenn man sich entfernt – dieses Bild diente meistens als Rettungsanker bisheriger Inszenierungen – hat Morton Feldman in einer Sopranpartie so verarbeitet, dass sie unverständlich bleiben, und als Vokalisen oder Tonrepetitionen über den Orchesterklängen schweben. Der 1960 in Cesena geborene italienische Theatermacher Romeo Castellucci braucht aber keine Rettungsanker. In seinen Bildern stechen sich Männer gegenseitig ab, fahren Autos und Lokomotiven aus einer schwarzen Giebelwand heraus, lauern Gangster in Mäntel und Hüten einer Frau (die Sopranstimme) auf, entführen ein Kind, das von Ärzten auf einem Op-Tisch ausgeweidet wird, verschwindet die Frau auf mysteriöse Weise und ist im Raum nur noch als Stimme zu hören, bis sie am Ende nur noch mit einem Bein auf dem Boden sitzt und den Mund zu einem wortlosen Schrei geöffnet hat.

Castellucci entwirft einen Krimi in Film noir Ästhetik

In seinem Krimi in Film noir Ästhetik der 1940er Jahre geht es nicht wirklich um Tatmotive, auch nicht um die Erzählung einer tatsächlichen Geschichte. Es geht um Assoziationen, die ausgelöst das eben Wahrgenommen sofort wieder anders scheinen lassen. Übrig bleibt der Schauer und die Spannung im Erlebnis dessen, was immer wieder Überraschungen bietet. Das Unvereinbare einer vieldeutigen Wahrnehmung, der wir oft genug ausgesetzt sind, wenn wir vernunftgeleitete Regelkorsette abwerfen. Das bringt der radikale und innovative Regisseur in anschauliche Bilder! Dass er dabei auch die Jahrhunderthalle mit ihrem unglaublichen Hallentief und auch noch die Oberlichter – mittels eines außen aufgestellten Krans und darüber gehievten Scheinwerfern mit einbezieht, die ins Dunkel fahren und die einmalige Eisenkonstruktion ausleuchten, ist großartig. In der Halle gerät alles unter Verdacht und in bewegte Unsicherheit! Die Möbel, die von der schwarzen Giebelwand vor sich hergeschoben und wie von Geisterhand bewegt tanzen, bis hin zur Tribüne, die von einer Lok in schwenkenden Lichtkegeln nach hinten geschoben wird, bis die vorderen Reihen aufbrechen, sie in die Tribüne hineinfährt und sich und die Zuschauer mit Dampf einhüllt.

Feldman klingt stellenweise wie eine Bernard Herrmanns Psycho-Musik

Da muss man dann an das Bild der Lok denken, die 1885 in Paris die Wand des Gare Montparnasse durchbrach, ein Bild, das den Surrealisten als Fanal für einen möglichen Durchbruch in andere Realitäten diente. Beindruckend ist, wie Castellucci auch einzelne Textaussagen visualisiert. „Ungehörte Tritte einziger Laut“: graue Kumpels mit Stirnlampen marschieren mit einem fleischrosaroten Bein lautlos nach vorne und stellen es vor ein Mikrofon. Ein unglaubliches Schlussbild. „Dann kein Laut“ heißt es ja auch in der viertletzten Zeile von Becketts Libretto. Unglaublich auch, wie die Musik Feldmans stellenweise wie Bernard Herrmanns Musik zu dem Hitchcockfilm Psycho mit Castelluccis Bildern verschmilzt. Und der Psychozustand, der sich in dem Wort „Neither“ verbirgt, in einem nie sich gewiss sein können, „weder so noch so“ oder „weder noch“ zitiert Castellucci ganz am Anfang als Prolog vor dem Beginn der Oper Erwin Schrödingers Katze. Das war eine Versuchsanordnung von 1935 mit Kiste und einer Katze drin, die eine philosophische Erkenntnis der Quantentheorie veranschaulichen sollte. Nämlich die, dass unvereinbare Zustände, festgemacht an Beobachtungen von Atomen, übertragen auf das Beispiel von tot und lebendig, gleichzeitig möglich sind. Und sowohl eine tote wie auch eine lebendige Katze geistern durch den Abend! Zu erwähnen ist auch unbedingt, dass die Sopranistin Laura Aikin ihre hohe Sopranpartie bravourös gemeistert hat. Begleitet haben die Duisburger Philharmoniker unter der Leitung des Neuen Musik Spezialisten Emilio Pomarico, die den differenzierten Klängen und Motivspielen Morton Feldmans Leben eingehaucht haben.

Ein weiteres Theater der Abwesenheit – Goebbels Überthema seiner letzten Ruhrtriennale

Natürlich ist Neither keine Oper, in der es um menschliche Konflikte, tränenrührige Liebesgeschichten oder Eifersuchtsdramen oder Tugenden geht, die herausgestellt werden. Aber das hatte Ruhrtriennale-Intendant Heiner Goebbels ja auch für sein letzten Jahr angesagt, eine Art Theater der Abwesenheit. Also Oper mal ohne die ewig abgehandelten emotionalen Auseinandersetzungen. Und das kann funktionieren! Mit diesem Opernereignis ist jedenfalls dass Alleinstellungsmerkmal des Ruhrtriennalen-Konzepts als ein Festival mit unkonventionellen Bühnenumsetzungen unter Einbezug der einmaligen Industriedenkmäler, man müsste besser Industriekathedralen sagen, dick unterstrichen worden. Und so konsequent wie kaum ein Intendantenvorgänger vor ihm, hat Heiner Goebbels sich dem Avantgarde Musiktheater verschrieben – ohne gemütliche Zugeständnisse zu machen. Das ist mutig und großartig zugleich.