Horror im Badischen Staatstheater!

Dr. Jekyll und Mister Hyde? Stevensons Erzählung über eine böse Menschennatur, die sich heimlich von der guten abspaltet, sollte ein bisschen den Horror kitzeln. Jetzt bekommt die Gothic Novel aus dem 19. Jahrhundert im Badischen Staatstheater in Karlsruhe eine Verkörperung, wie man sich das tragischer nicht vorstellen könnte. (Von Sabine Weber)

(12. Juli 2020) Generalintendant Peter Spuhler, seit 2011 leitet er das Haus, ist in der Aussendarstellung nahezu glänzend und perfekt. Das ist wohl der Grund, warum er seitens der Politik immer volle Rückendeckung hatte. Geradezu vorbildlich transparent hat er die Sanierung und Erweiterung seines Hauses geplant, offen gelegt und vermittelt. Opernhäuser wie Köln sind dabei in skandalöse Schieflagen geraten. Es war ja auch mal an der Zeit, dass ein deutsches Opernhaus die Sanierung ohne Skandal über die Bühne bringt. Peter Spuhler scheint das zu gelingen. Aber glaubt man den Aussagen, die da aus dem Theater-Off derzeit mit irritierenden Details in die Öffentlichkeit gespült werden, ist der glänzende Repräsentator zwar nach außen ein Dr. Jekyll, aber nach innen ein Mister Hyde. (Siehe ausführliche Infos hier)

Die Offenlegung in einem Brief ist als wohldurchdachte Verzweiflungstat des Personalrats zu werten

„Toxisch sei das Arbeitsklima“ seines „unerträglichen“ Führungsstils vor allem gegenüber künstlerischen Mitarbeiter*innen. Von Kontrollzwang, beständigem Misstrauen und cholerischen Ausfällen spricht der Personalrat des Badischen Staatstheaters in einem offenen Brief vom 3. Juli 2020. Dieser Brief ist als eine wohl durchdachte Verzweiflungstat zu werten. Vorausgegangene Versuche, verantwortliche Kulturpolitiker auf das Horrorszenario hinter den Kulissen zu sensibilisieren, sind wohl auf taube Ohren gestoßen. Beziehungsweise: ein halbherziger Mediationsversuch ist verpufft. Ein Verwaltungsdirektor und zwei Dramaturgen sind diktatorisch weggeekelt und -gekegelt worden. Opern- und  Schauspieldirektorin sind in Kompetenzrangeleien entnervt. Die  Operndirektorin steht kurz davor zu schmeißen. Mobbing von oben ist alles andere als ein Kavaliersdelikt, wie die Badischen Neuesten Nachrichten richtig bemerken. Jetzt gibt es auch noch Missbrauchsvorwürfe der übelsten Sorte.

Die Würde des Menschen ist unantastbar! Steht auf der Fassade des Badischen Staatstheaters. Alles nur Fassade? Gerade scheint es, dass der Horror von Dr. Jekyll und Mister Hyde in Karlsruhe eine aktuelle Verkörperung erfährt, die tragischer nicht sein könnte! Foto: Eberhard Pfeifer

Da steht allerdings nicht, dass sogar auf höchste Anordnung hin vertuscht wurde. Von „Schweigegelübden“ wird im off gemunkelt, die eingefordert worden seien, um Vertragsverlängerungen nicht zu gefährden. Ein hoch explosives Fass fliegt da gerade in die Luft. Der Leiter des jungen Staatstheaters musste nach Offenlegung anzüglicher Mails und Chats Freitag „freigestellt“ werden. Solange ein Täter nicht gerichtlich überführt ist gilt natürlich die Unschuldsvermutung. Und werden die Opfer es wagen zu klagen? Jeder weiß, wie schwer es ist, im Gerichtssaal wieder mit seinem Trauma konfrontiert zu werden. Es wäre dennoch wünschenswert, denn nur so kann offiziell verurteilt werden, was nicht sein darf.

Kann man so realitätsfern im Tunnel stecken?

Wie kann das alles überhaupt sein? Generalintendant Peter Spuhler hat mir anlässlich der Opera Europa Konferenz letzten Oktober auf die Frage, warum die #Me too-Debatte an Opernhäusern auf der Konferenz kein Thema sei, geantwortet, dass es Missbrauch an deutschen Opernhäusern auch nicht gäbe – bis auf einen Fall, ja gut, der aber bestens aufgearbeitet sei. Schon gar nicht gäbe es Missbrauch an seinem Haus, wo er vorsorglich „Macht“-missbrauch durch Machtteilhabe ausgehebelt hätte. (Siehe Klassikfavori-Interview vom Oktober 2019)
Kann man so realitätsfern im Tunnel stecken? Das spricht ja allem Hohn! Spuhler hat höchst wahrscheinlich mit der gleichen Chuzpe – oder im Glauben, doch alles völlig richtig zu machen – auch Politiker überzeugt. Das erklärte, wieso keiner der Verantwortlichen in Karlsruhe etwas bemerken oder hören wollte, geschweige denn diplomatisch eingegriffen und gelenkt hätte. Hinweise hat es in den letzten neun Jahren mehrmals gegeben. Die „Außendarstellung“ steht in Karlsruhe über allem, und ist mit Jekyll-Spuhler auch perfekt.

Die Diffamierung des offenen Briefes fällt auf die verantwortlichen Politker zurück

Dass die Offenlegung der Mißstände durch den offenen Brief von Theresia Bauer, Ministerin für Wissenschaft, Kunst und Kultur und Vorsitzende des Verwaltungsrates, zusammen mit ihrem stellvertretenden Vorsitzenden, dem Oberbürgermeister der Stadt Karlsruhe Frank Mentrup, in einer Briefantwort als „Kampagne“ diffamiert wurde, fällt jetzt auf beide zurück. Anzunehmen ist im schlimmsten Fall, dass sie sich weiter hinter dem Repräsentator zu verstecken versuchen und runter gespielt wird. Dabei wäre sofort die dringende Frage zu stellen, wie kann ein vergiftetes Verhältnis dieses Ausmaßes geheilt werden?

Ein Mensch kann lernen, seine Abgründe im Zaum zu halten, das ist von jedem zivilisierten Menschen zu erwarten

Der Mensch Spuhler wird sich nicht ändern. Aber Abgründe und Unarten können im Zaum gehalten werden. Das erwartet man von jedem zivilisierten Menschen! Einzuhaltende Grenzen müssten aufgezeigt und abgesteckt, Kommunikationstechniken im Coaching beigebracht, erlernt und – ganz wichtig – kontrolliert werden. Ob sich die Mitarbeiter*innen allerdings darauf noch einmal einlassen wollen, darf bezweifelt werden. Zu lange wurde unterdrückt, geknutet und geschwiegen statt zu vermitteln, sich zu verständigen, zu klären. Die Führungsriege des Olymps hat sich von der Theaterfamilie gründlich abgesetzt. Die Politik, ganz klar, hat wieder einmal versagt. Uns bleibt, mit dieser verwundeten Theaterfamilie in Karlsruhe mitzuleiden. Bleibt sowieso noch abzuwarten, ob nicht weitere Opernhäuser dieser Art sich demnächst krank melden. Opernhäuser sind in Deutschland bis auf den heutigen Tag hierarchisch strukturiert! Neben Militär und Krankenhäuser die letzten Bastionen.

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