Was nachklingt! …

Die Mailfächer und auch die Briefkästen sind gefüllt mit zugesandten und zugewandten Grüßen und Wünschen. Nach dem Jahreswechsel soll es doch besser werden! Auch wenn etwas hängen bleibt vom „alten“ Jahr oder nachklingt! Es gibt auch einen kleinen Stapel, der zu denken gibt und zu wünschen übrig lässt. Und dies zuerst. (Von Sabine Weber)

Die verstörend aufgequollen mediale Igor-Levit-Kontroverse in der SZ Mitte Oktober 2020. Sechs Zeitungseiten zum Stichwort: Igor Levit ist müde



Ein Musikkritiker spielt persönliche Vorlieben für/gegen einen Pianisten aus. Daniil Trifonov gegen Igor Levit, ersterer „mit perfektem Legato“, wobei es ein perfektes Legatospiel wie es Giuseppe Tartini mit dem Begriff Cantabile für die Geigenzunft eingeführt hat, auf dem Klavier mit seinem nach dem Anschlag ja sofort verklingenden Ton theoretisch gar nicht geben kann. Levit wolle sein „Legato-Unvermögen“ mit politischem Engagement überdecken. Eine Unterstellung mit Folgen. Einen Shitstorm an Leserbriefen und Mails löst sie aus. Die Chefredaktion, nicht die verantwortliche Feuilleton-Redaktion, entschuldigt sich vorauseilend und fordert eine Replik bei Carolin Emcke an, die wiederum unter der Überschrift „Ich bin auch müde“ eine geschliffene Brandrede gegen einen nunmehr als antisemitisch auszumachenden Musikkritiker anbringt. Weitere Leserkommentare schließen sich an.
Emckes Rede ist brillant formuliert. Nichts hinzuzufügen, nur, sie schießt übers Ziel hinaus! Dass ein Musikkritiker, der allmächtig seine Vorliebe für einen Pianisten ausbreitet, weil er darüber genervt scheint, dass der andere „nicht-musikalisch“ mehr Rampenlicht erheische, das doch seinem Liebling zustünde, brandmarkt ihn noch lange nicht zum Antisemiten. Bezeichnend allerdings auch, dass dieser Musikkritiker unverbesserlich unkritisch sich selbst gegenüber bleibt. Sein nächster SZ-Artikel: eine trotzige Lobeshymne wieder für seinen Lieblingspianisten!
Nachdenklich stimmt vor allem, dass sich die Chefredaktion an der eigentlich zuständigen Feuilletonredaktion vorbei kollektiv entschuldigt hat. Was geht denn in einer Feuilleton-Redaktion vor sich, wenn die dortigen Chefs keine Autonomie (mehr) zeigen (dürfen)? Jemand hat den Ursprungsartikel doch wohl abgenommen. Wer sitzt denn jetzt am Ruder des SZ-Feuilletons? Oder sind solche medialen Aufwirbelungen als Passspiele zum Aufgeregten hin eine neu verordnete Marschroute im SZ-Feuilleton? Wir würden uns wünschen, dass das nicht stimmt!

Die Würde des Menschen ist unantastbar! Steht auf der Fassade des Badischen Staatstheaters. Alles nur Fassade? Foto: Eberhard Pfeifer

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Was hinter der Menschenwürde-Fassade in Karslruhe sich losgebrochen hat, könnte möglicherweise stellvertretend für andere Theaterhäuser auf gefährliches Baustellenpotential hinweisen

(Hintergrundinfos hier) Zumindest in der nicht „freien“ Theaterlandschaft. Die Öffentlich-Rechtlichen statten viele ihrer Mitarbeiter im „off“ nicht mit Tarifverträgen aus.  Alle sind mehr oder weniger damit „dauer-kündbar“ und der Hire-and-Fire-Willkür der Intendantin oder des Intendanten ausgesetzt! Ein Intendant, der das weidlich ausgenutzt hat, muss jetzt gehen. Peter Spuhler in Karlsruhe. Aber er geht nicht nur, weil das Theatermitarbeiterkollektiv seit Jahren unter diesem angeblich kontroll-wütigen, menschlich auch unter der Gürtellinie willkürlich agierenden und autoritär durchregierenden Generalintendanten leidet. Die Politik hat sich jahrelang hinter ihn gestellt. Allen voran der Karlsruher OB Frank Mentrup, unterstützt von Ministerin Theresia Bauer. Sie ist Vorsitzende im Verwaltungsrat des Theaters und seit Spuhlers Heidelberger Zeiten, er war zuvor dort Intendant, pflegt sie eine freundschaftliche Seilverbindung zu ihm. Es sei daran erinnert, dass sogar harte Missbrauchsvorwürfe in Karlsruhe abgebügelt wurden. Ein Schweigegebot gegen Mitarbeiter wurde ausgesprochen, damit die Verlängerung von Spuhlers Generalintendantenvertrag nicht gefährdert werden könnte. Die Auflösung des dieser Art vorzeitig verlängerten Vertrages könnte die Stadt jetzt teuer zu stehen kommen! Doch warum lenkt die Politik überhaupt plötzlich ein und hat ein Ohr für die seit 2011 immer wieder vorgetragenen menschlichen Nöte im Theater-off? Frank Mentrup will als Oberbürgermeister wieder gewählt werden. Und da passt eine Geschichte, die jederzeit wieder überkochen könnte, nicht ins Konzept. Die in der Theaterstruktur verankerte Problematik fällt damit wohl wieder unter den Tisch, für die politische Karriere ist ja alles geregelt…

2020 bleibt also in verschiedener Hinsicht als Krisenjahr in Erinnerung! Was Theater- und Opernhäuser trotz ihrer Probleme und Restriktionen 2020 dennoch künstlerisch geleistet haben, ist von Klassikfavori ausgiebig gewürdigt worden:

Gleich zum Auftakt des Beethovenjahres ein Fidelio als Türkei-Tribunal in Bonn!
Ein unerwartet historisch politische Lektion an der Vlaamse Opera in Gent für die Belgier
Die Uraufführung einer Kafka-Oper mit deutschem Libretto in Dijon
Die Performance-Oper eines bemerkenswerten litauischen Künstlerinnenkollektivs bei den KunstFestSpielen Herrenhausen…
Alles nachzulesen auf Klassikfavori. Dazu die vielen Streams und Online-Angebote, die der Kultur-Lockdown entfesselt hat und die auf vielfältigste Art und Weise eine Brückenverbindung zwischen dem Publikum und der Theaterarbeit aufrecht zu halten versuchen. Wir haben berichtet! Dazu CD-Aufnahmen, wie die der zwei Französinnen, die Komponistinnen ihres Landes wiederentdecken. Oder von Fatma Said, dem shooting-star unter den Sängerinnen des nächsten Jahres. Wir machen 2021 natürlich weiter!!!

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