Gefährlich! – Schrekers „Singender Teufel“ in Bonn!

Orgelklänge sind natürlich nicht so gefährlich wie die Atombombe! Doch Amandus ringt um die Fertigstellung einer Orgel, als ginge es um das Überleben der Menschheit. Schon sein Vater ist über den Orgelbau dem Wahnsinn verfallen und sogar als Ketzer verbrannt worden. Die unter Gefahr im Verzug fertiggestellte Orgel wird dann auch als Kampfmittel eingesetzt. Ihre Klänge helfen, eine Spezies zu paralysieren und auszulöschen. Das und mehr erzählt Franz Schreker in dem „Singenden Teufel“ von 1928. Der Bonner Fokus ’33 entdeckt das vergessene Spätwerk in seiner aktuellen Produktion und bringt es in einer Regie auf die Bühne, die der hybriden Story beikommt. (Von Sabine Weber)

(10. Juni 2023, Theater Bonn) Irgendwie durchgeknallt, was Schreker da selbst erfunden hat. Aber es zieht. „Der singende Teufel“ füllt auch an diesem heißen Sommertag das Theater in Bonn. Und das Publikum wird mit großem Theater belohnt. Mit einem tumultuarischen germanischen Sonnenwendfest und einer gigantischen Domszene, in der eben jene germanischen Heiden das Kirchenschiff stürmen, um die dortigen Mönche zu erledigen. Sie sinken aber von magischen Orgelklängen betört nieder und werden von den Mönchen, aufgehetzt von Pater Kaleidos, abgemurkst. Diese Szene ist auch musikalisch aufregend. Schreker moduliert echte Orgelklänge aus dem Graben mit weiteren Instrumenten zu einem phantasmagorischen Klanggebilde. Das wird noch mit einem Marsch und Choreinlagen überlagert, so als hätte Schreker die Collagetechnik seines US-amerikanischen Zeitgenossen Charles Ives kopieren wollen, weil er in dessen Partituren hat schauen können, was unmöglich sein kann!

Heidnische Götter, Engel und Heilige

Orgelklänge stehen also im Zentrum. Von der Orgel ist jedenfalls dauernd die Rede. Zwei Alumnen, Ordensschülern, beschreiben sie einmal wie einen Menschen mit Lunge, Kehle und Luftröhre. Und mit Bestien-haften Zügen: „Ihre Klaviatur ist wie Zähne, und die Zunge die Hand, die sie schlägt…“. Auf ihrem Prospekt werden Getier und Teufelsfratzen entdeckt und heidnische Götter von Engeln und Heiligen in Schach gehalten…

Alles nur eine Kette von Träumen!

Wie auf dem Prospekt tobt auch in der Handlung wildes Heidentum versus fanatisches Christentum, eine Liebesgeschichte zwischen Heidin Lilian und christlichem Orgelbauer Amandus. Der an sich zweifelnde Künstlerhandwerker ist virulent und wirft die Gibt-es-einen-Gott-Frage auf, die ihre berühmte Antwort erhält. Von einem Pilger, der wie der Teufel durch fünf ihm immer wieder zugeschlagene Türen hereintritt und den diabolischen Meister gibt. Es wird zu keinem Moment langweilig, nur Fragen nach Sinnentwicklung, nach einem roten Faden, sollten nicht gestellt werden. Es wird auch keiner Sache so richtig auf den Grund gegangen. Eben alles nur eine Kette von Träumen!

Wahn- und Fieberbilder

In dieser Inszenierung träumt Amandus die Wahn- oder Fieber-Bilder, der in Bonn mit rundfokussiertem Tenortimbre und wunderbar lyrisch und fein von Mirko Roschkowski gegeben wird. Noch einmal ganz andere Qualitäten als in Dortmund sind zu hören! Amandus/ Roschkowski ist auch omnipräsent in allen Szenen, weil sie in seinem Inneren stattfinden. Also fast 150 Minuten auf der Bühne.

Im Orgel-Inneren oder in der Kirche das Chorgestühl? Die Bühne für Schrekers Singender Teufel in Bonn! Foto: Thilo Beu
Tobias Schabel (Pater Kaleidos), Mirko Roschkowski (Amandus Herz), Chor. Foto: Thilo Beu
Im Innern einer Orgel

Dirk Hofacker deutet in diesem Sinne die Bühne als das Innere einer Orgel mit tausend Registern rundum an. Amandus befindet sich also wie John Malkovich in Being John Malkovich im traumatischen Innersten seiner Sache, die immer wieder von Max Karbe in anderes Licht getaucht wird, und die sich dann auch noch genial in Chorgestühl umdeuten lässt.

Die bunte Heidenruppe auf dem Notenfelsen im Bonner Theater. Die Bilder für Schrekers Singenden Teufel in Bonn hat Thilo Beu gemacht.
Dshamilja Kaiser (Alardis), Chor, Tänzer. Foto: Thilo Beu

Und öffnet! Dann fährt eine weiße Felsenlandschaft aus zerknüllten Klavierauszugblättern hinein, auf der im Kontrast zu sinnenfeindlich schwarze Kutte und Anzug tragenden Christen eine fantasiereich gestaltete bunte Sommernachtstruppe mit Hirschgeweih und Star-Wars-Masken – ebenfalls von Dirk Hofacker gestaltet – tobt. Das Mittelalter der gesetzten Handlung wird ins Fantastisch-Zeitlose uminterpretiert. Der Chor des Theaters plus Extrachor darf allerdings einmal als Mönchskuttenriege durch die Orgel-Kirche schreiten.

Glück in unereichbarer Ferne – Schrekers Idée fixe

Das Team um Regisseurin Julia Burbach wird in dieser Neuinszenierung der Handlung, die Ethos, Ästhetik, Klangmagie, Religionskampf mit einer personal story verquirlt, überzeugend Herr(in). Mit ihren Ideen überleben wir auch den Leerlauf im Finale, wenn Schreker einfach nicht zum Ende findet. Bis Lilian mit Erlösungsdrama endlich klein bei gibt und sich opfert. Senta-Holländer, Eva-Meistersinger, E.T.A. Hoffmannsche Schauerromantik, Fin-du-siècle-Irritation, Freud’sche Traumdeutung, die Liebe als einziges Heilmittel. „Wie man’s dreht, wie man’s wendet, ewig bleibts ein Rätselraten! Gute oder böse Taten, s’gilt alles gleich…“, singt der Chor zum Schluss aus dem Off. Dass es um ein Glück in unerreichbarer Ferne geht, ist eine Idée fixe in allen Schreker-Opern. Hier scheinen ihn aber damalige und ewig virulente, soziale, psychologische, gesellschaftsbestimmende Fragen umzutreiben, die er dem omnipotenten Orgelklang subsumiert.

Statt Pathos Humor und Komik

Das eigenhändig verfasste Libretto hat ihn jedenfals zu einer mit verschiedenen Musikstandards in Best-off-Qualität durchgestalteten Partitur inspiriert. Sogar Hindemiths „wie falscher Bach“-Idiom taucht bei ihm schon auf. Im letzten und vierten Akt wird Brecht-Weillscher Songstil angedeutet. Es gibt viele sehr dramatische Momente, die Schreker gern mit tiefen Klarinetten, Oboe d’amore oder Solovioline durchbricht, dann donnert das Blech hernach umso besser. Pauken schlagen und Militärtrommeln rühren. Das Beethovenorchester Bonn bringt unter seinem GMD Dirk Kaftan eine gewaltige Partitur zum Leuchten, der angeblich nachgesagt wird, den Schrekerschen Klangrausch-Magie-Zenit überschritten zu haben. Das bestätigt dieser Abend ganz und gar nicht. Vor allem vermeidet Schreker erdrückendes Pathos, wird nur im Schlusschor einmal kitschig und bringt lieber Humor und Komik ins Spiel, so mit Ritter Sinbrand von Fraß und zwei alkoholisierten Laienbrüdern, die im Rahmen einer Kooperation mit der Kölner Musikhochschule besetzt sind. Und die Regie lässt mehrmals fünf Orgelpfeifen von oben ins Bild sinken, die auch mal umgekippt da liegen.

Das überragende Gesangsensemble garantiert in Bonn für großen Genuss!

Schreker konnte für Stimmen komponieren. Das ist an diesem Abend auch unhüberhörbar. Und mit dem überragenden Gesangsensemble in Bonn großer Genuss! Neben dem erwähnten Mirko Roschkowski Anne-Fleur Werner mit klar strömendem Sopran als Lilian, Bassbariton Tobias Schabel als düster dräuender Pater Kaleidos, Dshamilja Kaiser als warmherzige germanische Hohepriesterin, Ava Gesell als Alumne oder Tae Hwan Yun als Lenzmar. Überzeugend vertanzt auch ein Ensemble Zwischenspiele und mischt im Bühnenbild kräftig mit. Einmal übersetzen sie eine relativ nüchterne zweistimmige „Trockenfuge“ in ein bewegtes Bild. Zu erwähnen bleibt noch das umfangreiche Programmbuch, das dieses vergessene Werk Schrekers differenziert aufarbeitet. Unter anderem mit einem Essay des kürzlich verstorbenen Fokus ’33-Mentors Andreas Meyer. Lesenswert sind die Uraufführungskritiken. Selbst in Köln wurde über Berlin berichtet. Dazu Essays über die Orgel in der Oper und im Film. Auch eine Aufführungschronik der Schrekerschen Bühnenwerke ist beigegeben.

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