Zemlinskys Fin-du-siècle-Oper „Der Traumgörge“ erstmals in Frankreich! Ein Besuch an der Opéra de Dijon!

“Träumen und Spielen“ sind letzte Worte von Görge und Gertraud in “Der Traumgörge”. Der Traumgörge ist ein Träumer. Görge versenkt sich in Bücher und überlässt seine lebenslustige Braut Grete lieber dem bodenständigen Hans, weil ihm im Traum eine Märchenprinzessin begegnet. Er macht sich auf die Suche nach ihr, gerät in einen Dorfmob, der eine Frau als Hexe denunziert und ihr Haus abfackelt. In ihr erkennt Görge seine Märchenprinzessin. “Der Traumgörge” ist ein Märchen! Daran ändern auch im zweiten Akt die Anspielungen auf eine Revolution gegen Kaiser Napoléon wenig. Sie bringen in Dijon allerdings große Ensembles und eine andere Farbe – Rosenrot und Feuerrot – in die ansonsten zumeist nächtliche traumhafte Stimmung. (Von Sabine Weber) Zemlinskys Fin-du-siècle-Oper „Der Traumgörge“ erstmals in Frankreich! Ein Besuch an der Opéra de Dijon! weiterlesen

Orchestrale Kammer-Fassungen für „Eugen Onegin“, „Cavalleria Rusticana“ und „Wozzeck“ in München und Stuttgart zeigen Chance und Scheitern in Zeiten von Corona

Auf der Bühne kaum eine Berührung, im Orchestergraben des Münchner Gärtnerplatztheaters 24 Musiker, die einen spannenden Röntgenblick auf Tschaikowsky erlauben. Stuttgart: nur ein paar Streicher, die Bläser auf der Hinterbühne, der Chor im Rang: so funktioniert Mascagni nicht. Wozzeck gelingt an der Bayerischen Staatsoper in der halben Besetzung von 50 statt 100 Musikern erstaunlich gut. Wie unterschiedlich die Opernhäuser von München und Stuttgart mit Corona-Beschränkungen auf der Bühne und im Graben umgehen! (Von Klaus Kalchschmid) Orchestrale Kammer-Fassungen für „Eugen Onegin“, „Cavalleria Rusticana“ und „Wozzeck“ in München und Stuttgart zeigen Chance und Scheitern in Zeiten von Corona weiterlesen

„Sehet den Träumer!” Elam Rotem und sein Ensemble Profeti della Quinta kreieren Joseph und seine Brüder als frühbarockes Oratorium!

„Kopieren ist Kreieren“ steht oben auf dem Programmzettel. Der israelische Barockmusiker Elam Rotem, der in Basel studiert hat und auch lebt, hat die biblische Erzählung “Joseph und seine Brüder” als frühbarockes Oratorium neu kreiert. Er hat Stile und Genres des 16. und frühen 17. Jahrhunderts kopiert, so, als wäre er ein posthumer Komponistenkollege Claudio Monteverdis oder Emilio Cavalieris. Stile kopieren, um zu kreieren! Das ist eigentlich nichts neues. In diesem Falle aber doch spektakulär, weil die Kopien auf Stile verweisen, die vor über 400 Jahren mal angesagt waren. Die Aufführung dieser neuen Alten Musik hätte auch im März im Rahmen des Kölner Zentrum-für-Alte-Musik-Festivals stattfinden sollen. Das – abgekürzt ZAMUS – Festival wollte sich unter der Führung des künstlerischen Leiters Ira Givol neu präsentieren. Unter anderem auch Grenzgänge der historischen Aufführungspraxis – wie diese „Nach- oder Neukomposition“ zur Diskussion stellen und Fragen der historischen Aufführungspraxis wissenschaftlich in einem Symposium aufwerfen. Alles wurde abgesagt. Jetzt konnte Elam Rotems Josephslegende in der Lutherkirche in Köln aber endlich aufgeführt werden. Rechtzeitig vor dem neuen Lockdown, der schon an die Tür klopft. Auf 14 Musiker des Ensembles Profeti della Quinta kamen mal gerade 24 Zuhörer. Ein besonderes Erlebnis für die, die dabei sein konnten! (Von Sabine Weber) „Sehet den Träumer!” Elam Rotem und sein Ensemble Profeti della Quinta kreieren Joseph und seine Brüder als frühbarockes Oratorium! weiterlesen

„Sun & Sea” im Finale der KunstFestSpiele Herrenhausen! Drei bemerkenswerte Litauerinnen zeichnen verantwortlich

Titelfoto von links nach rechts: Lina Lapelytė (Musikerin, Sounddesignerin, Bildhauerin, Performerin), Rugilė Barzdžiukaitė (Theater- und Filmregisseurin, Bühnenbildnerin, Filmemacherin), Vaiva Grainytė (Schriftstellerin)
Unaussprechliche Namen, die ich mir erst einmal vorsprechen lasse. Es ist plötzlich saukalt im Herrenhausener Garten in Hannover. Dennoch wollen die drei das Interview open-air auf der Georgen-Terrasse draußen machen. Sie befindet sich neben der DHC-Halle, wo ihre Prestige-trächtige und immer noch innovative Performance im Finale der KunstFestSpiele Herrenhausen noch einmal gezeigt wird.

Sun & Sea. Foto: Sabine Weber

„Sun & Sea“ heißt sie und – es ist viel darüber berichtet worden– Über die scheinbar dokumentarische Strandszene mit Darstellern, darunter Kinder, Statisten, aus denen sich Sängerdarsteller herauslösen. Alle im Badekostüm. Immer wieder meldet sich singend jemand zu Wort. Während gelesen, gestrickt, Federball gespielt, im Sand gewühlt oder aufs Mobiltelefon geschaut wird. Eine elektronische Orgel vom Band liefert über Lautsprecher Begleitung. Wie auch die Gesänge bestehen sie meist aus wenigen Tönen, die sich Pattern-artig immer wieder wiederholen. Das hat etwas Meditatives. Wir, die Zuschauer und -hörer, bewegen uns auf einem oberen Rundlauf und beobachten in „Möwenperspektive“. Und lauschen den teilweise poetisch verpackten, vom Inhalt her oft trivialen, dennoch hintersinnigen gesungenen Gedankengängen. Eine Turbo-Mamma ist stolz, in welchen roten, blauen, grünen, blauen, mediterranen etc. Meeren sie und ihr Sohn sich schon getummelt haben. Ihr Schoßhund kläfft dazwischen. Wie gut, dass es im Barrier Riff ein Hotel gibt und Piña Colada angeboten wird. Der Ex-Mann einer Frau ist im Urlaub mit seiner Freundin ertrunken! Er war doch ein guter Schwimmer? Ein Mann mit profunder Bassstimme lamentiert über Arbeitsbelastung. Selbst am Strand könne er nicht loslassen. Dann dreht einer fast durch, weil ihm ein Tumor im Kopf diagnostiziert wurde und er jetzt sofort Shrimps essen muss. Choreinlagen kommentieren oder greifen auf. Der Strand singt und summt. Die Kinder wirbeln ungerührt dazwischen, buddeln im Sand oder führen Scheinkämpfchen gegeneinander. Ein korpulenter Mann erhebt sich mühsam und reckt sich Sonnengruß-mäßig nach oben und verharrt. Wer auf das Handtuch des anderen tritt und es mit Sand beschmutzt entschuldigt sich. Alle sind nett zueinander, sitzen aber dennoch unbeteiligt nebeneinander. Zwei junge Frauen leihen sich von einem männlichen Pärchen die Federballschläger aus, ansonsten gibt es kaum Kontakt. Seltsam berührt einen dieses Szenarium, über das keiner lacht. Vielleicht, weil die Gedankengänge entlarvend eigenen ähneln? Sind wir nicht die Touristen, die sich da auf den Handtüchern und den Liegestühlen räkeln? Ein Blick auf uns selbst, wie wir uns immer wieder eincremen oder Wasser zur Kühlung aufsprühen. Plötzlich stinkt es erbärmlich, beschwert sich eine Sängerin. Hundekot, Fischreste, Müll drückt durchs Handtuch! „Was ist nur falsch mit diesen Leuten, die Hunde zum Strand mitnehmen?“ Gehören die, gehören wir hier hin? Was machen wir mit uns und unserer Welt…
Und wer sind die drei im Damen-Trio, die hier so sanft und ohne Zeigefinger Fragen aufwerfen?

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Cavallis Calisto hoch am Himmel in Bonn! Und großartig (historisch informiert) musiziert!

(Titelfoto: Thilo Beu) „Calisto alle stelle“ wird im Prolog und im Schlusschor dieses dramma per musica vom berühmtesten Schüler Claudio Monteverdis gerufen. Aber was hat die unschuldige Nymphe davon, im Himmel als Sternbild entsorgt zu werden? Ovids „Metamorphosen“ hin oder her. Das ist eine Geschichte über eine missbrauchte Frau und Frauen, die ihre Rolle falsch verstehen – dennoch, die Gesangseinlagen sind großartig und ausgestattet mit beschwingten Intermezzi und Ritornellen. (Von Sabine Weber) Cavallis Calisto hoch am Himmel in Bonn! Und großartig (historisch informiert) musiziert! weiterlesen

Michael Hampe inszeniert Mozarts „Zauberflöte” für Köln und erzählt ein Märchen!

(Antonina Vesenina als Königin der Nacht in der aktuellen Kölner Produktion. Foto: Paul Leclaire) Mit Hampe kehrt ein einsamer Rekordhalter nach Köln zurück. 20 Jahre lang war er ohne Querelen Opernintendant. Hier baut er seine Karriere auf und bringt schnell internationales Renommee in die Domstadt, unter anderem, weil er in dieser Zeit von keinem geringeren als Herbert von Karajan in das Leitungsteam der Salzburger Festspiele berufen wird. So manche Produktion wandert hin und her. Hampe lockt die besten Regisseure und Sänger an. Und Köln, in das ihn der damalige Kulturdezernent Kurt Hackenberg als Vierzigjähriger holt und das er 1995 als Sechzigjähriger verlässt, ist Hampe bis auf den heutigen Tag freundschaftlich verbunden. Danach hat er übrigens kein Haus mehr als Intendant übernommen. Als freier Regisseur war er natürlich ausreichend und international gefragt. Dass Intendantin Birgit Meyer ihn für die Saisoneröffnung 20.21. verpflichtet hat, ist eine Verbeugung vor der Tradition und der goldenen Hampe-Ära. Aber auch in Sachen Mozart ist er eine erste Wahl. Nicht nur, weil auf der ersten, zweiten und dritten Stelle seiner Lieblingskomponisten Mozart, Mozart und Mozart stehen. Für Köln hat er nur eine Zauberflöte für Kinder realisiert, mit ihm als Conferencier. Die „volle“ Zauberflöte stand noch auf der Agenda. Corona hat allerdings bei der Umsetzung mit Regie geführt. (Von Sabine Weber) Michael Hampe inszeniert Mozarts „Zauberflöte” für Köln und erzählt ein Märchen! weiterlesen

Am Aalto: Glucks „Orfeo|Euridice” als Reise in ein eingeschlossenes „Ich“!

Während dieses Wochenende in Berlin „Die Walküre” für Furore sorgt, bleibt Wagners „Tannhäuser” am Aalto-Theater in Essen in der Schublade. Statt dessen arbeitet sich Regisseur Paul-Georg Dittrich für die Essener Saisoneröffnung 20.21 an Christoph Willibald Glucks Reformoper „Orfeo ed Euridice” in der Wiener Fassung aus psychiatrischer Sicht ab. Orfeo|Euridice so der Titel! Denn Orfeo und Euridice stehen als Abspaltungen ein und desselben Ichs auf der Bühne. In zahlreichen Video-Dokus geben Neurologen und Pflegerinnen des Essener Universitätsklinikums und des Alfried-Krupp-Krankenhauses Auskunft, sowie eine Repräsentantin der dortigen Stroke Unit Einblicke in verschiedene Lockdown-Zustände ihrer Patienten. Wo bleibt da die Musik? (Von Sabine Weber)
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Mieczysław Weinbergs Kammerorchesterwerke vom Amadeus Chamber Orchestra unter Anna Duczmal-Mróz auf CD!

Erstmals hat ein polnisches Orchester sich der Einspielung von Mieczysław Weinbergs sämtlichen Kammerorchesterwerken angenommen. Das Amadeus Chamber Orchestra des Polnischen Rundfunks legt unter der Dirigentin Anna Duczmal-Mróz nicht nur das Spätwerk seiner vier Kammersinfonien vor, sondern auch die beiden Sinfoniettas und zwei Flötenkonzerte, sowie aus Weinbergs Sinfonien die Zweite und Siebente für Streicher. (Von Sabine Weber) Mieczysław Weinbergs Kammerorchesterwerke vom Amadeus Chamber Orchestra unter Anna Duczmal-Mróz auf CD! weiterlesen

Ein Anti-Musical? Heribert Feckler, Dirigent der Neuproduktion von „The Black Rider“ in Gelsenkirchen weiß warum!

Heribert Feckler. Foto: Pedro Malinowski

Heribert Feckler arrangiert Musicals und hat sogar ein Musical komponiert. Er kommt aus Essen wo er, nein, keinen Hobbykeller hat, sondern ein Heimstudio unterm Dach. Dort arrangiert und komponiert er oder covert seine Lieblings-Songs, das aber nur für den Hausgebrauch. Mit 16 Jahren hat er in der ersten semiprofessionellen Jazzband mitgesungen. Dann in einem Chor die Madrigale des 16. Jahrhunderts schätzen gelernt. An der Musikhochschule Köln studiert er Klavier, Dirigieren, Gesang und Tonsatz. Und liefert seit Jahrzehnten den Kölner Canzonisten seine schwarze Basstiefe, wenn es mit Barbershop-Stücken auf Konzerttournee geht und ist Dozent für Dirigieren und Bandleitung an der Folkwang-Hochschule in Essen. Seit 2006 leitet er Musical-Produktionen am Aalto-Theater in Essen. Jetzt steht er im Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen im Graben. Für “The Black Rider” – eine pralle Show mit neun Musikern und einem Liebespaar und dem Teufel im Spiel. Der „literarische Underground-Veteran“ (Spiegel) William S. Burroughs entwickelte dieses Werk 1990 mit Songs des „Pop-Heiligen“ Tom Waits für das Thalia Theater. In Szene gesetzt vom „Bilderrätsler“ Robert Wilson. Eines der aufwendigsten Spektakel an deutschen Theatern ging über die Bühne. Das damalige Premierenpublikum jubelte. Letzten Samstag, am 19. September 2020, war Premiere einer Neuproduktion in Gelsenkirchen. Vor der zweiten Aufführung sitze ich im Foyer im zweiten Stock des Gelsenkirchener Theaters an einem Fenstertisch, Corona-konform mit gebührendem Abstand, um mehr über das Werk zu erfahren. Und Heribert Feckler antwortet mit voluminös Gesangs-gestählter Stimme auf die Fragen. Ein Anti-Musical? Heribert Feckler, Dirigent der Neuproduktion von „The Black Rider“ in Gelsenkirchen weiß warum! weiterlesen

Von Wien zur Wiesn: Kian Soltani und die Münchner Philharmoniker unter Krzystof Urbański spielen als Trostpflaster für das abgesagte Oktoberfest, das am Wochenende begonnen hätte, Friedrich Guldas freches Cellokonzert mit Begleitung einer Blaskapelle und Beethovens Erste

Nur 100 waren es beim fulminanten Debüt Klaus Mäkeläs mit den Münchner Philharmonikern im Juni, dann wurden 200 zugelassen und nun sind es gerade mal an die 500 Besucher in der 2500 Hörer fassenden Philharmonie am Gasteig in München. Fraglich, dass dieses für die Riesenräume der Staatsoper und eben der Philharmonie geltende „Pilotprojekt“ fortgesetzt wird. Denn auch München hat, wie viele bayerische Großstädte, die als kritisch angesehene Marke von 50 Neuinfektionen innerhalb einer Woche pro 100.000 Einwohner bereits am Freitag gerissen. Was für ein schönes Zeichen konnten die Philharmoniker aber am vergangenen Wochenende, an dem das Oktoberfest begonnen hätte, in drei Konzerten mit Friedrich Guldas Cellokonzert setzen. Denn es ahmt im Finale eine bayerische Blaskapelle beim Oktoberfest richtig „kracherd“, wie man in Bayern sagt und damit täuschend echt nach.(Von Klaus Kalchschmid)
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