Mahagonny und die Flutkatastrophe an der Ahr

Regisseur Volker Lösch, zuletzt hier in Bonn mit einem politisierten Fidelio und Folterzeugen aus der Türkei, bringt jetzt Flutopferberichte in die aktuelle Bonner Inszenierung von „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny”.  Die von Brecht/ Weill dargestellte Ausbeutung von Männern durch kapitalistisch organisierte Vergnügung ist aus heutiger Sicht vielleicht eine sehr plakative Parabel. Aber sie trifft es. In der Verknüpfung mit der Flutkatastrophe an der Ahr mit voller Wucht! (Von Sabine Weber)

(17. September 2022, 2. Aufführung am Theater Bonn) Also hier will Theater nicht bezaubern, sondern aufschrecken. Es ist wirklich erschreckend, wie wenig aus der Flutkatastrophe gelernt wird. Und das auch noch aus den Mündern Betroffener zu hören! In Dokufilm-Ausschnitten werden ihre Aussagen noch vor Beginn eingeblendet. Dass es immer noch keinen Masterplan gibt, um bei einer wahrscheinlich gewordenen nochmaligen Katastrophe vorbereitet zu sein. Beispielsweise dem Fluss mehr nötiges Ufer für die Überflutung zu geben, statt alles wieder hinzubauen, was die Flut weggerissen hat. Wenn überhaupt etwas in dem immer noch verwüsteten Gebiet geschieht. Das ist zu sehen im Hintergrund der Berichtenden. Die Aufnahmen sind im April entstanden. Insgesamt drei Mal unterbrechen sie die Oper. Wenn sie von ihren traumatischen Erlebnissen in der Nacht zum 14. Juli 2021 erzählen, wird einem schon anders.

Der Ausbeutung der Natur, dem Klimawandel, haben diese Menschen den Tribut gezollt. Es ist unser Konsum, der im Las Vegas von Brecht/ Weill auch schon Menschenopfer fordert. Nicht wegen der Naturkatastrophe, einem Taifun! In der Handlung bedroht ein Hurrikan Mahagonny, dreht aber ab, und alles läuft noch drastischer an. „Erstens … kommt das Fressen, zweitens kommt der Liebesakt, drittens das Boxen …, viertens Saufen…“ Jim Mahoney kann seine Zeche nicht bezahlen. Der Mörder kommt frei, weil es keinen Geschädigten gibt – der ist ja tot! Aber die Lokalrunde, die Mahoney geschmissen und nicht bezahlt hat, schädigt die Unternehmer Leokadja Begpick, Fatty und Dreieinigkeitsmoses. Ein durchtrieben gut zusammenwirkendes Trio mit Susanne Blattert, Martin Koch und Giorgos Kanaris, das mit einem cremfarbenen Mercedes auffährt. Sie sind es dann auch, die sich als Richter in grell aufleuchtenden Farbroben (Kostüme und Bühnenbild: Karola Reuther) aufspielen und das Urteil fällen.

Matthias Klink (Jim Mahoney). Foto: Thilo Beu

Es wird aus dem Graben heraus und auf der Bühne famos gespielt und gesungen. Das Orchester unter Dirk Kaftan ist auf Zack, die Tempi sind rasant. Einmal rödeln die Kontrabässe allein, dann gibt es wilde tutti-Fugen und natürlich Songs wie „Denn wie man sich bettet, so liegt man, es deckt einen keiner zu“ oder den „Moon of Alabama“ der Freudenmädchen, das sind Leitfäden der Oper. Wenn das Saxophon im letzten Abschiedsduett Jim Mahoney und Jenny begleitet, klingt es wirklich trostlos einsam. Matthias Klink als Jim Mahoney ist spielerisch von naiv bis verzweifelt eine Wucht. Vor der Vollstreckung hat er eine schlimme Nacht und geistert in Unterwäsche über einen weiß getünchten Schrottplatz mit Wohlstandsartikeln wie Hollywoodschaukel, Bötchen, Palme, Hängematte, aber auch eine Rakete ist da, verschrottet. Umsonst bittet er seinen Freund, als Freund ihn zu retten. Freund sei er, ja, aber mit dem Geld sei das etwas anderes. Selbst Lebensgefährtin Jenny (Natalie Karl, übrigens Operettenpartnerin von Klink bei der Gala Die ganze Welt ist Himmelblau), die er bis jetzt ausgehalten hat, distanziert sich von ihm.

Matthias Klink (Jim),Natalie Karl (Jenny), Giorgos Kanaris (Dreieinigkeitsmoses), unten: Matthew Peña (Tobby Higgins), Martin Koch (Fatty), Mark Morouse (Bill). Foto: Thilo Beu

In Guantanamo-Orange wird er gehängt. Abrupt reißt es ab… Und dann sieht man tatsächlich drei der Flutopfer, eine dreiköpfige Familie, auf der Bühne, die für die Zukunft mahnt und fordert. Dieser Brecht/ Weil-Abend ist pädagogisch, auch weil die „Laiendarsteller*innen“ wie Schüler auswendig gelernte Texte sprechen. Bis auf den Maler und den Pfarrer aus Ahrweiler klingen sie unnatürlich. Dieser Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny ist musikalisch dennoch überragend, und die Botschaft kommt an! Was will das Publikum mehr, als nach einem guten Theater-Opernabend berührt bis betroffen nach Hause zu gehen!

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