„Der Schmied von Gent“ ist Franz Schrekers letzte vollendete Oper (1930). Schreker schwebte eine Volksoper à la Breughel vor, ohne elitären Anspruch, dafür sollte sie populär sein. Den Schwank „Smetse Smee“ stöbert er in den „Flämischen Legenden“ Charles De Costers von 1858 auf. Eine Art erbaulich-patriotische Literatur für das noch junge Belgien. „Smetse Smee“ spielt im 16. Jahrhundert zur Zeit der spanischen Besatzung, Smee ist natürlich ein Anhänger der Geusenpartei. Es geht aber nicht primär um politische, historische oder ökonomische Hintergründe. De Coster fokussiert das „belgische“ Volk, wie es auf Repression reagiert, prügelt, zusammenhält oder Denunzianten in den Fluss schmeißt. Die gottesfürchtige Ehefrau hält kleinbürgerlich ehrbar natürlich immer zum Mann. Der ist hier einer, der sein Schicksal ganz schön verschlagen in die Hand nimmt, den Teufel und selbst den Himmel haut er für sein Fortkommen übers Ohr. Smee ist also eine handfeste Gegenfigur zu Schrekers kränkelnden Opernhelden, den von mystisch-rätselhaften Schicksalen Getriebenen Fritz in „Der ferne Klang“ (1912) etwa oder Alviano in „Die Gezeichneten“ (1918). Regisseur Ersan Mondtag verwirrt den bürgerlichen Moralkodex in Gent-Antwerpen allerdings noch ein bisschen. Er verwandelt Smee im letzten Akt in einen Wiedergänger Leopolds II., der in der Hölle auf die koloniale Vergangenheit Belgiens im Kongo trifft und im Himmel auf einen kongolesischen Petrus! (Von Sabine Weber)
(2. Februar 2020, Opera Vlaanderen, Antwerpen) Die Menschen sind von Anfang an auf der Bühne sehr farbig! Im Gesicht sind sie gelb, blau, grün, lila angemalt. Da fällt es nicht ins Gewicht, dass im zweiten Akt die heilige Familie, Josef und Maria, in sandfarbenen Tuchgewändern ein dunkelfarbiges Jesuskind in den Armen schaukeln. Die beiden männlichen und der eine weibliche Teufel tragen natürlich feuerrot im Gesicht und am ganzen Körper, wie wir das von unserem Kasperltheater-Teufel her erwarten. Von kräftigen Farben sind auch die Fantasiekleider des Chors. Sie erinnern an afrikanische Tuchgewänder, zitieren allerdings keine eindeutig afrikanischen Muster, sie sind mehr Fantasie wie auch die Turmhüte und Frisuraufbauten. Bühnenbildner Josa Max war bei Vivienne Westwood Praktikant. Und die Bürgersleute lässt er ebenfalls schrill leuchten.
Smees Frau, sie heißt nur Frau, in historischem Reifrock, trägt pinke Streifen auf dunkelblau mit züchtigem Häubchenhütchen in denselben Farben. Als eine Art Tambourmajor, in weißem Anzug mit rotem Rand abgesetzt, präsentiert sich Smee. Er wird von seinen Schmiedegesellen in schlammgrauen, aber jeweils anders und einfallsreich gestalteten Kostümen begleitet. Das verbindet sich geradezu perfekt mit dem Bühnenbild. Regisseur Ersan Mondtag hat es als eine Setzkastenähnlich verschachtelte flämische Kleinstadtansicht mit – natürlich – Treppengiebelchen nachgebildet. Das kann immer wieder anders durchstiegen werden, und hinter Türmchen und Fensterchen schauen Gestalten hervor. Unten gibt es auch einen dunklen Durchgang, wo die aufmüpfigen Genter einem spanientreuen Edelmann in puritanischem Schwarz auflauern und ihn verprügeln. Auf der anderen Seite, das Ganze steht auf einer Drehbühne, zeigt sich dann ein Comic-artig überzeichneter heidnischer Baal oder Riesenmoloch mit Widderhorn und Drachenmaul. Er hält ein schreiendes Baby in den Krallen, er will es wohl verschlingen.
Das menschenfressende Böse lauert also hinter der kleinbürgerlichen Fassade! Und in stetem Wechsel dreht sich alles und verzahnt sich permanent. Auch musikalisch. Schreker steigert sich in seinem letzten Werk zu ungewohnt neuen Klangeroberungen. Seinen postromantisch und oft als „erotoman“ bezeichneten sinfonischen Großklang bricht er über weite Strecken auf. Es marschiert mit Hindemiths neuer Sachlichkeit los, schlendert im Weillschem Songstil mit swinging-tappenender Begleitung. Oder Fugenartiges tritt auf der Stelle, bauscht sich aber immer mehr auf. Es gibt zwei große Orchesterzwischenspiele. Die heilige Familie hat seltsame archaische Melismen, und Smees Gegenspieler Slimbroek, in lila Kostüm mit Zylinder, ist mit einer Tonreihe à la Schönberg charakterisiert. Die Musiker des Symfonisch Orkest finden unter der Leitung von Alejo Pérez immer genau den Ton, der Schreker einfällt, auch in den kammermusikalischen Momenten fein gestaltet oder wenn ein Blechchoral Gebete der Frau begleitet. Auf die emotional fast filmmusikalisch überbordenden Momente in den Streichern verzichtet Schreker natürlich nicht. Und die monumentalen Großangriffe in den Aktfinalen haben olympisches Pathos.
Und tatsächlich – auch das! Es klingt nach Operettenhit, als Smee einmal naiv die Natur betrachtet. Die Musik ist also überaus farbig und fein, situationsgerecht ausmalend und auftragend und über weite Strecken, ja komisch spitz! Ein spezieller Schrekerscher Humor ist in dem von ihm höchstpersönlich in deutscher Sprache verfassten Libretto auch auszumachen. Szenenwitze lässt das Antwerpener Publikum merhmals schmunzeln. Es wird auch auf der Bühne viel gelacht. Leigh Melrose, zuletzt hat man ihn als unbeweglichen Clov im Rollstuhl in Kurtags Fin de Partie erlebt, beweist hier, dass er anders kann. Er legt mit größtem körperlichem Einsatz von grotesk bis kurios, derb und auch mal nachdenklich jede Menge Stimmungsschwankungen in Gesten und Mimik an den Tag. Dazu ist er auch ein stimmlich überaus gut zeichnender Komiker. Kai Rüütel, Smees Frau, bürgt neben dem Hyperaktiven mit weichem Mezzotimbre für einen weiblich Gegenpart, meinte es aber zu Trompetenklängen und mit dem Fleischermesser in der Hand auch mal ganz ernst.
Der heilige Josef mit seinen einsilbigen Antworten auf die Wünsche Smees „sind einverstanden. Soll geschehen!“, ist mit seiner Maria eine ziemlich überzeichnet-komische Nummer. Vuvu Mpofu als
weibliche Teufelin Astarte vertritt mit einem klaren und durchdringenden Sopran die Stimme der animalistischen Natur. Sie steht wie eine afrikanische Schamanin in einem gepunkteten Kleid mit roten Hirschhörnern, rotem Gesicht und Armen auf der Bühne bevor es losgeht. Urwaldgeräusche kommen vom Band. Sie steht immer wieder im Bild, ist teuflische Beobachterin oder vielleicht das schlechte belgische Gewissen, das sich im letzten Akt auch unvermittelt outet. Smee, der dem Teufel höchst komisch seine Seele von der Schippe genommen hat, stirbt alt geworden mit Rauschebart. Ein langer tragikomischer Trauermarsch setzt ein, der mit Militärtrommel und leisem Tamtam aufgerührt wird. Sein Bündel hat er gepackt, und gestorben wird ihm die Uniform Leopolds übergezogen. Denn jetzt geht es sehr schwankhaft mit Himmel und Hölle weiter. Das Bündel ist übrigens ein Korb mit abgehackten Händen. Leopold II. durfte seit der Afrikakonferenz in Berlin den Kongo ja als sein Privateigentum ausbeuten. Und sein Statthalter Victor-Léon Fiévez führte bei zu wenig Kautschukernteleistung und anderen Gelegenheiten das Hände-abhacken ein. 10 Millionen Kongolesen sind übrigens unter belgischer Herrschaft ermordet worden! Aufbereitet ist dieses grausige Kapitel von Eric Vuillard in „Kongo“, das 2015 auch in deutsche Übersetzung erschienen ist.
Und jetzt braucht es eigentlich ein bisschen Geschichtsunterricht. Der Kongo unter belgischer Herrschaft – zuerst, wie gesagt, Privatbesitz König Leopolds II., dann als Kolonie Belgiens – wurde nach Brüsseler Lesart am 30. Juni 1960 zu einem Zivilisierungsprojekt, das verschenkt werden könne! Ein 29jähriger belgischer König Baudouin, Urgroßneffe Leopolds, übergibt den Kongo im Palast der Nationen in – damals noch Leopoldsville genannt, heute Kinshasa – an den ersten frei gewählten Premier des unabhängigen Kongos und erwartet Dankbarkeit. Aber der, der im Namen der Kongolesen ans Mikrofon tritt, Patrice Lumumba, der erste gewählte Premier, zeigt sich nicht dankbar. Er hält eine rhetorisch geschliffene Ansprache, in der er den Anspruch der Weißen, Geschichte in Afrika bestimmen zu wollen, erst mal streitig macht. „Die Unabhängigkeit war ein Kampf, und kein Geschenk!“ Und vor der Weltpresse erhebt er Anklage. Und diese Anklage läuft jetzt vom Band. „Wir haben erleben müssen, dass man unser Land raubte, aufgrund irgendwelcher Texte, die sich Gesetze nannten, aber in Wahrheit nur das Recht des Stärkeren verbrieften…“ Diese Rede ging damals über Radio durch die Welt. Und jetzt Auszüge davon – ungefähr 10 Minuten lang – durch die Opera Vlaandern. Das bunte Bühnenvolk blickt dabei mit dem Publikum auf eine Wand mit Bildern afrikanischer Künstler, auf denen wohl das kongolesische Trauma thematisiert ist. Sie sind so kleinteilig wie die Bilder Jean Rousseau, animistisch, comic-haft, Details kann man kaum erkennen. Auf dem mittleren Bild immerhin Lumumba gezeichnet. Es wird mucksmäuschenstill zugehört. Ob jedem klar ist, wer da spricht? Oder ist man nur höflich? Zwischendurch Applaus der Bühnengesellschaft. Dass mit Wissen und Hilfe der belgischen Regierung Lumumba, noch nicht einmal ein halbes Jahr nach dieser Rede, ermordet wird, Mobuto an die Macht gehievt, und der Kongo seiner demokratischen Chance verlustig geht, ist ein bis heute in Belgien nicht abschließend aufbereitetes dunkles Kapitel.
Doch dann ist man – auch das ein handwerklich großartig bewältigter Schwenk – wieder bei Schreker, und Smee, der, von der Hölle abgewiesen, jetzt versucht, in den Himmel zu kommen. Die Bilder an der Wand sind
ausgewechselt und man blickt auf langweilige Wolkenbilder. Ein dunkelhäutiger Petrus in sandfarbener Kutte weist Smee dann höchst amüsant ab. Und Smee beschließt, wieder ganz Schwank, mit Flipke und Slimbroek, die auch vor der Himmelspforte auftauchen – man vergibt und versöhnt sich – zu trinken. Laut pöbelnd wird ein Trinklied angestimmt. Schlussendlich taucht der heilige Josef auf und lässt sich von Flipke, Smees Frau und von Smee selbst dessen positive Taten aufzählen, wozu auch das Vermöbeln eines Teufels gehört. „Das war gut, das war schlecht“, kommentiert Josef wieder herrlich einsilbig. Smee darf zum
Schluss in den Himmel und nimmt seine Zechkumpanen mit. Petrus winkt genervt ab. Ein gigantisches Alleluja und Gloria in excelsis Deo von Chor und Orchester schmettert in den Raum. Ende groß, alles gut? Zum Schluss steht wieder die afrikanische Schamanin vor Smee und hat das letzte Wort. Sie reißt ihm den langen weißen Bart ab. Was sie sagt, ist nicht zu verstehen. Aber die Urwald-Grillen, die schon ganz zu Anfang sie begleitet haben, zirpen wieder.
Das war ein schmissiges grellbuntes Erlebnis mit ungeheurem Tempo, großartig gespielt, gesungen und musiziert, mit intensiven Ensembleszenen und großen Tableaux. Der politische Diskurs subsumiert sich spielerisch, auch wenn er aufgesetzt ist. Es passt zu Schrekers Stilmix. Großer Applaus für das Ensemble, Orchester und das Regieteam. Nach Heraustreten aus dem Opernhaus steht man dann vor einem der prächtigsten Bahnhöfe Belgiens, in Antwerpen, der ohne die geraubten Schätze der kolonialen Ausbeutung wahrscheinlich nie so gebaut worden wäre. Übrigens ist er auch in Smees Sterbeakt im Bild! Das nimmt man mit von diesem großartigen Opernerlebnis und kommt ins Denken, muss man sich als Europäer für die Ausbeutung anderer Kontinente für den eigenen Luxus nicht immer noch sehr schämen?
ist ja ein unglaublicher Klamauk!!
Danke für die tolle Besprechung. habe sie überflogen und werde sie mir in einer ruhigen Minute genüsslich zu Gemüte führen.:))