(Religions-)Hass als Triebkraft in der Dortmunder „La Juive“. Eine musikalische Sternstunde trotz Circumstances …

An einem Mahnmal an der Treppe des Theaterplatzes liegen Blumenkränze. Zum Gedenken an die Novemberpogrome. Das Theater Dortmund steht, wo früher die Synagoge stand. Daran sollte mit „La Juive“ von Jacques Fromental Halévy erinnert werden. Halévy, ein deutschstämmiger Jude, hat erstmals Antisemitismus, oder christlichen Antijudaismus auf die Opernbühne gebracht. Mit all seinen brutalen Auswirkungen auf Menschen. Leider wird in Dortmund aber auch daran erinnert, dass Antisemitismus ein derzeit medial unbeherrschbares und unberechenbares Thema ist. Um Documenta-Bashing zu verhindern, sind kurz vor der Premiere Experten zur Observation gebeten worden. Hernach war Regisseur Lorenzo Fioroni entlassen. Zwei Wochen vor der Premiere. Angeblich nicht kontextualisierter antisemitischer Kostümdetails wegen, auf die Fioroni nicht zu verzichten bereit war. Der junge niederländische Regisseur Sybrand van der Werf ist eingesprungen. (Von Sabine Weber)

Barbara Senator (Rachel), Mirko Roschkowski (Eléazar), Sungho Kim (Leopold). Foto: Thomas M. Jauk

(12. November 2022, zweite Aufführung am Theater Dortmund) Das hat man auch im Kopf, wenn man an den Blumenkränzen vorbei hineingeht. Das Judentum in der Oper ist und bleibt ein heißes Eisen. Aber Halévy hat großartige Musik komponiert und fantastisch für Sänger geschrieben. Hauptsächlich die Musik war Grund für den sensationellen Erfolg dieser Grande Opéra, sicherlich auch die 20 Pferde, die bei der Uraufführung in Paris auf der Bühne standen. Rossini und Liszt waren begeistert. Selbst Richard Wagner bewunderte La Juive. Die Partie des Eléazar ist nicht von ungefähr eine Paraderolle Enrico Carusos gewesen!

Welche antijüdischen Klischees Fioroni, ein mehrfach mit deutschen Theaterpreisen ausgezeichneter und sicherlich reflektierter Regisseur, wohl hier hinein bringen und zur Diskussion stellen wollte? Wir werden es nie erfahren. Der Angst, ins mediale Kreuzfeuer zu geraten, hat sich Intendant Heribert Germeshausen durchaus gebeugt. Verständlich, wobei Hannah Arendt ihm sicherlich zugerufen hätte „Kein Mensch hat das Recht zu gehorchen“, sprich sich zu beugen, auch diesem Debatten-Druck nicht. Um es aber vorweg zu nehmen: Sybrand van der Werf hat eine Produktion hinbekommen, die trotz der Circumstances sehenswert und noch mehr: hörenswert ist.

Hochkarätige Sänger stemmen ihre Partien makellos und ohne Intonationsprobleme

Die Sänger stemmen ihre enormen Partien allesamt fantastisch, ohne Makel und Intonationsprobleme, in jedem Moment kongenial begleitet von den Dortmunder Philharmonikern unter Philipp Armbruster. Immerhin ist auch diese Strichfassung noch 3 Stunden lang. Mirko Roschkowski findet mit Eléazar seine Paraderolle. Er fletscht dessen Christenhass durch die Zähne oder schmilzt hingebungsvoll in Liebe für Tochter Rachel dahin. Seine Arie „Rachel, quand du seigneur Seigneur“ ist natürlich der Höhepunkt des Abends, bringt mit einem Vorspiel, zwei Klarinetten nebst einer Oboe, sogar jiddischen Tonfall und eine melancholische Note, diese ein einziges Mal, hinein. Roschkowski macht sein Publikum so betroffen, dass er stehenden Szenenapplaus bekommt. Sein Gegenspieler, Kardinal Brogni, Karl-Heinz Lehner, wird ebenso gefeiert. Die Tiefe seiner Basspartie lotet er nicht laut, aber bestimmt aus, ansonsten ist er stimmgewaltig. In grelles Kardinalsrot gekleidet (Entwürfe von Annette Braun) versucht er Eléazar das Geheimnis über seine verlorene Tochter zu entlocken, hält ihm mehrmals die Freundschaftshand hin, die der aus gutem Grund widerständige Eléazar immer wieder hasserfüllt ausschlägt. Barbara Senator ist eine liebevolle, auch selbstbewusste Rachel. Mit großem, warmen Timbre und schöner Tongestaltung überzeugt sie in ihrer Partie, auch wenn sie einmal in einem unvorteilhaften grellgelben Tüllsackkleid gekleidet erscheinen muss. Ihre Feindin, nicht Rivalin wie in der Übersetzung, sondern Feindin sagt das Libretto, ist Eudoxie, eine bewegliche Koloratursopran-Partie mit Enkeleda Kamani ebenfalls hervorragend besetzt. Als eine etwas übertriebene Hollywoodblondine mit Sexappeal (das war sie auch in der letzten Lyoner Inszenierung) kämpft sie in ihrer Arie – war es die Bolero-Arie? – allerdings rechtmäßig um die Liebe ihres Mannes. Leopold ist die zweite große Tenorpartie, überzeugend mit Sungho Kim besetzt, der nach der ersten großen Liebesszene mit Rachel, von Eléazar erwischt, zugibt, dass er kein Jude, sondern Christ ist. Durch Eléazars Überwindung aus Liebe zu seiner Tochter erhält er dennoch Verzeihung, weicht dann aber plötzlich doch aus und stößt alle vor den Kopf. Eléazar fühlt sich erneut in seinem Hass auf die Christen bestätigt. Und dann ist da noch der Dortmunder Opernchor, das Volk von Konstanz des Jahres 1414. Mit den Massenchören macht Halévy fühlbar, welche Macht von ihm ausgeht, wie Pogromstimmung entsteht. Mit Speeren, Hämmern und Peitschen stürmen sie einmal auf die Bühne und nehmen die Juden fest. Stadtvogt Ruggiero (Mandla Mndebele) wiegelt sie in der vollständigen Fassung immer wieder auf. In dieser Fassung liegt der Fokus mehr auf den fatal miteinander verstrickten Charakteren, die Halévy bereits in den ersten Szenen zusammentreffen lässt. Konfrontation dominiert von Anfang an!

Das Kirchenkonzil von Konstanz liefert die Steilvorlage für eine großartige Kirchenszene

Da stört es auch nicht, dass die Bühne von Martina Segna/ Sybrand van der Werf ein nüchtern leerer Platz mit ein bisschen schwarzem Eisengestänge-Gelände ist. Der Chor hat Platz und tänzelt ein wenig unpassend zum Orgelklang  in heutiger Allerweltskleidung rum – das Konstanzer Konzil wird eröffnet und liefert dem Komponisten die Vorlage zu einer großartigen Kirchenszene. Mit Hosianna-Rufen wird der Sieg über die Hussiten gefeiert. Auf dem Konzil werden christliche Religionskonflikte ausgetragen. Leopold – die Männercharaktere tragen Smoking mit und ohne Kippa – streicht auch bereits um das Schiebe-Gitter rechts in der Wand. Das ist der Eingang zu Eléazars Goldschmiedewerkstatt.

Ja, es geht um Antisemitismus!

Richtig Fahrt entwickeln die Konflikte ab dem dritten Akt. Es war wohl in der Pariser Oper des 19. Jahrhunderts üblich, dass das Publikum im Laufe der beiden ersten Akte eintrudelt. Ab dann durfte es erst dramatisch werden. In Dortmund tut sich dann die Hölle, bzw. der Kerker auf.  Mehr wird nicht verraten!
Ja, es geht um Antisemitismus. Wir verbinden ihn heute immer mit dem Nationalsozialismus. Halévy hatte den französischen Antisemitismus der katholischen Kirche im Blick. Auch wenn alle Klischees in der aktuellen Inszenierung ausgemerzt wurden, bleibt er im Hass virulent. Dem der Christen auf die Juden und umgekehrt. Eléazar ist durchaus nicht als sympathische Persönlichkeit gezeichnet. Er provoziert und steigert sich in Rachegelüste. Was nachvollziehbar ist, weil seine Familie umgebracht wurde und Kardinal Brogni ihn einst als Fürst aus Rom vertrieben hat. Dass Eléazar, ein Jude, dessen getaufte Tochter aus dem Feuer gerettet und als seine jüdische Tochter großgezogen hat, ihr sein Leben weiht, zeigt, dass religiöse Setzungen wie jüdisch und christlich menschlich betrachtet unerheblich sein müssten, austauschbar sind. Das haben Halévy und sein Librettist Eugène Scribe zur Diskussion gestellt. Vor allem, wie blind der Hass macht. Diese Triebkraft kann ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr gestoppt werden. Wehret allen Anfängen! Im Schlussbild, vor geschlossenem Vorhang im Lichtkegel, liegen kniend Brogni und Eléazar und starren sich wie zwei verzweifelte Tiger an. Der Hass hat sie zerstört. Sie haben alles verloren! Vor allem ihre geliebte Rachel!

Weitere Vorstellungen am Sa, 12.11.22, 19:30 Uhr • Do, 17.11.22, 19:30 Uhr • Mi, 23.11.22, 19:30 Uhr • Sa, 06.05.22, 19:30 Uhr • Fr, 19.05.22, 19:30 Uhr. Vor den Vorstellungen wird eine 3D-Begehung der Synagoge in virtual Reality angeboten. Weitere Infos hier

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