Rolf Liebermanns „Leonore 40/45“ als Hitler-Zirkus in Bonn

Viele Opern haben nicht überdauert. Dazu zählt auch Rolf Liebermanns „Leonore 40/45“, am Basler Stadttheater 1952 zwar unter großem Erfolg uraufgeführt, doch folgende Aufführungen in Deutschland führen zu „Publikumsaufständen“ (Ulrich Schreiber). An der Mailänder Scala wird sogar mit eisigem Schweigen reagiert. Liebermanns erster Opernversuch verschwindet also von der Bildfläche. Woran hat es gelegen? Damit hat sich das Theater Bonn intensiv auseinandergesetzt und, gefördert vom NRW-Ministerium für Kultur und Wissenschaft, zur Premiere ein opulentes Programmheft mit vielen Beiträgen herausgegeben. Vor allem: nach 62 Jahren ist „Leonore 40/45“ in der Regie von Jürgen R. Weber erstmals wieder über eine deutsche Opernbühne gegangen! Eingeleitet von einer beim Kulturwissenschaftler Thomas Bauer bestellten Festrede. Denn mit „Leonore 40/45“ ist die Reihe Fokus 33 (Opern, die nach 1933 verschwunden sind, sollen in Bonn neu diskutiert und aufgeführt werden) eröffnet worden. Und neben einem Kreuz mit Totenkopf unter Soldatenhelm hat Thomas Bauer gegen die ABC-Waffen (Aida, Bohème und Carmen) und den Einerlei-Kanon im heutigen Operngeschäft zugunsten von mehr Vielfalt das Wort geredet. (Von Sabine Weber)

(10. Oktober 2021, Theater Bonn) Und da passt die Personalie des Grandseigneurs Rolf Liebermann, Großneffe des Malers Max Liebermann. Als zweimaliger Opernintendant von Hamburg und Paris hat er Vielfalt unterstützt, Uraufführungen gefordert und gefördert. Er hat vielfältig komponiert, unter anderem Songs für Lale Andersen, eine große Sinfonie und auch eine Klaviersonate, die er zeitgleich zum Kompositionsbeginn seiner ersten Oper Leonore 40/45 beginnt. Mit Opern wie Der Schule der Frauen nach Molière oder dem Concert des Echanges für Schreibmaschinen oder einem Concerto für Jazzband und Sinfonieorchester feiert er auch Erfolge. Vielleicht war Leonore für die junge Bundesrepublik zu politisch, zu ambitioniert. Mitstreiter Heinrich Strobel, ebenfalls ein Pfund, Leiter der Musikabteilung des SWR und verdienter Wiederbeleber der Donaueschinger Musiktage, prangert in seinem Libretto unentwegt den Krieg an. Fordert plakativ Frieden zwischen den Erzfeinden Frankreich und Deutschland. Die Liebe einer Französin zu einem deutschen Soldat im besetzen Paris bestimmt die Handlung in 6 Szenen über zwei Akte. Vielleicht auch dies ein Grund für die Ablehnung in Deutschland. Nach der Befreiung von Paris galten Wehrmachts-Beziehungen Frauen auch in Frankreich als Verrat. Sie wurden geschoren und gedemütigt und sind im originalen Bild auch einmal eingeblendet. Also muss für Yvette, eine Nachfahrin der mutigen Kämpferin für die Liebe zu einem prekären Geliebten in Beethovens Revolutionsoper, auf die der Titel anspielt – ein Deus ex machina her. Ein rettender Engel, Monsieur Emile, auch eine Art Conferencier im Stück, der sie auf seinen Fledermausflügeln zum Geliebten Albert aus Paris herausfliegt. Die Liebenden sind übrigens beide Musiker, Albert Oboist, sie Sängerin, vielleicht ein bisschen Lale Andersen, Liebermanns langjährige Flamme. Beide sind natürlich Liebhaber der Avantgarde. Das dürfte ein persönliches Anliegen von Strobel/Liebermann gewesen sein. In einer Pariser Salonszene wird melomanischer Konservatismus in bürgerlichen Kreisen angeprangert, zu der Wehrmachtssoldaten nur bedingt salutieren. Denn unter ihnen ist ja Albert. Die wilde Klaviersonate – hier bringt Liebermann seine jüngsten Klaviersonaten- Erfahrungen ins Spiel, wird dennoch durch Franz Liszts Liebestraum ersetzt! Ist das alles ein bisschen zu viel des Guten?

Schwer zu sagen. Liebermann hat jedenfalls seine dodekaphonisch angelegte Partitur so konstruiert, dass sie mit lockeren Versatzstücken kompatibel ist und auch mit großem Melos und Gefühligkeit einhergeht. Teilweise spielen die Musiker des Bonner Beethoven Orchesters – unter Daniel Johannes Mayr hinter der Bühne aufgebaut – wie eine schmissige Volkskapelle, exerzieren einen Marsch und lassen das Militärtrömmelchen wirbeln, Glockenspiel klimpert komisch, dann erklingt eine große mystische Messiaën-Phrase, die an das Quatuor pour la fin du temps erinnert (Liebermann und Messiëan kannten sich gut), dann brickelnde Holzbläsererensembles im Stile Jean Françaix. Vielleicht hat Liebermann seine Oper deshalb Semiseria – halb ernst! – genannt. Es beginnt übrigens mit einer strengen Fugen-Sinfonie!

Barbara Senator (Yvette), Statisterie. Foto: Thilo Beu

Langweilig ist die Musik zu keinem Zeitpunkt. Einmal gibt es auch sehr tiefes drohendes Blech, ich erinnere nicht mehr wann und warum. Alles in allem ein gekonntert Stilmix, aber bestimmt keine Revue-Musik! Regisseur Jürgen R. Weber zieht die Szenen allerdings bunt kabarettistisch auf. In einem prominent gehängten Bilderrahmen werden dazu Anzeigen von einem Hitler-Zirkus projiziert, Hitler mit Pappnase, daneben „Warschau großer Erfolg! Nächstes Ziel Paris“. Später dann „London fällt aus“/ „Moskau fällt aus“. Je nach Fortschritt des Kriegsgeschehens/ Hitler-Zirkus. In der Ästhetik von Georges Braques (ausgeschnittene Papierschnitzel) oder in geometrischen Figuren von Kandinsky erscheint denn ein Leonoren-Clown. Wer ist hier der Clown? Irgendwie irritierend. Als Pappmascheekonterfeis von Churchill und Hitler nebeneinander auf der Bühne mit Bällen beworfen werden, fragt man sich, was will die Regie sagen?

Barbara Senator (Yvette) und Santiago Sanchez (Albert). Foto: Thilo Beu

Die Musik mit ihren kabarettistischen Momenten einfach zu doppeln schwächt eigentlich die Wirkung der Musik. Die Monströsität Hitlers durch ironische Distanz zu verharmlosen und zu brechen ist schon mehrfach versucht worden. Charlie Chaplins Der große Diktator ist eines der gelungenen Beispiele. Hier hilft auch noch die leibhaftige Liberté-Allegorie mit halbem Busen frei mit. Sie schwenkt die französische Flagge. Und vier wie napoleonische Soldaten gekleidete Figuren mit Beethovenperücke halten sich die Hörrohre ans Ohr und haben in der nächsten Szene ein Hakenkreuz am Ärmel. Sind Napoleons Truppen in Wien die Vorläufer der Nationalsozialisten und Beethoven selbst auch einer? Wenn Vater und Sohn Albert links in der Szene und rechts in der Szene Mutter und Tochter Yvette ein berührendes Kriegsverneiner-Quartett anstimmen, ist alles klar! Alles amalgamiert in dieser Show zu einer Antikriegsbekundung, die opernhaft vorgetragen zugegeben seltsam pädagogisch anmutet. Die Opernbühne ist kein Woodstock! Zumal wenn unter dem Eiffelturm erst Hitler und seine Schergen projiziert, und dann menschliche Caffée-au-lait-Tasse und ein leibhaftiges Croissant um Tische tanzen.

Joachim Goltz (Monsieur Emile), Ensemble. Foto: Thilo Beu

An Einfällen mangelt es Jürgen R. Weber jedenfalls nicht. Und als Albert nach dem Krieg in einem französischem Gefangenenlager erwacht, werden auch originale Bilder von deutschen Kriegsgefangenen gezeigt. Albert schmachtet nach Yvette „meine Gedanken sind bei Dir und meine Sehnsucht vergeht im Dunkel.“ Es ist allerdings Yvette, die sich auf die Suche macht. In einem großen apotheotischen Finale mit Chor werden sie zum Paar, in Revue-Anzüge gekleidet für die nächste Show. Die letzten Widerstände hat Playmaker Monsieur Emile überwunden, von Johannes Goltz hervorragend gesungen. Santiago Sanchez, Albert, und Barbara Senator, Yvette, sind ein ebenso wunderbar junges Paar. Gerade haben beide ihre Rollendebüts als Graf Elemer und als Arabella in der Bonner Strauss-Arabella gegeben, die vor einer Woche Premiere gefeiert hat. (Eine Koproduktion, die von der Pariser Oper übernommen wurde).

Auf diese intellektuelle Anti-Kriegshow im Stil einer Oper kann man sich nicht auf alles einen Reim machen. Die Bilderflut war jedenfalls gewaltig, die Musik eingängig und die Szene bunt! Das Publikum jubelt wie aus dem Häuschen und ist begeistert! Das zählt in diesen Zeiten. Und Leonore 40/45 zeitigt in Bonn nach mehr als 60 Jahren einen ersten deutschen Publikumserfolg!

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