Abgelehnt, wütend, dann wahnsinnig geworden. Mit 26 Jahren tot. Der österreichische Komponist Hans Rott, ein Zeitgenosse Gustav Mahlers, ist ein tragischer Fall. Das Gürzenich-Orchester in Köln hat sich für das Label CAPRICCIO seiner einzigen Symphonie in E-dur angenommen und gewaltigen Klängen, die zwischen Meistersinger-Festwiese, Parsifal-Entrückung und derbem Ländlertanz chargierend sich zu einer Riesenschlange formen. Das Gürzenich-Orchester zaubert und entfesselt, was es zu entfesseln vermag. Letztes Jahr ist eine erste Hans-Rott-CD vorausgegangen mit Orchestervorspielen und -Suitensätzen. (Von Sabine Weber)
(CD CAPRICCIO C5414) Eine Ferntrompete vor Naturton-wabernden Streichern im pianissimo gibt ein Signal. In Sequenzen zieht sich ein Schleier am Anfang des ersten Satzes seiner Symphonie in E-dur wie ein Vorhang im Theater auf. Ein erster Hymnus wird entfesselt, der in einer großen Blechfanfare gipfelt. Das ist Wagner-opernhaft und gleichzeitig Mahlerhafte Naturmystik! Die sanften Holzbläser, die sich nach gewaltigem Tusch mit Triangelzittern und Pauke ins Klangbild senken, lassen an das Dresdener Amen denken, besser bekannt als das Parsifal-Motiv, das Wagner Mendelssohns Reformationssinfonie abgelauscht hat. Und schon lässt es Rott wieder marschieren, steigert sich, setzt gewaltige Ausrufungszeichen, öffnet hier und da ein Himmelsfenster mit mystischen Klangmomenten, alles in gewaltigen Brucknerhaften Steigerungsbögen, die das Gürzenich-Orchester unter Christopher Ward zelebriert, als gelte es die deutsche Romantik affirmativ zu beschwören. Genauer die Romantik, die sich von Wagner, Bruckner und Mahler aus ihren musikalischen Weg gebahnt hat. Also Riesenpanoramafahrten und keine akademisch klassische Tonarchitektur.
Johannes Brahms schien auch nicht viel von Hans Rott zu halten und verweigerte ihm einen begehrten Kompositionspreis, was Rott ihm übel genommen hat. Möglicherweise ein Auslöser für seinen „halluzinatorischen Irrsinn“ und unheilbaren „Verfolgungswahn“. Der erste Satz ist aus der Preisbewerbungskomposition hervorgegangen und auf dieser CD auch als Weltersteinspielung am Schluss einzeln nachzuhören. Der zweite Satz, ein Adagio, ist elegischer Gesang. Und mit hinzu erfundener mythologischer Tragweite könnte hier ein gefallener Held als betrauert gelten. Dessen Trugbild darf in einer entfesselten Fuge noch einmal drohen. Durch einen grellen Orchesterstreich verjagt, setzt ein orchestraler Choralgesang den ruhigen Grabeszug fort. Im Scherzo dann Ländlerhafte Derbheit. Man könnte hier sogar meinen, Rott nähme Mahler vorweg. Mahlers erste Symphonie entstand knapp acht Jahre später, und Mahler schätzte Rott und kannte seine Partituren. Erwachen der Natur im letzten Satz. Irrende einzelne Töne, knurrende Tiefe im Kontrafagott, dann eine stehende Klangfläche. Wann geht es los? Ein Blechchoral kündigt eine gewaltige Schlacht an! Doch dann wieder ein einsamer Hirtenton der Oboe. Unentwegt löst Hans Rott Assoziationen aus. Bis hin zu triolischer Muskelprotzerei im Finale. Rotts Musik baut Spannung auf, von der ersten bis zur letzten Minute, als ginge es unentwegt um Leben oder Tod. Die Rede ist von über 50 Minuten Musik. Seine erste Symphonie ist in Summum Opus mit gewaltiger Potentialität, ein Füllhorn an Tragik und Pathos, aber auch mystischer Verzauberung, kammermusikalischen Effekten, meist Choral- oder Hymnenartigen Melodien, dann auch Fugenausbrüchen. Was, wenn dieser gerade mal zwanzigjährige Rott auch noch seine Formgestaltung weiter hätte entwickeln und schleifen können. Wohin hätten seine musikalischen Reisen noch geführt? Oder hätte es kein weiter so geben können? Selbst gehört hat er seine Symphonie nie. Erst 1989, 100 Jahre nach ihrer Entstehung, erlebt sie ihre Uraufführung. Das Gürzenich-Orchester formt Hans Rotts einzige Symphonie zu einem unvergesslichen Klangritual, den Wagnerianer und Bruckner-, vielleicht sogar Fantasy-Fans wie ein Festmahl in Walhall oder Westeros genießen könnten.
Die Hinzugabe einer fröhlich beschwingten frühen Streichersinfonie erinnert an Griegs Holbergs Zeiten. Die fugenhaften Ansätze sind „mendelssohnisch“, und im Scherzo-Satz mit kleinen Trio-Intermezzi und solistischen Momenten kann immer wieder gestaunt werden, wie handwerklich geschickt Rott mit Faktur umgeht. Diese CD ist eine Entdeckungsreise. Und der Klang der Aufnahme ist fantastisch! Wer Lust auf mehr Rott hat, kann zur ersten CD mit Suitensätzen für Orchester greifen, mit Hamlet-Ouvertüre (in Weltersteinspielung), einem Vorspiel zu Julius Cäsar, und einem Pastoralen Vorspiel, teilweise aus Fragmenten und Particell von Rott-Forscher Johannes Volker Schmidt ergänzt und zur Edition und Spielreife vollendet. (CAPRICCIO C5408)