Nadja Loschky inszeniert Antonin Dvoraks „Rusalka“ für die Kölner Erstaufführung als ein anrührendes slawisches Märchen aus dem 19. Jahrhundert. Für die siebte Vorstellung hat sich – wenn man so will – ein slawisches Traumpaar auf der Bühne getroffen: Olena Tokar und Dmytro Popov!

Premiere war schon am 10. März. Die siebte Vorstellung von Antonin Dvoraks berühmtester Oper „Rusalka“ in der Kölner Oper im Staatenhaus war eine Überraschung – fast wie eine Premiere. Tenor Dmytro Popov verkörpert erstmals den Prinzen in dieser Produktion, mit hinreißend lyrischem Timbre und ohne Durchschlagskraft in der Höhe missen zu lassen. An der Seite von Olena Tokar, die die Erstbesetzung der „Rusalka“ im letzten Jahr an der Oper Leipzig war, in Köln „nur“ die Zweitbesetzung, aber an diesem Abend ein hinreißend jugendlich, emotional vibrierendes Naturwesen im Ausnahmezustand gibt. Stimmlich, dynamisch, Melodielinien fantastisch gestaltend! (Von Sabine Weber)

Samuel Youn als Wassermann. Rusalka im Bett in Fischernetzen verstrickt. Foto: Paul Leclaire
Samuel Youn als Wassermann. Rusalka im Bett in Fischernetzen verstrickt. Foto: Paul Leclaire


(30. März 2019, Oper Köln, Staatenhaus) Überhaupt ist das ganze Ensemble an diesem Abend fantastisch und steht für das Niveau der Kölner Oper derzeit, mit einem erwähnenswerten Augenmerk auf die Zukunft der Sängerinnern und Sänger. Der sogenannte Heger ist mit Bariton Wolfgang Stefan Schwaiger besetzt, ehemals Opernstudio, jetzt im Ensemble. Die junge Vero Miller, als weiblich besetzter Küchenjunge, hat die Rolle als 2. Preisträgerin des Internationalen Musikwettbewerbs Köln an der Kölner Musikhochschule gewonnen. Auch hier arbeitet man zusammen. Die beiden sind in dieser Inszenierung für den Tratsch in der Menschengesellschaft auf dem Schloss des Prinzen zuständig und gestalten ihre Rollen spielfreudig und stimmig. Da wäre aber auch noch Dahlia Schächter als knarzige Hexe, Weise oder Zauberin Jezibaba. Mit hochgetürmter Lockenpracht und bordeauxrotem Bustierkleid mit Volant-Rock taucht sie auf, wann immer sie gerufen wird. Schächter beschäftigt sich neben ihrer Bühnenarbeit seit Jahren mit jiddischen Liedern. Sie ist also die perfekte Besetzung für die Zaubersprüche, die sie zumeist in Liedform zu zelebrieren hat und eine gewichtige Weib-Erscheinung, die wie eine durchgeknallte Saloon-Lady auch mal eine Zigarre im Mund hat. Ebenfalls im Kölner Ensemble Ariane Bastidas, die als fremde Fürstin mit rokokohaft geschminkten Lippen auf weiß gepuderter Haut, mit dramatischer Stimme und gespielter Leidenschaft dem Prinzen den Kopf verdreht. Übrigens trägt sie dasselbe Volant-Kleid wie Jezibaba, nur in schwarz weiß gestreift. Die drei Waldelfen tragen über Spitzenhöschen Kittel in Jezibabas bordeauxrot. Darunter nackte Beine im etwas verdreckten Feinstrumpf. Sie bilden ja ein koboldhaft liederliches Sopran-Trio. Mit Veronika Lee aus dem Kölner Opernstudio, Judith Thielson, ehemals Opernstudio, jetzt im Ensemble, ergänzt von Regina Richter, eine bestens bekannte Stimme, seit 2002 ist sie in Köln engagiert. Die drei erobern mit einer Art rasendem slawischen Tanz die Bühne. Im Großen und Ganzen sind sie aber eher gutmeinende Naturwesen, die mit strubbeligen Haaren aus der Wäsche schauen und nur ein bisschen Schabernack treiben wollen oder Jezibaba assistieren müssen. Und natürlich ist da noch Samuel Youn! Ein international renommierter und Bayreuth-erprobter Wagnersänger, im Kölner Opernstudio groß geworden, worauf die Kölner Oper zu Recht stolz ist. Er ist der Wassermann, Vater der Wasser-Nixen-Fabelwesen, also auch Vater jener Rusalka, die eine Menschin werden will. Und kann seinen geschmeidig bis wuchtigen Bass-Bariton vielfach einsetzen. Für Verzweiflung im volksliedhaften Ton. Er wütet oder warnt auch, natürlich vor den bösen Menschen, die der Natur nicht gut gesinnt sind. Unter seinem Ledermantel schaut ein Kaftan mit Priestergewand-Spitze hervor. Er ist eine Art Pope oder Rasputin, die moralische Instanz der Naturwesen, vor der auch die Waldelfen zittern. Bedrohlicher Bühnennebel kündigt ihn auch an. Die Schwaden rollen von hinten über die stahlgrauen schräg zum Publikum hin laufenden Bühnenbretter wie im Horrorfilm „Nebel des Grauens“. Dazu wogt hörbar Wasser und Rahen knarzen – vom Band. Eine Stimme rezitiert ein Gedicht von Radek Maly, wie das Programmheft verrät. Das hat zusätzlich etwas Geisterhaftes, zumindest für den, der kein Tschechisch versteht, so wie der Wassermann mit fünf weiteren Geistergefährten, sehr rätselhaft, ein Holzbett nach vorne zieht. Ein Ehebett, das wohl im Wasser versenkt wurde und jetzt von Fischernetzen überwuchert ist. Aus diesen Netzen will sich Rusalka befreien, ihre Fischhaut loswerden und zu den Menschen, voll von Sünde und voll von Liebe. Aber den Irrungen und Wirrungen der menschlichen Liebe ist sie nicht gewachsen. Ihre kühle, dennoch absolute Liebe wird von der leidenschaftlichen Gräfin überboten, das hält sie nicht aus. Und der Prinz erkennt zu spät, dass Leidenschaft und Liebe nicht dasselbe sind.
Diese Geschichte könnte heute durchaus auch als ein ökologischer Protest gedeutet werden! Denn Rusalka wird von ihrem Prinzen verraten, weil er sie (die Natur) nicht (er)halten kann, und stirbt darüber, weil er sie (die Natur) verliert. Nadja Loschky versucht keine Aktualisierung dieser Art, sondern bleibt bei den märchenhaften Naturwesen, die natürlich auch menschenhafte Züge tragen. In Köln fließen die Szenen ineinander. Aus der Wasser- und Naturwelt, in die die Menschen einfallen, wird die Menschenwelt, in die die Naturwesen einfallen. Bühnenbildner Ulrich Leitner arbeitet in jedem der drei Akte lediglich mit einer Bettrequisite. Sinnbild für die gescheiterte Liebe. Im letzten Akt liegt Rusalka in einer Art Krankenhausbett, das mit einem Fuß schon in ein Bodenloch abstürzt. „Das habe Rusalka nun von dem menschlichen Seelenkram“, schimpft die Hexe. Der Chor singt aus dem off als unsichtbares Wasser-Volk oder steht als Schloss-Volk auf der gesamten Bühne oder um das Bett herum, in das sich der Prinz und die fremde Fürstin zum Entsetzen von Rusalka werfen. In Köln gelingt ein in jedem Moment stimmiges und dichtes Gesamtkunstwerk. Irena Srpeckelmeyer hat mit viel ästhetischem Geschmack und Liebe zu kleinen Details die dem 19. Jahrhundert verpflichteten Kostüme entwickelt. In jedem Moment reagiert die Regie mit der Personenregie auf die Musik. Wenn Olena Tokar beispielsweise stumm das Gehen auf den ihr ungewohnten neuen Beinen übt, oder wenn das erste Liebesduett zwischen ihr und dem Prinzen mimisch-gestisch passgenau auf die Musik passt.

Antonin Dvorak hat auch eine Musik geliefert, die an Dramatik nichts zu wünschen übrig lässt, die den volkliedhaften Ton ebenso bedient, wie Pathos mit düsteren Blecheinwürfen, wie man sie von Wagner her kennt. Das Gürzenich-Orchester Köln unter Christoph Gedschold, in dessen Händen auch schon die Leipziger „Rusalka“ gelegen hat, lässt nichts zu wünschen übrig. Dvorak nutzt übrigens die gescheiterte Liebe für einen großartigen Liebestod des Prinzen. Rusalka, zwar nur noch ein Irrlicht, stimmt zu pathetischen Schlussklängen ein Hymne an die Schönheit an und bittet für den armen Menschen, der da vor ihr liegt, sogar Gott um Gnade. Das klingt am Ende so magisch, wie im berühmten Lied an den Mond im ersten Akt. Mit Harfenklängen und Streichern im Ohr endet ein wunderbarer Abend. Das Publikum bedankt sich mit stehenden Ovationen!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert


The reCAPTCHA verification period has expired. Please reload the page.