Die Oper ist kein Klimbim! Peter Konwitschny arbeitet szenisch mit angehenden Opernsängern, die er hautnah erfahren lässt, was Oper verhandelt, wenn die Regie sie ernst nimmt!

(20.- 22. Januar 2020, Hochschule für Musik und Tanz, Köln) Und als wollten sie dem Altmeister im Opern-Regiefach zum 75. Geburtstag, der war am 21. Januar, das schönste Geschenk machen! Die jungen Sängerinnen und Sänger werfen sich mit vollem Einsatz in die Szenen, die sie während des Meisterkurses mit Peter Konwtischny erarbeiten. Es wird gelitten, gestorben, gereizt, genervt, enttäuscht und Selbstmord vollzogen. Bei Konwitschny muss es immer um das „Eingemachte des Menschseins“ gehen. Das, was die Gesellschaft irritiert! Das „Politische“ im menschlichen Zwischenverhältnis muss ans Tageslicht kommen. Das, was das Miteinander letztendlich in Frage stellt, oder die Zivilisation bedroht, so umschreibt das Konwitschny unumwunden. Und es ist ihm sehr ernst mit der Sache. Und mit der Oper! Die Zivilisation steht vor dem Abgrund! Als sich eine Gruppe unbedarfter StudenteInnen während der Szenenarbeit als Zuspätgekommen nonchalant auf die hinteren Stuhlreihen einarbeitet, bekommt der Meister einen Schreianfall: „Das stööörttt!!“ Das haben zwar alle inzwischen von ihm gelernt, dass Wut besser ist als Depression! Dennoch zuckt der gesamte Meisterkurs in der Kölner Musikhochschule zusammen. Konwitschny staucht die Zuspätgekommenen nach Strich und Faden zusammen! Stille! Und dann wie aus dem Nichts, die Stimme ist wieder gesenkt: „Eine Jugend, die keine Perspektive hat, ist auch nicht pünktlich! Das war bei mir noch anders! Die müssen doch demotiviert sein“ – dafür sei Unpünktlichkeit ein Zeichen! „in dieser Verbrecherwelt!“ Und schon ist er wieder bei Wenzel aus der Verkauften Braut! Bei seinem auskomponierten Stottern, das er verliert, als eine andere ihn für das sieht, was er wirklich ist! „Er ist ein intelligenter Mensch!“ So Konwitschny. “Er wird nur gemobbt, weil er anders ist!” Jede Figur scheint er zu lieben! „Denk‘ an die Hände! Und nimm Dir die Zeit, die Du brauchst, um von ihr fasziniert zu sein! Ich glaube, es geht schnell, weil er intelligent ist“ Und dann lacht er. Ja, es wird auch viel gelacht. Das sind befreiende Momente in höchster Konzentration. Zum Publikum wieder ernst: „Übrigens ist Smetana im Irrenhaus gelandet, in der Psychiatrie, nicht weil er krank war, sondern weil er die Umwelt nicht haben wollte. Das ist gut zu wissen, denn das ist keine blöde Operette!“ Und Konwitschny ist wendet sich den Akteuren dieses Duetts Marie-Wenzel zu. Redet zu beiden, steht bei einem und flüstert ins Ohr. Und gleich müssen sie sie sich auch umeinander auf dem Boden wälzen. Wenn die Musik bei einer bestimmten Stelle ankommt.

Der Korepetitor Stephan Wehr. Foto: Sabine Weber

Stephan Wehr, der musikalische Leiter der Abteilung Musiktheater der Hochschule, Dirigent, jetzt unermündlicher Korrepetitor, setzt ein, gibt Einsätze, spricht Wörter vor, damit aus den unterschiedlichsten Positionen immer wieder ins Stück gefunden wird. Und immer wieder sind es neue Situationen und Begegnungen in den Szenen, die sich Konwitschny für diesen einmaligen Szenischen Meisterkurs ausgesucht hat.

Arbeit an der Romanze Ännchen aus Freischütz. Fotos: Sabine Weber

Die Romanze von Ännchen aus Webers Freischütz beispielsweise. Da gibt es ein Bratschensolo, wofür er auch einen Solisten geordert hat, der dann szenisch eingesetzt wird und erst einmal nicht weiß, wie ihm geschieht! „Für die Ironie lasse ich den Teufel kommen!“ Und den übernimmt der Bratschist!
Ein Soloklarinettist ist bei der berühmten Parto-Arie des Sesto aus Mozarts La Clemenza dabei, wo Sesto von Vitellia instrumentalisiert zum Mörder werden muss. Die Klarinette ist der Tod, seine verführerische und beschwichtigende Stimme. „Hier brauche ich auch die Vitellia! Wer spielt die Vitellia?“ Denn alle Einflüsse müssen in der Szene sichtbar werden, damit begriffen wird, was mit den Figuren wirklich passiert! Und Vitellia bekommt eine pink-rote Jacke, weil sie Königin werden will!

Arbeit an der Arie des Sesto “Parto, parto”. Fotos: Sabine Weber

Oft genug verrät es die Musik, worauf Konwitschny hinweist. Und da ist er ganz Sohn eines Dirigenten (Franz Konwitschny), der die Partitur in- und auswendig kennt. „Hier ein Quartsextakkord, hier ein Trugschluss, es ist noch nicht zuende! Haben Sie das gehört? Spielen Sie mal die Stelle! F-dur/ Des-Dur, eine Mediantenrückung, sie sind entrückt, woanders!“ Und man wüsste gern, ob hier alle folgen können, zumal die Muttersprachler in der Minderzahl im international besetzten Opernfach in Köln sind. Aber alle lassen sich packen. Probieren angebotene Gesten und Möglichkeiten rückhaltlos aus, und notfalls macht Konwitschny es vor, wirft sich sogar auf den Boden um zu zeigen, wie ein Toter realistisch liegt! Auch die Arbeit mit der Requisite ist alles andere als leicht, und eine falsche Übertreibung macht den Ansatz wieder kaputt. Da hat es keinen Zweck zu hetzen. Das braucht Zeit, die man sich heute nicht mehr nimmt! Konwitschny nimmt sie sich.

Arbeit an der Arie des Sesto “De per questo istante”. Fotos: Sabine Weber

Eine junge Belgierin muss in der Hosenrolle des Sesto diesmal in einer Rondo-Arie gleich vier Mal immer anders Selbstmord versuchen, bis Sesto aufgibt und mit Selbstironie regiert, was die Musik nahelegt. Am Ende einer Szenenarbeit vergisst Konwitschny dann nie zu loben, er bedankt sich. Und man nimmt es ihm ab, dass er berührt ist von dem Ergebnis, das ist ehrlich gemeint. Für ihn gibt es kein schöneres Geschenk als Opernszenen zu einem existentialistischen Erlebnis werden zu lassen. Für die Akteure und für die Zuschauer. Und da ist es fast erschütternd, welche Komplexität in diesen herausgelösten Momenten des Gesamtwerks, so heraus gearbeitet, stecken. Das ist ja gar nicht möglich, an einem Opernabend die Detailfülle hochgerechnet aufs Ganze zu verdauen, geschweige denn aufzunehmen. Ehrfurcht überkommt einen, und ein Staunen angesichts dieser Art akribischer Arbeit, der sich ein Regisseur wie Konwitschny seit über 5o Jahren verschrieben hat. Nicht zuletzt ist Konwitschny es gewesen, der in einem gerichtlichen Prozess auch erstritten hat, dass der Regisseur für seine Inszenierung ein Urheberrecht hat. Von welcher Warte aus die Konwitschny-Einfälle aus bereits erprobten Inszenierungen während dieses Meisterkurses die Probanden und Zuschauer erreichen, und wie sehr ihnen vielleicht manches Gesten-Vokabular abgeht, weil es ja gar nicht mehr der Hier-und-jetzt-Zeit zu entsprechen scheint, es geht um Ur-menschliche Ausdrucksarbeit. Den Dienst am Menschlichen, für den die dieser Meister rückhaltlos einsteht! Da hat sich an den Musikhochschulen wohl auch etwas getan, denn der szenischen Arbeit wird inzwischen ein Stellenwert in der Ausbildung beibemessen, was die Sängerinnen und Sänger in Köln dankbar annehmen. Die Hochschule für Musik und Tanz gibt da einen großartigen Weg vor, der nicht zuletzt auch Erfolge zeitigt! Die Absolventen der Opernklassen tauchen in den Ensembles der NRW Opernhäuser auf, wie Penny Sofroniadou ganz aktuell im Musiktheater im Revier oder Marie Heeschen im Bonner Ensemble. Und am Ende der ausgefüllten Tage hat jeder etwas von Konwitschny gelernt, über die Musik, über die Komponisten oder die seltsamen Wege in der Welt, die einen gefassten Plan unvorhergesehen in eine andere Richtung schwenken lassen. Konwitschny weiß allerdings genau, was er will. Und was seine Zielrichtung ist. Das formuliert er nach einem arbeitsreichen und fordernden Tag noch einmal aus. Und setzt sich hin, um in einem Interview seine Sicht von Regiearbeit noch einmal  zusammenzufassen. (Siehe Interview)