Leise beglückende Stimmungen! – Ensemble Trai Tempi spielt Scelsi, Jaecker und Veltman

Was bedeutet es, wenn ein die Öffentlichkeit scheuender zeitgenössischer Komponist, dessen Stil eher sphärisch bis spirituell bezeichnet werden könnte, Trauerriten für mächtige historische und mythische Männer entwirft? Es bleibt wohl auf immer ein Rätsel, warum der in Rom 1988 gestorbene Giacinto Scelsi „I funerali di Carlo Magno“ (Karl der Große) komponiert hat. (Von Sabine Weber)

(16. September 2022, Kunststation Sankt Peter, Köln) Damit beginnt jedenfalls dieses Konzert der besonderen Stimmungen. Scelsis Ritus von 1976 für Violoncello und Schlagzeuger fordert zunächst ein und denselben Ton mit Begleitresonanz gleichmäßig hin und her gestrichen auf dem Violoncello (Rebekka Stephan). Eine Art Klage könnte man assoziieren. Die zwei Schlagzeuger sorgen zumeist für ein sanftes Rumoren oder angedeutete Trauermarschattitüde (Ramon Gardella und Zoe Argyriou auf Becken, großer Trommel und Buckelgong, dessen Klang eine Skordatur- oder Verstimmpause des Violoncellos inmitten des Stücks überbrücken muss).

Friedrich Jaeckers Idyllen sind eine besondere Meditation

Von diesem Stück spannt sich der Konzertbogen bis hin zu Michael Veltmans un enfant passa für Viola und einen Schlagzeuger. Mit „Ein Kind kommt vorbei“ oder „Ein Kind stirbt“ könnte das übersetzt werden. Letzteres würde mit der ersten Begräbnismusik korrespondieren. Es ist an diesem Abend äußerst wohltuend, sich nicht mit Inhalt und Hintergrund textlich zu befassen, sondern nur das Hören zu genießen. Friedrich Jaeckers Idyllen (2020) nach Versen von Friedrich Hölderlin, hier als Gesamturaufführung, öffnet innere Hörräume.

Friedrich Jaecker (Klavier), Peter Stein (Viola), Nicole Ferrein, Gesang, Mit dem dritten Satz aus „Lasst die Libellen ziehn“. Foto: Sabine Weber

Zuvor noch ein Satz aus einem früheren Zyklus von 2017, Lasst die Libellen ziehn, für Sopran, Viola und Klavier mit dem Komponisten am Flügel, der auf die inneren Saiten im Korpus zugreift.

Mit Jaeckers Idyllen durchzieht das Ensemble Trai tempi den Kunstkirchen-Raum mit einem zeitenthebenden Klanggeflecht. Jaecker setzt Töne sparsam  ein und kreiert dennoch mit Resonanz oder den Spektren einzelner Töne Dialoge und Zusammenhänge  Die Klänge korrespondieren mit dem kargen, umso spirituelleren spätgotischen Kirchenraum. Das Publikum ist umrahmt von den Musikern und sitzt zudem um eine zentrale Skulptur mitten im Kirchenraum. Die feinen, zeitlich gedehnten Tonklänge bilden in den einzelnen idyllischen „Gesängen“ und auch im Gesamten einen hörbaren Zusammenhang. Im ersten Gesang Vom Himmel blickend zu den Geschäftigen herab nur mit solistisch eingesetzter Violine (Peter Stein) von hinten, einem Gesang auf „o“ und zunächst mit vier Tönen spielend vor dem leeren Altarraum von vorn (Nicole Ferrein mit Sei du, Gesang, mein freundlich Asyl). Das Klavier (jetzt Jovita Zähl) bringt sich zweistimmig mit weit gespreizten Oktaven von links ins Spiel (den Pfad hinaus, den stillen). Die als einzig energisch mit Atem und Perkussion auf den Klappen zu hörende Bassflöte (beeindruckend Daniel Agi) von hinten rechts ist dann wie ein Vulkanausbruch (Asche meinen Freunden). Zum Schluss im letzten und fünften wie einst eint sich das Ensemble im Tutti noch mit einem Kontrabass (Constantin Herzog). Die Konzertdramaturgie ist auf ein Finale hin konzipiert, ohne dramatisch extravertierte Steigerung, dennoch umfassend. Michael Veltmans un enfant passa wäre für das Hörglück jedenfalls nicht wirklich mehr nötig gewesen, schien dann auch etwas lang in seinen drei Teilen, wofür die Solistin (Christine Veltman) jeweils ihre normal gestimmte Viola mit einer skordierten wechselt. Das erinnert aber wieder an die Skordatur in Scelsis Ritus. Ein programmatisch also schön abgestimmtes und beglückendes Konzert mit Trai Tempi. Das Ensemble versteht es auf seine ganz eigene Art und Weise die Kölner mit Neuer Musik zu begeistern.

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