Großes Theater, großartige Momente! Der Opern-Saisonrückblick 19.20 von Sabine Weber

Die Saisonabschlussbilanzen der Opernhäuser trudeln ins Mailfach. Einmal mehr ein Grund, dieser Saison auch unsererseits einen kleinen Rückblick zu gönnen. Trügt der Eindruck, oder waren es wirklich mehr Uraufführungen als im letzten Jahr? Christoph Marthalers Verbeugung vor Charles Ives mit „Universe, Incomplete“ auf der Ruhrtriennale, György Kurtàgs „Fin de Partie“ an der Scala, „Marx in London“ von Jonathan Dove in Bonn, Anno Schreiers “Schade, dass sie eine Hure war“ an der Oper am Rhein, Michael Wertmüllers „Diodati.Unendlich“ über den Frankenstein-Mythos in Basel, gefolgt von Mark Greys Frankenstein-Oper in Brüssel, Detlev Glanerts Fontane-Hommage „Oceane“ an der Deutschen Oper Berlin,  Hector Parras “Les Bienveillantes” in Antwerpen oder das szenische Lab.Oratorium von Philippe Manoury mit dem Gürzenich-Orchester in der Kölner Philharmonie. Dazu deutsche Erstaufführungen wie Philip Venables „Psychose 4.48“ an der Semper 2, Luca Francesconis Kammeroper „Quartett“ nach Heiner Müller in Dortmund. Dazu Wiederentdeckungen wie Jacques Offenbachs „König Karotte“ in Hannover oder César Francks „Hulda“ in Freiburg! Dazu zwei beglückende Repertoire-Inszenierungen in Köln mit „Rusalka“ und „Peter Grimes“, in Bonn mit „Die Sache Makropulos“, nicht zu vergessen Essen mit Aribert Reimanns „Medea“. Und bis zuletzt bleibt es spannend.

(10. Juli 2019, Oper Dortmund, 12. Juli Theater Wuppertal) Im Saisonfinale öffnet die Oper Dortmund ihr Haus für Schüler des Märkischen Gymnasium Iserlohn und die Musikschule Dortmund. Die Jugendlichen – das Projektorchester samt Orange Groove Band liefert die heimische Musikschule – schmeißen den Orchestergraben und auch die Bühne für Andrew Lloyd Webbers Joseph-Show. Das ausverkaufte Haus verbucht bei der Premiere am 10. Juli einen Besucherrekord auch an jungen Leuten mitsamt Onkel, Opa und Eltern. Und wie die vielleicht achtjährige Besucherin vor mir in der Reihe, die sich ständig aufgeregt zu ihrem Nachbarn beugt und etwas geflüstert hat, sind alle im Publikum mitgegangen. Klatschen und Jaulen nach jeder Nummer, natürlich war die Performance auch ein bisschen darauf angelegt.

Aber großartig, wie die elf Brüder sich als grelle Gang ins Zeug werfen, inklusive der beiden Brüder als sich verblüffend ähnelnde Hauptdarsteller für den biblischen Joseph (Lennart und Jonathan Pannek) und sein zeitgenössisches Pendant, einen von seinen Mitschülern gemobbten jugendlichen Außenseiter. Und der große Chor, der umrahmt oder auf einer Tribüne die Misshandlung des versklavten Joseph mitverfolgt, der zum Schluss aber als Sieger der Show im Goldanzug triumphiert. Das Team mit Regisseur Alexander Becker, Ausstatterin Annika Haller – und ihre fantastisch neonleuchtenden Dreamcoats -, Choreographin Jutta Maas und Videofilmer David Martinek haben „Joseph and the Amazing Technicolor Dreamcoat“ – die biblische Geschichte von Joseph und seinen Brüdern zu einer emotional aufgeladenen und ruhig auch mal kitschigen Studie über Ausgrenzung gemacht, wie sie auch in der Schule passiert. Im Zugabe-Reigen wurden die wirkungsvollen Nummern noch einmal im Schnelldurchlauf gegeben. Wobei Felix Kriegenberg mit seiner angerauten Bass-Stimme als Rampensau noch einmal alle mitreißt!

 

„Die tote Stadt“ von Erich Wolfgang Korngold hat in Wuppertal mit morbid-traumatischen Klängen dem flandrischen Städtchen Brügge gehuldigt und Korngolds sehnsüchtigen Fin-du Siècle-Sound in den Dienst einer widerständigen Trauerarbeit gestellt. Regisseur Immo Karaman realisiert auf der recht kleinen Bühne immerhin drei Bühnenebenen und von der Pathologie bis zur Unfallstelle die Orte, die den Kult um eine tote Frau zu einem changierenden Spiel zwischen Wahn und Wirklichkeit werden ließen. Die Dernière in einem fast ausverkauften Haus wurde gefeiert. Nach nur sechs Aufführungen. „Die Partitur sei so schwer, dass man sie hintereinander weg spielen muss“, so Chefdramaturg David Greiner, der in einem präzisen Einführungsvortrag dem Publikum auch wichtige Stationen Korngolds zur Einordnung mitgegeben hat. Groß ist auch das Orchesteraufgebot, sodass die Tasteninstrumente von außen zugespielt werden mussten. Jason Wickson als Paul und Susanne Serfling als Marietta stemmen große Partien. Zusammen mit Simon Stricker als Frank und Ariana Lucas als Brigitta überzeugen alle sängerisch und darstellerisch bis hinein in eine religiös-symbolistisch verstiegene Verklärungsszene, in der ein Kinderchor aus dem Off Heiligkeit und Unschuld ins wahnsinnige Spiel bringt. Großartig, dass dieses Haus sich an diese doch selten gespielte, so schwierige Oper gewagt hat. Wuppertal sehen und … begeistert sein! Oper sehen und anerkennen! Was unsere Häuser in dieser Saison uns wieder an Höhepunkten geschenkt haben, gilt es mal einfach anzuerkennen. Was für ein Glück, dass wir in Deutschland dieses Engagement und diese weltweit einzigartige Szene haben!

 

 

 

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