Antisemitismus aus Eifersucht – Glanerts „Jüdin von Toledo“ an der Semperoper erzählt von Liebesutopie und Hassspiralen

Die Jüdin ist bereits eine große tragische Figur in „La Juive“. Komponist Halévy und seine Librettist Eugène Scribe thematisierten 1835 den Hass zwischen Juden und Christen bis hin zu Pogromstimmungen in Deutschland Anfang des 15. Jahrhunderts. Detlev Glanert und sein Librettist Hans-Ulrich Treichel greifen für ihre Hauptfigur auf die spanische Legende der „Jüdin von Toledo“ aus dem ausgehenden 13. Jahrhundert zurück. Lope de Vega hat sie im 17. Jahrhundert dramatisiert, Franz Grillparzer im 19.  Schließlich schrieb Lion Feuchtwanger Mitte des 20. Jahrhunderts seinen Roman. Grillparzers Verse dienten als Vorlage der Jüdin, die wie bei Halévy auch bei Glanert-Treichel Rahel heißt. Sie lebte angeblich im 12. Jahrhundert in al-Andalus, dem von Mauren, Christen und sephardischen Juden bewohnten Spanien, wird vom spanischen König Alfonso VIII begehrt, geliebt und verliert deshalb ihr Leben. Doch statt Pogromstimmung mündet der Tod von Rahel an der Semperoper in der Regie von Robert Carsen in ein weltkriegsartiges Inferno, in dem alle verlieren, Christen, Juden, Moslems… (Von Sabine Weber)

Komparserie, Sächsischer Staatsopernchor Dresden. Foto: Semperoper Dresden/ Ludwig Olah

(10. Februar 2024, Semperoper Dresden) „Ist das mein Erbe?“ sagt das Kind an der Rampe. Und es spielt keine Rolle, ob das Kind den Infanten Spaniens darstellt oder für alle Kinder dieser Welt steht. Fassungslos macht der Blick in die Richtung der Zerstörung, wo zuletzt eine schwarze Armee in „slow motion“ gegen sich, gegen die anderen, gegen alle, vor allem gegen die Menschlichkeit gekämpft hat. Helm-bewehrt, in kugelsicheren Westen, Gewehre im Arm, gesichtslos. Das Chorheer, eigentlich sind es kurz zuvor noch die spanischen Christen gewesen, die zum Krieg aufgerufen haben, schleudern Hasstiraden um sich, die gleichermaßen von Christen, wie Juden oder Moslems stammen könnten. „Zerschlage, zermalme…“ Jeder Krieg macht unsere Welt zur Hölle. „In Gottes Namen. Amen“, wie der Priester zuvor die Waffenweihe beendet hat. Da stehen sich die drei großen monotheistischen Religionen in nichts nach. Ein Teil des schwarzen Heeres hat sich jüdische Gebetsdecken umgeworfen. Israel demonstriert sich ja zur Zeit als Kriegsführende Macht. Die Bilder von zerstörten Häusermeeren im Gazastreifen sind medial präsent. Dahin zielt diese Israel-Kritik am Rande.

Jeder Krieg heißt, wir verlieren

Detlev Glanert entlarvt in dieser letzten großen Schlussszene des 5. Akts, mit seinen Klängen aber vor allem, Krieg generell als monströs, stellt Kriegstreiberei aus, was Carsens Regie verstärkt. Über die hintere Wand laufen schwarzweiße dokumentarische Kriegsbilder (Video: Martin Eidenberger). Panzerkolonnen in der Wüste, Zerstörer auf dem Meer, Helikopter und Düsenjäger in der Luft, Explosionen. In diesem Inferno spielt Religion längst keine Rolle mehr. Jeder Krieg heißt: Wir verlieren!

Rassistische Argumente und Hassspiralen

Glanerts Oper thematisiert auch, wie rassistische Argumente für Hassspiralen instrumentalisiert werden. Die Königin setzt die „falsche“ Religionszugehörigkeit wirkungsvoll für ihre Verschwörungstheorie gegen die Nebenbuhlerin ein. Wer Jüdin ist und sich an den König ran macht, muss eine Spionin sein. Und weil man ihr nichts nachweisen kann, ist sie eine um so bessere Spionin! Den Mauren, die anderen Feinde der Christen, nutzen strategische Geheimnisse, die der König im Liebesbett natürlich verraten haben wird. Also muss Alfonso Rahel „widersagen“ und sie getötet werden. Vor die Wahl gestellt, Alfonso oder sie, entscheidet er sich für die Macht und verrät seine Liebe. Ein weiterer betroffen machender menschlicher Moment, der in Glanerts Oper erfahrbar ist. Wie schnell werden tiefe Gefühle vergessen, wie schnell wird Erinnerung verleugnet.

Reduziertes Bühnenbild aus betongrauen Säulen und Bögen
Markus Marquardt (Manrique), Tanja Ariane Baumgartner (Eleonore), Sächsischer Staatsopernchor. Foto: Semperoper/ Ludwig Olah

Robert Carsen hat zusammen mit seinem Bühnen- und Kostümbildner Luis F. Carvalho ein streng reduziertes Bühnenbild aus begrenzenden betongrauen Säulen und Bögen geschaffen. Sie trennen und verbinden den nur zu imaginierenden königlichen Garten, vorne, wo sich Rahel und Alfonso erstmals treffen, von dem Saal hinten, in dem der Hof tagt. Schwarz gekleidete Männer auf rechteckigen Bänken wie in einer modernen protestantischen Kirche. Ein ebenso rechteckiger Altar und ein Stuhl, der den Thron symbolisiert, sind die Requisiten.

Christoph Pohl (Alfonso), Heidi Stober (Rahel). Foto: Semperoper/ Ludwig Olah

Eng hintereinander stehende Säulenreihen zitieren später dann die der Mezquita-Kathedrale in Cordoba, die ursprünglich ja eine Moschee war, und stellen das Landhaus dar, in dem sich Alfonso und Rahel für ihre Liebesspiele von der Welt zurückziehen. In den Bögen hängen rotleuchtende Lampen. Hier wird Rahel auch ermordet und bleibt blutig an der Rampe liegen, während die Säulenreihen verschwinden und wieder die Machtzentrale freilegen, der Rahel geopfert wird.

Markus Marquardt (Manrique), Christoph Pohl (Alfonso), Heidi Stober (Rahel), Tanja Ariane Baumgartner (Eleonore), Aaron Pegram (Manriques Sohn), Sächsischer Staatsopernchor Dresden, Komparserie. Foto: Semperoper/ Ludwig Olah
Die Masse aus Macht!

Eine typisch spanische Stimmung kommt eigentlich nie auf. Liegt es am strengen Bühnenbild, das sich jeder Arabeske verweigert, oder an der Musik, die zwar eine arabische Kurzhalslaute, die Ud, lautsymbolisch immer wieder einsetzt, aber mit einer rhythmisch kantigen und gewaltigen Orchestermusik und harten, vorwärtstreibenden Momenten dominiert? Wer mal im Escorial gestanden, die eigenartig melancholisch durchzogene Strenge der Architektur oder die entlarvenden Bildportraits der königlichen Familie von Velazques studiert hat, der ahnt die Last des spanischen Zeremoniells, die jegliche Spontaneität verbietet. Die schwarze Männermasse des Chores wirkt zu Anfang der Oper aber eher aggressiv wie die von Elias Canetti angeführte Masse und ihre Macht. Gekleidet sind die Männer auch heutig, die spanischen Granden tragen Anzüge. Zeitlich spielt die Oper zwar Ende des 12. Jahrhunderts. Glanert, mit seiner Klangregie, und Carsen mit seinen Bildern folgen der menschlichen Kälte heutiger Machtregime, in einem Spannungsgeflecht unterschiedlicher, vor allem vieler dunklen Farben.

Komparserie, Sächsischer Staatsopernchor. Foto: Semperoper/ Ludwig Olah
Glanert arbeitet mit Allusionen

Aber fast exotisch – impressionistisch – wirkt die Traumnacht mit hypnotisierendem Frauenchor im zweiten Akt. Sie beschwört die Liebe Rahels und Alfonsos. Die Bildregie nutzt sie für eine interpolierte Friedensutopie. Im Hintergrund stehen Vertreter aller Religionen zwischen den Säulen, beten und brechen zusammen Fladenbrot, das sie sich reichen. Ein frommer Wunsch und ebenso Utopie wie die Liebe. Später deuten Motive wie in Bernard Hermanns Filmmusik zu Vertigo im Klangbild auf Taumel und Zusammensturz hin. Posaunenglissandi, die, nachdem Alfonso seine Rahel verraten hat, sich häufen, erinnern an Béla Bartóks Wunderbaren Mandarin. Seltsam Brechtisch wirkt die Szene der Hasspredigten. Ob bewusst oder nicht, Glanert arbeitet mit Allusionen.

Rachels Rolle ist eindimensional

Die Frauencharaktere wirken allesamt schematisch, etwas bieder, fast klischeehaft. Daran will man sich bei Rachel erst mal nicht gewöhnen. Sie ist nur eine infantile, liebestolle Göre im hell schwingenden Kleid, dessen Stoff mit Streifen verziert ist, die auch die Gebetstücher der Soldaten im Finalakt zieren. Musikalisch ist ihre Partie zwar anspruchsvoll gestaltet und mit Heidi Stober dramatisch ausdrucksstark besetzt. Aber hat diese Hippie-Frau keine andere Facette als Spielchen mit dem König haben zu wollen? Ihre Schwester Esther, mit rundem Timbre, nicht immer textverständlich von Lilly Jørstad interpretiert, steckt in einem mausgrauen Gouvernantenkostüm. Will sagen, sie ist die Aufpasserin der wilden Schwester, wächst in ihrer Verwünschung der Mörder im letzten Akt aber über sich hinaus. Ihre Anklage überlagert die martialische Waffenweihe, und lässt hören, welchen Hass Waffengewalt in einem so harmlosen Menschen wie ihr gebiert.

Tanja Ariane Baumgartner adelt ihre Rolle

Die stärkste Partie in Glanerts Oper ist Eleonore, Meisterin der Hassspirale. In einem eng taillierten schwarzen Kleid stellt sie die in der Machtzentrale erbarmungslos verhärmte Frau dar, die fern jeglicher Gefühle Pfründe verteidigt und bis aufs Blut für die Nachfolge ihres Sohnes kämpft. Tanja Ariane Baumgartners dramatischer Alt und ihr Spiel adelt die Rolle in einer großen Soloszene. Wie sie ihren Hass am Altar predigt, von Ganztonleitern begleitet sich ihren Dämonen stellt und ein gespenstisches Geflüster zu ihr aus dem Orchestergraben steigt, das ist bedrohlich und macht richtig Angst.

Christoph Pohl, (Alfonso) Tanja Ariane Baumgartner (Eleonore). Foto: Semperoper/ Ludwig Olah
Christoph Pohl singt absolut textverständlich

Diese Szene geht der Konfrontation und dem Schlagabtausch zwischen ihr und ihrem Mann Alfonso voraus, eine der stärksten Szenen des fünfaktigen Dramas. Bariton Christoph Pohl singt absolut textverständlich und durchlebt die Verzweiflung eines Menschen, der, jeglicher Lebenslust beraubt, sich ergibt und das Dokument unterschreibt, das Rahels Tod besiegelt. Er rauft sich die Haare zu hellen Pfeifgeräuschen aus dem Orchester, die Kopfweh machen. Ein schwacher starker König.

Liebes- und Friedensutopie

Alfonsos Liebesutopie ist eigentlich Dreh- und Angelpunkt dieses Dramas vor historischer Drohkulisse, die teilweise nur Setzung ist. Auch wenn Carsen Religionskonflikte beschwört, die Beseitigung unliebsamer Minderheiten darstellt. Während Rahel ermordet wird, sieht man hinten durch die Säulen Männer mit Silbergerätschaften, unter anderem einer Thorarolle, fliehen. Eine Anspielung auf Juden-Pogrome.

Zu keinem Moment Langeweile

Wenn auch die Exposition im ersten Teil Zeit braucht, während das Drama sich nach der Pause fast atemlos zuspitzt, das Publikum in der ausverkauften Semperoper, die diese Oper in Auftrag gegeben hat, geht mit und folgt der Geschichte, lässt sich einfangen, muss hinterher durchatmen. Begeisterung entlädt sich in stehenden Ovationen, für die großartigen Sänger, das Regieteam, den Komponisten, aber auch für den Dirigenten des Abends. Jonathan Darlington, der vor der Sächsischen Staatskapelle sich als ein hingebungsvoller Sachwalter der Glanertscher Partitur erleben lässt. Detlev Glanert hat die Gesangspartien auch für die Sänger passgenau angelegt, und in den Proben immer noch verbessert. Die Einstudierung hat er vier Wochen lang begleitet. Auch wenn der Stoff, vor allem die angelegten Rollen, für ein junges Publikum wahrscheinlich doch zu altbacken bleibt, was vielleicht auch am Libretto liegt, Detlev Glanert erweist sich einmal mehr als der derzeit erfolgreichste deutsche Opernkomponist! (siehe auch klassikfavori-Interview 2018 zur Uraufführung von Oceane)

Weitere Aufführungen

Addendum:
Tabellarische Übersicht über Dettlev Glanerts Opern und ihre literarischen Vorlagen.

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