Titelfoto von links nach rechts: Lina Lapelytė (Musikerin, Sounddesignerin, Bildhauerin, Performerin), Rugilė Barzdžiukaitė (Theater- und Filmregisseurin, Bühnenbildnerin, Filmemacherin), Vaiva Grainytė (Schriftstellerin)
Unaussprechliche Namen, die ich mir erst einmal vorsprechen lasse. Es ist plötzlich saukalt im Herrenhausener Garten in Hannover. Dennoch wollen die drei das Interview open-air auf der Georgen-Terrasse draußen machen. Sie befindet sich neben der DHC-Halle, wo ihre Prestige-trächtige und immer noch innovative Performance im Finale der KunstFestSpiele Herrenhausen noch einmal gezeigt wird.
„Sun & Sea“ heißt sie und – es ist viel darüber berichtet worden– Über die scheinbar dokumentarische Strandszene mit Darstellern, darunter Kinder, Statisten, aus denen sich Sängerdarsteller herauslösen. Alle im Badekostüm. Immer wieder meldet sich singend jemand zu Wort. Während gelesen, gestrickt, Federball gespielt, im Sand gewühlt oder aufs Mobiltelefon geschaut wird. Eine elektronische Orgel vom Band liefert über Lautsprecher Begleitung. Wie auch die Gesänge bestehen sie meist aus wenigen Tönen, die sich Pattern-artig immer wieder wiederholen. Das hat etwas Meditatives. Wir, die Zuschauer und -hörer, bewegen uns auf einem oberen Rundlauf und beobachten in „Möwenperspektive“. Und lauschen den teilweise poetisch verpackten, vom Inhalt her oft trivialen, dennoch hintersinnigen gesungenen Gedankengängen. Eine Turbo-Mamma ist stolz, in welchen roten, blauen, grünen, blauen, mediterranen etc. Meeren sie und ihr Sohn sich schon getummelt haben. Ihr Schoßhund kläfft dazwischen. Wie gut, dass es im Barrier Riff ein Hotel gibt und Piña Colada angeboten wird. Der Ex-Mann einer Frau ist im Urlaub mit seiner Freundin ertrunken! Er war doch ein guter Schwimmer? Ein Mann mit profunder Bassstimme lamentiert über Arbeitsbelastung. Selbst am Strand könne er nicht loslassen. Dann dreht einer fast durch, weil ihm ein Tumor im Kopf diagnostiziert wurde und er jetzt sofort Shrimps essen muss. Choreinlagen kommentieren oder greifen auf. Der Strand singt und summt. Die Kinder wirbeln ungerührt dazwischen, buddeln im Sand oder führen Scheinkämpfchen gegeneinander. Ein korpulenter Mann erhebt sich mühsam und reckt sich Sonnengruß-mäßig nach oben und verharrt. Wer auf das Handtuch des anderen tritt und es mit Sand beschmutzt entschuldigt sich. Alle sind nett zueinander, sitzen aber dennoch unbeteiligt nebeneinander. Zwei junge Frauen leihen sich von einem männlichen Pärchen die Federballschläger aus, ansonsten gibt es kaum Kontakt. Seltsam berührt einen dieses Szenarium, über das keiner lacht. Vielleicht, weil die Gedankengänge entlarvend eigenen ähneln? Sind wir nicht die Touristen, die sich da auf den Handtüchern und den Liegestühlen räkeln? Ein Blick auf uns selbst, wie wir uns immer wieder eincremen oder Wasser zur Kühlung aufsprühen. Plötzlich stinkt es erbärmlich, beschwert sich eine Sängerin. Hundekot, Fischreste, Müll drückt durchs Handtuch! „Was ist nur falsch mit diesen Leuten, die Hunde zum Strand mitnehmen?“ Gehören die, gehören wir hier hin? Was machen wir mit uns und unserer Welt…
Und wer sind die drei im Damen-Trio, die hier so sanft und ohne Zeigefinger Fragen aufwerfen?