Erstmals hat ein polnisches Orchester sich der Einspielung von Mieczysław Weinbergs sämtlichen Kammerorchesterwerken angenommen. Das Amadeus Chamber Orchestra des Polnischen Rundfunks legt unter der Dirigentin Anna Duczmal-Mróz nicht nur das Spätwerk seiner vier Kammersinfonien vor, sondern auch die beiden Sinfoniettas und zwei Flötenkonzerte, sowie aus Weinbergs Sinfonien die Zweite und Siebente für Streicher. (Von Sabine Weber)
(CD Veröffentlichungen Januar 2019 und Juli 2020 beim Label DUX) Mit dem Vorsatz, Weinbergs Werke auch dem polnischen Publikum bekannter zu machen, hat das Amadeus Chamber Orchestra des polnischen Rundfunks 2015 seine Mission begonnen. Unter der Leitung von Anna Duczmal-Mróz sind zum 100. Geburtstag des Komponisten 2019 und im Folgejahr fünf CDs in drei Ausgaben beim Label DUX herausgekommen. „Höchst persönliche Reflektionen über sein Leben und seine Generation“, wie Gidon Kremer zu seiner Aufnahme der Kammersinfonien mit der Kremerata Baltica geschrieben hat.
Das Amadeus Chamber Orchestra mit Betroffen-machender Eindrücklichkeit!
Die neue Aufnahme mit dem polnischen Amadeus Kammerorchester vermittelt die Vier Kammersinfonien mit einer in jedem Moment betroffen-machenden Eindrücklichkeit. Wehmut und Schmerz sind spürbar. Angereichert mit volkstümlichen Melodien und jiddischem Tonfall haben sie auch etwas Spielerisches. Seine Kompositionen bekommen aber nie unbeschwerte Leichtigkeit. Da ist immer etwas gefährdet. Bezüge zu der biografischen Tragik Mieczysław Weinbergs drängen sich auf. Weinberg blieb irgendwie immer ein ausgebremster Komponist, dessen Genialität nie flächendeckend erkannt wurde. Als polnischer Jude war er in der Sowjetunion suspekt und als sowjetischer Komponist gingen die nationalistischen Polen auf Distanz. Vainberg, Weinberg, Wajnberg? Die uneinheitliche Schreibweise seines Namens spiegelt seine uneindeutige Zugehörigkeit wider.
Mieczysław Weinberg, ein Komponist auf der Flucht und dann vergessen
1919 in Warschau geboren, studiert er als Klavierwunderkind am Warschauer Konservatorium, das damals von Karol Szymanowski gleitet wird. Beim Überfall Polens durch die deutschen Nationalsozialisten flieht er ins weißrussische Minsk, beim Einfall der Wehrmacht in Weißrussland in die usbekische Hauptstadt Taschkent. Dort schreibt er seine erste Sinfonie, die er Dmitri Schostakowitsch zur Begutachtung schickt. Der ist begeistert und ruft Weinberg nach Moskau, wo Weinberg bis zu seinem Tod bescheiden in Armut lebt. Als Jude ist er dem stalinistischen Russland ein Dorn im Auge. Im Rahmen von ‚Säuberungen‘ wird ihm als vermeintlich jüdischem Aufrührer sogar die Errichtung einer jüdischen Republik an der Krim unterstellt. Er wird im gefürchteten KGB-Gefängnis Lubjanka inhaftiert. Schostakowitsch setzt sich für seine Freilassung ein. Aber erst durch Stalins Tod kommt er 1953 frei. Obwohl später sogar mit dem Staatspreis der UdSSR ausgezeichnet, werden seine Werke auch in der Nachkriegszeit selten aufgeführt. Und schließlich vergessen. 1996 stirbt er in Moskau.
Anna Duczmal-Mrós leitet die erste Gesamtaufnahme des Kammermusikalischen Werks mit einem polnischen Orchester!
22 Sinfonien, vier Kammersinfonien, zwei Flötenkonzerte, ein Violinkonzert und Sinfoniettas neben 17 Streichquartetten und Violinsonaten gilt es wieder zu entdecken. Die Weinberg-Renaissance ist längst angelaufen. Allein durch seine Auschwitz-Oper Die Passagierin, die bei den Bregenzer Festspielen, am Staatstheater in Karlsruhe und am Gelsenkirchener Musiktheater im Revier gefeiert wurde. Demnächst wird an der Oper am Rhein in Düsseldorf Mazl Tov erstmals aufgeführt! Das ist eine komischen Oper, überraschender Weise. Das Libretto hat Weinberg eigenhändig verfasst. Auch in Polen schreitet die Weinberg-Renaissance voran. Das ist der polnischen Dirigentin Anna Duczmal-Mróz zu verdanken, die sich als Dirigentin beim Amadeus Chamber Orchestra des polnischen Rundfunks seinem Werk verschrieben hat.
Die Duczmals, eine polnischen Dirigentinnen-Dynastie!
Die Duczmals sind eine Dirigentinnen-Dynastie. Anna ist die Tochter der Dirigentin Agnieszka Duczmal, die auch in Deutschland viel dirigiert und immer wieder polnische Komponisten in den Fokus ihrer zahlreichen Rundfunkaufnahmen gestellt hat. Agnieszka Duczmal hat auch das Amadeus Kammerorchester als freies Ensemble gegründet. Rund 20 Jahre nach seiner Gründung 1988 ist es vom polnischen Rundfunk übernommen worden. Eine erstklassiges Kammerorchester, das Weinbergs Kammerorchesterwerken unter Leitung der Duczmals zu aller Ehre gereicht.
Ein Schostakowitsch-Tonfall ist nicht zu verleugnen. Doch trägt das Werk eine subtile Weinberg-Handschrift. In der Zweiten Kammersinfonie für Streicher und Pauke op. 147 gibt es ungewöhnliche Einblendungen des ‚Anderen‘. Wie bei Gustav Mahler bricht es ein. Das kann wie im ersten Satz ein nostalgisches Wiegenlied sein. Oder bedrohlich flirrende Klangflächen der Streicher und schwere Streicherunisoni, die sich wie eine Schicksalsgeste in den Raum bohren. Es gibt beschwingt schräge Walzerattitüden. In der Vierten Kammersinfonie op. 153, bringt eine Klarinette unverkennbar einen jiddischen Tonfall hinein. Solovioline und Solo-Kontrabass assistieren mit individueller Klangfarbensymbolik. Die Kammersinfonien sind in Weinbergs letzten Lebensjahrzehnten entstanden. Ein ‚Befindlichkeitston‘, wie bei Alfred Schnittke zu diagnostizieren, ist spürbar, wird aber bei Weinberg nie raumgreifend dominant. Łukasz Dɫugosz ist der Solist in den Flötenkonzerten op. 148, Nr. 1 und 2. Die beiden Konzerte haben einen freundlich-leichteren Tonfall. Dennoch ist Katastrophenstimmung immer unterschwellig dabei. Die zweite Sinfonietta für Streicher und Pauke hat Weinberg dem Schostakowitsch-Dirigenten Rudolf Barschai gewidmet. Die Zweite Sinfonie für Streichorchester op. 30 von 1946 fängt wie das Präludium einer Bachschen Cellosuite an. Eine ‚Bartok-Melodie‘ entfaltet sich spielerisch darüber, die sich in eine Passage mit grotesk stampfenden Tanzschritten hinein steigert. Und auch hier das ‚Andere‘, eine melancholische Melodie der Celli zu Pizzicati der oberen Streicher, die von einer Solovioline wieder in ruhigere Fahrwasser geführt wird. Weinbergs Adagio-Sätze können lähmend trauernden Tonfall haben. Motorische Verve bricht im Finale aus, um endlich in einem Traum zu verklingen. In Weinbergs Werken gibt es keine fulminant affirmative Schlussstriche. Als müsste das sehnsuchtsvoll ‚Andere‘ im Gedächtnis haften bleiben. Die Siebte Streichersinfonie op. 81 überrascht mit Cembaloklängen. Auch hier barocke Attitüde, die alles andere als barock klingt. Die unerwartete Klangfarbe entfesselt in dieser Weinberg-Erzählung Fantasien. Ein narrativer Charakter ist den hier vorgestellten Werke insgesamt eingeschrieben, eine Art Erzählstruktur, zu der sich vielfältig Bilder im Kopf einstellen. Im letzten Satz dieser Streichersinfonie ist das Cembalo, das in den beiden Sätzen zuvor geschwiegen hat, in der symbolischen Rolle eines Querdenkers aktiv. Mit aufmüpfig provokanten Gesten feuert es fast übermütig an. Die 1960er Jahre, in denen dieses Werk entstand, empfand Weinberg als seine produktivste Zeit.
Weinberg war kein Avantgardist. Vielmehr ein Polistilistiker, der seinen Einfallsreichtum immer in perfekt geformte Erzählstruktur gebracht hat, in die auch dissonante Klänge eingewoben sein können. Die Beschäftigung und Einordnung seines Werks steht insgesamt noch aus. Der Weinberg-Kosmos erfährt durch das Amadeus Chamber Orchestra des polnischen Radios unter Anna Duczmal-Mróz eine klangintensive und musikalisch auf höchstem Niveau gepflegte Rehabilitierung. Diese Einspielungen sind die beglückende Hörentdeckung eines noch immer zu wenig bekannten Komponisten!