Schlagwort-Archive: Theater Bonn

„O Wort, das mir fehlt!“ Moses scheitert, aber Schönberg gewinnt in der fulminanten Aufführung von „Moses und Aron“ am Theater Bonn

Unser „Podcastfavori, die Oper der Woche” heute über das reihentechnisch durchkomponierte Opern-Oratorium „Moses und Aron“ von Arnold Schönberg. „O Wort, das mir fehlt!“ Moses scheitert, aber Schönberg gewinnt in der fulminanten Aufführung von „Moses und Aron“ am Theater Bonn weiterlesen

Gefährlich! – Schrekers „Singender Teufel“ in Bonn!

Orgelklänge sind natürlich nicht so gefährlich wie die Atombombe! Doch Amandus ringt um die Fertigstellung einer Orgel, als ginge es um das Überleben der Menschheit. Schon sein Vater ist über den Orgelbau dem Wahnsinn verfallen und sogar als Ketzer verbrannt worden. Die unter Gefahr im Verzug fertiggestellte Orgel wird dann auch als Kampfmittel eingesetzt. Ihre Klänge helfen, eine Spezies zu paralysieren und auszulöschen. Das und mehr erzählt Franz Schreker in dem „Singenden Teufel“ von 1928. Der Bonner Fokus ’33 entdeckt das vergessene Spätwerk in seiner aktuellen Produktion und bringt es in einer Regie auf die Bühne, die der hybriden Story beikommt. (Von Sabine Weber) Gefährlich! – Schrekers „Singender Teufel“ in Bonn! weiterlesen

Mahagonny und die Flutkatastrophe an der Ahr

Regisseur Volker Lösch, zuletzt hier in Bonn mit einem politisierten Fidelio und Folterzeugen aus der Türkei, bringt jetzt Flutopferberichte in die aktuelle Bonner Inszenierung von „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny”.  Die von Brecht/ Weill dargestellte Ausbeutung von Männern durch kapitalistisch organisierte Vergnügung ist aus heutiger Sicht vielleicht eine sehr plakative Parabel. Aber sie trifft es. In der Verknüpfung mit der Flutkatastrophe an der Ahr mit voller Wucht! (Von Sabine Weber) Mahagonny und die Flutkatastrophe an der Ahr weiterlesen

Fokus ’33 in Bonn: eine vergessene Meyerbeer-Oper wird zum Leben erweckt – und wie!

Die Oper Bonn macht es sich zur Aufgabe, im Rahmen des Programms „Fokus ’33“ Werke wiederaufzuführen, die der Vergessenheit anheim gefallen sind – unter anderem, weil sie durch das Dritte Reich verdammt wurden.  „Ein Feldlager in Schlesien“ ist keines der berühmten Werke Giacomo Meyerbeers und selbst Opernkennern unbekannt. Sie ist Singspiel und Festoper zugleich, denn Friedrich II. wird ein preußisch-patriotisches Herrscherlob gewidmet . Krieg, Patriotismus, Herrscherlob – wie kann man das gerade jetzt inszenieren? Kann das Gutgehen? Ja und wie! Die intelligente Regie von Jakob Peters-Messer, dazu ein bestens aufgelegtes Beethoven-Orchester unter Hermes Helfricht und das Gesangsensemble schenken dem Publikum eine überragende Wiedergeburt!  (Von Jukka Höhe)

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Cavallis Calisto hoch am Himmel in Bonn! Und großartig (historisch informiert) musiziert!

(Titelfoto: Thilo Beu) „Calisto alle stelle“ wird im Prolog und im Schlusschor dieses dramma per musica vom berühmtesten Schüler Claudio Monteverdis gerufen. Aber was hat die unschuldige Nymphe davon, im Himmel als Sternbild entsorgt zu werden? Ovids „Metamorphosen“ hin oder her. Das ist eine Geschichte über eine missbrauchte Frau und Frauen, die ihre Rolle falsch verstehen – dennoch, die Gesangseinlagen sind großartig und ausgestattet mit beschwingten Intermezzi und Ritornellen. (Von Sabine Weber) Cavallis Calisto hoch am Himmel in Bonn! Und großartig (historisch informiert) musiziert! weiterlesen

Das Theater Bonn eröffnet kommenden Sonntag die Opernsaison mit Staatstheater! Regisseur Jürgen R Weber und Dirigent Daniel Johannes Mayr erklären im Gespräch, was es mit Kagels szenischer Komposition auf sich hat!

„Staatstheater“! Mir fällt dazu spontan das Theater auf den politischen Bühnen ein. Aber nein, es geht bei Mauricio Kagel um die Institution Theater im theatralischen Sinne. Im Auftrag der Staatsoper Hamburg hat Kagel komponiert. Vielmehr seziert, was Operntheater auf der Bühne bestimmt: Gestik, Mimik, Rollenklischees, Sängerklischees und einiges mehr. 1972 war die Uraufführung, in seiner Regie und mit ihm als Dirigenten. Die Aufführung musste unter Polizeischutz gestellt werden – es gab Bombenandrohungen, weil sich Mitwirkende und das Publikum verhohnepiepelt fühlten. Kagel, Argentinier, Jude, Wahldeutscher, Professor für Neues Musiktheater an der Hochschule für Musik und Tanz, Köln, blieb zeitlebend ein charmanter und gewitzter Unruhestifter auf den Bühnen, die er erobern konnte. „Staatstheater“ hat er als sein wichtigstes theatralisches Werk eingestuft. Aber was macht es so explosiv? Regisseur Jürgen R Weber steht kurz vor der Hauptprobe gut gelaunt im Foyer des Bonner Theaters. Wild abstehendes graues Haar, wallender Bart und hochgeklappte Sonnenbrillengläser über der eigentlichen Brille. Noch weiß ich nicht, dass er gleich auf der Bühne vor allem über den Boden robbt. In Corona-konformem Abstand jetzt erst einmal ein paar Fragen:

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Die Klammer ist Verzweiflung! Nach der fulminanten Fidelio-Inszenierung im Januar kombiniert das Theater Bonn jetzt eine neukomponierte Briefszene von Manfred Trojahn mit Beethovens Oratorium Christus am Ölberge

Manfred Trojahn ist Bühnenmusik- und Opernerfahren. Als der in Düsseldorf lebende und lehrende Komponist gefragt wurde, für diesen Abend zum Beethovenjahr 2020 einen Prolog zu Beethovens Oratorium „Christus am Ölberge“ zu liefern, hat möglicherweise die Vertonung von Beethovens Heiligenstädter Testament sogar im Raum gestanden. In diesem erschütternden Dokument, von Ludwig van Beethoven in Heiligenstadt bei Wien verfasst, berichtet er verzweifelt von seiner medizinisch nicht mehr abzuwendenden Taubheit. Ein Selbstbekenntnis Beethovens, dem sein störrischer Umgang mit Menschen durchaus bewusst war, der sogar Selbstmord erwägt, sich dann aber zur rettenden Kunst bekennt. Ein Jahr darauf entsteht „Christus am Ölberge“. In dem Oratorium geht es um Jesus im Garten Gethsemane, der fleht, der Kelch möge an ihm vorüber gehen, der sich dann aber in sein Schicksal findet. Die Parallelpersepktive zum Heiligenstädter Testament ist greifbar. Trojahn fügt eine weitere Krisen-Parallele hinzu, den Chandos-Brief, den Hugo von Hofmannsthal 1902 verfasst und veröffentlicht hat. In dieser inzwischen zur Schullektüre gewordenen Briefszene geht es um die existentielle Krise eines Schriftstellers. Hofmannsthal nimmt darin die Rolle des jungen englischen Lord Chandos ein, der sich als literarisches Frühgenie der Aufklärung seinem Freund und Förderer, dem Philosophen und Empiriker Francis Bacon erklärt. Ihm seien plötzlich Begriffe und Abstraktionsebenen flöten gegangen. Überwältigt von Einzelphänomenen fände er keinen Zusammenhang mehr, nur Einzelphänomene könne er noch beschreiben, in denen er sich verlöre. Klaus Bertisch hat den Text geschickt eingekürzt. Und Manfred Trojahn hat ihm musikalisch eine bühnentaugliche Dramatik beigebracht. Im Theater Bonn spannt sich ein szenischer Bogen über menschliche Verzweiflung, von einer zeitgenössischen Monologszene hin zu Beethovens selten zu hörendem Oratorium – nach der Pause –, das hier auch Bühnendramatik entwickelt! (Von Sabine Weber) Die Klammer ist Verzweiflung! Nach der fulminanten Fidelio-Inszenierung im Januar kombiniert das Theater Bonn jetzt eine neukomponierte Briefszene von Manfred Trojahn mit Beethovens Oratorium Christus am Ölberge weiterlesen

Beethrifft: „Fidelio” als Türkei-Tribunal! Das Theater Bonn eröffnet das Beethovenjahr 2020 mit Zeitzeugen und Dokumentationen über politische Gefangene in der Türkei!

Was hat  „Fidelio” mit der Kurdenfrage zu tun? Im Theater Bonn derzeit erstaunlich viel. Es werden in Beethovens einzigem Opernoeuvre Parallelen zu Menschenrechtsverletzungen in der Türkei gezogen. Fidelio handelt ja auch von einem politischen Gefangenen in Isolationshaft, er soll aus dem Weg geräumt werden. Das nimmt Regisseur Volker Lösch zum Anlass, statt zwischen den Musiknummern Dialoge einzufügen, türkische Zeitzeugen und Aktivisten zu Wort zu bitten. Sie berichten über die Situation von inhaftierten Verwandten, aber auch über eigene Erfahrungen. Isolationshaft, Folter, menschliche Demütigung bekommt an einem „Arbeitstisch“ Gesichter! Mit dem Schriftsteller Doğan Akhanlı, der drei Mal verhaftet wurde oder Hakan Akay, der für die Freilassung seines Bruders Soydan Akay kämpft. Er sitzt seit 27 Jahren ein und ist schwer erkrankt. Eine Behandlung wird ihm verweigert. Moderator und zeitweilig Bühnen-Regisseur der Fidelio-Produktion ist Matthias Kelle, der Fragen auch an die Opernprotagonisten stellt, wenn sie an den Tisch kommen. Der Bühnenraum ist ein giftgrünes virtuelles Studio, wie es für die Fernseh-Nachrichten in den Sendern gebraucht wird. Auf einem Bildschirm werden Bilddokumentationen eingeblendet oder auch die Opernprotagonisten in filmischen Szenarien mit Live-Cam hinein projiziert. Ein mutiger Ansatz, der bis zum Schluss konsequent durchgezogen wird und vom Publikum positiv quittiert wird, auch wenn einige ältere Herrschaften schon nach einer halben Stunde aufstehen und gehen. Unser Sitznachbar stürzt sich noch während des Schlussapplauses in die Diskussion, ob hier nicht Beethoven missbraucht werde. Wir finden, er wird ernst genommen. (von Sabine Weber)

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Saisoneröffnung 19/20 in Bonn mit dem Rosenkavalier. Josef Ernst Köpplinger gibt sein Regiedebüt!

Der Rosenkavalier ist im Repertoirebetrieb DAS Vorzeigestück für festliche Anlässe! Ein Fest der Stimmen! Und für eine Saisonpremiere eine repräsentative Wahl. Das Theater Bonn eröffnet seine Saison 19/20 mit dieser Richard-Strauss-Oper noch aus einem anderen Grund. Josef Ernst Köpplinger, gebürtiger Österreicher, hat für die Regie zugesagt. Das war für den Bonner Generalintendanten Bernhard Helmich Bedingung, um das Stück als Saisonpremiere zu setzen. Köpplinger gilt als ein Regisseur, der sowohl im Sprech- wie Musiktheater zuhause und zudem ein erklärter Operetten-Regisseur ist. Seit 2013 ist er Intendant am Münchner Gärtnerplatztheater und setzt in seinen Spielplänen immer wieder Musicals oder Operetten gleichberechtigt neben die große Opernliteratur. Köpplinger schwört auf die leichte Muse, so sie Unterhaltung mit Haltung bietet! Der Rosenkavalier ist aber natürlich keine Operette! (Von Sabine Weber) Saisoneröffnung 19/20 in Bonn mit dem Rosenkavalier. Josef Ernst Köpplinger gibt sein Regiedebüt! weiterlesen

Weibliche Ekstase im mystischen Verklingen! Salvatore Sciarrinos “Infinito Nero” über die Mystikerin Maria Magdalena de‘Pazzi in Bonn

THEATER BONN: INFINITO NERO
Dshamilja Kaiser (Maria Maddalena); Keisuke Mihara (Das menschgewordene Wort); Helena Baur (Die junge Maria Maddalena)
Foto: Thilo Beu

Mystikerinnen und ihre Ekstasen sind ein Phänomen. Ein katholisches! Wobei diese weiblichen Ekstasen in der Enthaltsamkeit nicht selten einen erotischen Touch haben. Mit unglaublicher Hingabe und Leidenschaft bezieht sich die zumeist Nonne auf den blutenden Jesus im Lendenschurz. Die Visionärinnen haben dann auch noch einen männlichen Beichtvater oder Mittler, das macht die Sache heikel. Christina von Stommeln ihren Petrus von Dacien, Adrienne von Speyr Urs von Balthasar. Das berühmteste Klosterpaar sind wohl Heloise und Abaleard. Hildegard von Bingen und ihr anonymer Schreiber sind über alle Zweifel erhaben. Und Maria Magdalena de‘Pazzi aus einem Schweigeorden der Karmeliterin in Florenz brauchte keine Männer. Acht Nonnen hielten sich in ihrem Zimmer auf, damit, wenn sie in Ekstase fiel, ihre in irrem Tempo gestammelten Worte aufgenommen und solange wiederholt wurden, bis sie aufgeschrieben waren. Nach ihrer Ekstase konnte sie sich nämlich an nichts mehr erinnern. Fünf Bücher sind auf diese Art und Weise mit ihren Worten gefüllt worden. Blut ist eines der häufigsten Worte, die darin vorkommen. Sie ist heilig gesprochen worden. Der italienische Komponist Salvatore Sciarrino hat 1998 Textauszüge zu einer theatralische Szene entwickelt. Wobei das Theatralische im Wort steckt. Denn die Musik ist allenfalls ein Hauch vor dem Verklingen. (Von Sabine Weber) Weibliche Ekstase im mystischen Verklingen! Salvatore Sciarrinos “Infinito Nero” über die Mystikerin Maria Magdalena de‘Pazzi in Bonn weiterlesen