Der Held steif im Glaskasten – Dortmund zeigt Spontinis Fernand Cortez

Gaspare Spontini war ein erfolgreicher Opernkomponist. Im französischen Empire oder in Berlin werden dessen italienische Opern gefeiert. Er wurde von Kaisern hofiert. Und im Auftrag des französischen Kaisers Napoleon I. schreibt er 1809 auch „Fernand Cortez oder Die Eroberung von Mexico“, um Werbung für einen aktuellen französischen Feldzug zu machen. Dafür wird die Eroberung von Tenochtitlan, der Hauptstadt des Aztekenreiches, zum Thema und Fernand Cortez zur stilisierten Heldenfigur, die für Napoleon stehen soll. Mit wahrer Geschichte hat das nichts zu tun. Und die Oper-Propaganda zündet auch nicht, weswegen Spontini das Werk mehrmals umarbeitet, letztendlich auch wegen des Sturzes Napoleons. Eine dritte Fassung entsteht 1824 für Berlin, auf ein ins Deutsche übersetztes Libretto. Diese Fassung ist jetzt in Dortmund in französischer Fassung über die Bühne gegangen. (Von Sabine Weber)

Mirko Roschkowski (Fernand Cortez). Foto: Björn Hickmann

(7. April 2022, Theater Dortmund) Auch Oper kennt Fake news und Geschichtsklitterung! Die kann bewegend und beste Oper sein, wie Giuseppe Verdi mit seinem Don Carlo zeigt. Die Titelfigur war in Wirklichkeit ein debiler behinderter Infant und konnte kein Kämpfer für die Liebe oder die Freiheit der Niederlanden sein. Diese Oper diente auch nicht der Propaganda, sondern ist Verdis Begeisterung für Friedrich Schillers Dramen zu verdanken. Fernand Cortez zu einem guten Helden zu stilisieren, grenzt da schon eher an russische Putin-Propaganda. Cortez war nämlich einer der spanischen und portugiesischen Eroberer des südamerikanischen Goldes unter dem Deckmantel christlicher Mission, die mit der Vernichtung der Urvölker und ihrer gesamten Kultur endete.

Was fängt man also mit einem solchen Thema auf der Opernbühne an? Es werden die Konflikte gezündet, die Opernspannung ausmachen und die Spontini auch musikalisch auf dem Niveau seiner Zeit zünden lässt. Der Hass zweier Völker etwa, die unter anderem durch Führer aufeinander gehetzt und aufwiegelt werden und sich in großartigen Chornummern mit Gewitterstimmung entladen. Gefangene, die grob behandelt werden und ihr Leid mit der Sehnsucht nach der Heimat herzergreifend verbinden. Das Wort „patria“ kommt in der Zeit sehr gut. Dann natürlich die Liebesgeschichte über die Hassgrenze hinweg, zwischen spanischem Eroberer und aztekischer Prinzessin. Letztere setzt sich zudem dafür ein, dass spanische Geiseln von den Azteken nicht geopfert sondern freigelassen werden. Und natürlich begnadigt Fernand Cortez die aztekischen Geisel con clemenza.

Regisseurin Eva-Maria Höckmayr verzichtet auf Historismen und sperrt die Chormassen der gegeneinander kämpfenden Spanier und der Azteken in Anzug und Kostüm wie Museumsbesucher in einen goldenen Kasten (Bühne: Rolf Zeger). Einzig Amazily, eine mexikanische Prinzessin, die mit Cortez gemeinsame Sache macht, sowie der Aztekenherrscher Montezuma (Mandla Mndebele) und sein Feldherr Télasc, der Bruder Amazilys (James Lee), tragen Federkronen. Fernand Cortez, der Held (Mirko Roschkowski) tritt in historisierender Konquistatorenkleidung und Steifkragen auf. Und fährt im erleuchteten Glaskasten wie ein besonderes Museumsstück hinein.

Mirko Roschkowski (Fernand Cortez), Melody Louledjian (Amazily). Foto: Björn Hickmann

Der Regie von Höckmayr gelingt es über weite Strecken, die disparaten und ausladenden Musiknummern, darunter aber auch beeindruckende Duette, Terzette und Ensembles, im Blick lebendig zu halten. Amazily (Melody Louledjian) ist ihr roter Faden und der Geist dieser Inszenierung. Ihr Gesicht ist weiß getüncht, und sie schwebt auch als Geist durch die Szenen, auch wenn sie nicht beteiligt ist, am Schluss sogar durchs Zuschauerparkett. Sie ist auf der Suche nach ihrer Identität. „Je suis la conquerante, je sui la battante, l‘aide, la détratrice, faiseuse…“ Schon bei der ziemlich langen Ouvertüre im imperialistischen Romantikstil, mit Marschanteil, aber auch quirligen Bläsern und abgedunkelten Stellen, die musikalische Entsprechung eines Historienschinken von Delacroix, hebt sich der Vorhang und Amazily beginnt, mit blutig-roten Fingern auf die goldene Wand zu schreiben und Schriftzeichen zu überschreiben. Ein Hund bellt und verhallt am Ende. Später wird ein Hund von einem Kind – das gemeinsame Kind von Cortez und Amazily? – ausgestopft hineingezogen. (Haben die Spanier die Hunde in Südamerika eingeführt?) Nach der Pause posen die Protagonisten auch mal in gestellten freeze-Bildern. Die Damen des Aztekenchores, mit Geschenkschleifen dekoriert (Kostümbildnerin Miriam Grimm), irritieren in einer weiteren großen Chorszene etwas. Da beschenken die Ureinwohner die Invasoren mit Gold und sich selbst… Das christliche Kreuz taucht natürlich auch auf. Aber die christliche Mission ist hier eigentlich nicht das Thema. Lediglich das Abschwören Amazilys von ihren alten Göttern. Zweieinhalb Stunden dauert die Oper, die hören lässt, dass Spontini alles andere als schlechte Musik komponiert hat. Der Opernchor, wenn auch nicht immer hundert Prozent mit den Dortmunder Philharmonikern unter Christoph JK Müller zusammen, leistet insgesamt einen großartigen Einsatz und meistert die Anforderungen. Auch die Solisten sind gut, Denis Velev als Großpriester der Azteken überragt mit seinem Bass. Am Ende fragt man sich aber doch, was es mit diesem Spontini und seiner Fernand-Cortez-Oper auf sich hat. Eine Deutung über die handwerklich gelungene szenische Zusammenfassung hinaus wagt Höckmayr auch nicht. Vielleicht ist sie auch gar nicht möglich. Dortmund hat sich an die Wiederaufführung eines längst vergessenen Werkes gewagt. Auch, weil Spontini ein Wegbereiter Richard Wagners war. Diese Oper ist Teil des diesjährigen Wagner-Kosmos im Mai, in dem alljährlich Wagner-Opern mitsamt Opern aus dem Umfeld hörbar werden sollen.

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