Opera Europa Herbstkonferenz über die Zukunft der Oper

Jean-Yves Kaced (FEDORA), Edilia Gänz (FEDORA), Julia Lagahuzère (Opera for Peace), Nicholas Payne (Opera Europa), Jicheng Zhao (NCPA Beijing), Marc Scorca (OPERA America), Tobias Biancone (International Theatre Institute, Laurence Lamberger-Cohen (ROF), Marc Grandmontagne (Deutscher Bühnenverein), Christina Loewen (Opera.ca), Peter Spuhler (Badisches Staatstheater Karlsruhe), Audrey Jungers (Opera Europa), Ernesto Ottone (UNESCO), George Isaakyan (Association of Music Theatres Russia). Foto: Klara Beck
Jean-Yves Kaced (FEDORA), Edilia Gänz (FEDORA), Julia Lagahuzère (Opera for Peace), Nicholas Payne (Opera Europa), Jicheng Zhao (NCPA Beijing), Marc Scorca (OPERA America), Tobias Biancone (International Theatre Institute, Laurence Lamberger-Cohen (ROF), Marc Grandmontagne (Deutscher Bühnenverein), Christina Loewen (Opera.ca), Peter Spuhler (Badisches Staatstheater Karlsruhe), Audrey Jungers (Opera Europa), Ernesto Ottone (UNESCO), George Isaakyan (Association of Music Theatres Russia). Foto: Klara Beck

Letzten Sonntag ist die viertägige Opera Europa Konferenz zu Ende gegangen. Fast 300 Intendanten, Betriebsdirektoren, Manager, Dramaturgen, künstlerische Leiter aus Frankreich, UK, wegen des drohenden Brexits, aber auch, weil der Direktor von Opera Europa, Nicholas Payne Brite ist und im eigenen Land mobilisiert, Belgier, Tschechen, aus Berlin, Mainz, Magdeburg, Trier, Bonn und Düsseldorf-Duisburg Detmold sind angereist. Dazu Verlagsvertretungen von Schott aus Mainz, Ricordi Berlin, Chorleiter sogar, Fundraiser. Also die Profis, die dafür sorgen, dass Opernhäuser funktionieren und Opernproduktionen laufen. Und dieses Jahr wurde erstmals ein Weltoperntag ausgerufen! Am 25. Oktober hat er stattgefunden.

unter anderen mit Generalintendant Peter Spuhler aus Karlsruhe (Von Sabine Weber)

(24. – 27. Oktober, Straßburg und Karlsruhe) Der Weltoperntag ist eine Kampagne. Für die Oper, für Opera Europa, eine Organisation hinter den Kulissen, die zwei Mal im Jahr einlädt, damit sich kollektiv darüber ausgetauscht werden kann, wie Oper zukunftsfähig bleibt und wie die Reichweite von Opernproduktionen gesteigert werden könnte.

Ein Meinungsbild von Alexandra Stampler-Brown, Deutsche Oper am Rhein, Stephan Dörr, Landestheater Detmold, Armin Kretschmar, Camerata Nuova, Stefan Vogel, Staatstheater Mainz

Vor allem ist Opera Europa eine europäische Plattform, auf der sich Opernprofessionelle beispielsweise zu ganz praktischen Fragen Rat und Unterstützung erbitten. Wie macht man ein feuerfestes Kostüm? Oder muss ein Kostüm bei einer Koproduktion vorher gewaschen und gebügelt werden, bevor es verschickt wird? Wenn es um Vertragsklauseln mit Künstlern aus anderen Ländern geht: Was sollte beachtet werden? Jedes Mitglied, inzwischen 205 Opernhäuser und Opernfestivals aus 45 Ländern, bekommt Zugang zu den Kommunikationsdaten der anderen und zu einer Produktionsliste der geplanten Projekte fünf Jahre in die Zukunft. Ein gigantisches Potential für Koproduktionen, Gastspiele oder um abzustimmen, welche Repertoire-Schwerpunkte ein Haus oder Festival in dieser oder jener Stadt, Region oder Land setzt. Es gibt angeblich auch ein Benchmarking für sensible Daten wie Lohn, Honorare, Vergütungen der Häuser, die den europäischen Vergleich nicht scheuen und Daten liefern.
Auf dieser Konferenz, die erstmals in zwei Städten, nämlich an der Opera du Rhin in Straßburg und im Badischen Staatstheater Karlsruhe stattgefunden hat, sollte auch nach außen hin Wirkung erzielt werden. Auf die Wichtigkeit der Oper im Gesellschaftsleben mal aufmerksam machen, darauf brennen all die, die in Opera Europa zusammenfinden. Die Schwesterorganisationen Opera America und Opera Latinoamerica sind mit eingeladen worden. Und die Chinesen, sogar Inder haben erstmals ihr Flagge bei Opera Europa gehisst! Für den Weltoperntag sind Vertreter des National Performing Centers in Beijing angereist. Und die erst zwei Jahre alte ehrgeizige Streaming Plattform OperaVisions ist für den Weltoperntag aus Mumbai mit einer Bohème, ausgestattet von einem Bollywood-Designer, und einer Carmen aus Beijing bereichert worden. Kostenlos zu sehen gibt es dazu Don Giovanni aus Sao Paolo und eine Fledermaus aus der Wiener Staatsoper. Der 25. Oktober ist schließlich der Geburtstag von Strauß’ Sohn. Alle Streamings sind kostenfrei!
Am Weltoperntag gibt es aber auch Aktionen vor Ort. Lunchkonzerte bei freiem Eintritt (Royal Opera House, London, Sofia), Probenbesuche in Wuppertal, familienfreundliche Events (Santa Barbara), freier oder verbilligter Eintritt für Vorstellungen einer Tosca in Parma oder einer Aida in San Diego! Und so weiter. Ja, Oper ist eine global relevante und grenzüberschreitende, weltweit geschätzte Kunstform. Am ersten Tag wird vor dem versammelten Konferenzplenum im Parkett der Opera du Rhin auch erst einmal heftig Opernenthusiasmus geschürt. Bevor der Weltoperntag ausgerufen wird, unter anderem im Beisein eines Unesco-Vertreters, der seinen Segen gibt!
Bildschirmfoto 2019-10-29 um 18.17.46Und dann wird die Diskussion angefacht. Mit Impulsreferaten in den verschiedenen Paneels und zu Themen wie baulich maroden Opernhäusern und nötigen Entscheidungsprozessen, die die geschäftsführende Betriebsdirektorin der deutschen Oper am Rhein beispielhaft präsentiert. Es ist ja derzeit auch ein deutsches Thema! In Düsseldorf wird darum gerungen, ob renoviert, abgerissen und an gleicher Stelle oder ganz woanders neugebaut wird. Man lasse sich Zeit, ziehe liebe zwei provisorische Stützpfeiler ins Foyer unter dem maroden Dach, und warte auf belastbare Zahlen! Das Beispiel von Köln hat doch sehr abgeschreckt. Die Senkung der Schwellenängste vor Opernhäuser ist auch ein Thema. Obwohl die Tickets in Deutschland oftmals sehr preiswert sind. Helfen rund um die Uhr geöffnete Kaffees in den Foyers, angeschlossene Bibliotheken oder eine Kunstgalerie, davon schwärmt man in Düsseldorf? Henrik Sten Petersen vom Royal Danish Operahouse gibt noch zu bedenken, dass eine der modernsten Opernbühnenarchitekturen der Welt, bei ihm zuhause in Kopenhagen, 2005 eingeweiht, bereits nach 12 Jahren wieder renovierungsbedürftig war. „Je moderner gebaut würde, desto schneller sei das Haus marode!“ Ein wichtiger Zeigefinger, an die die Häuser denken müssen, die einen Neubau favorisieren. Mannheim, Stuttgart, Frankfurt, auch die Opéra du Rhin in Straßburg oder Luzern stehen vor dieser Entscheidung.

Erstmals sind bei der Opera-Europa-Konferenz auch freie Opernproduzenten geladen, ein Diskussionsforum zu bilden. Und vielleicht können die „Independent Producers“ nebenbei mithelfen, in den großen Häusern mit Experimenten für Entstaubung zu sorgen, meint Katrin Kolo, designierte Intendantin des Theater Casino in Zug.

Überhaupt, wo findet die Oper der Zukunft statt? Kanada, mit insgesamt 15 Opernhäusern ist auf „Independent Producers“ sogar angewiesen. Christina Loewen von Opera Canada weiß von Opernkompanien zu berichten, die mit einer Bohème von Bar zu Bar tingeln, oder auf dem Fahrrad CO2-neutral touren. In Basel gibt es Wohnzimmer-Opern, sehr erfolgreich aber mit wenig Wirkungsgrad, weil die Möbel ja nicht weggeräumt werden können und der Platz für die Zuschauer begrenzt ist. Komponist Philip Venables, der gerade mit einer sensationell modernen Oper über Psychose und Selbstmord Erfolge feiert, ausgerechnet er zweifelt daran, ob es gut sei, eine Butterfly für ein Warenhaus zu dekonstruieren. Zu allererst mache ein Künstler doch Kunst. Für einen Ortswechsel müsste es für ihn erst einmal künstlerische Gründe geben. In diesem Sinne gibt auch Thomas Desi von den Wiener Musiktagen zu bedenken, die Opernlandschaft als einen Organismus zu begreifen. Die großen Häuser seien die Wirte. Und wenn die stürben, wäre das auch das Ende der Parasiten — wobei hier der Begriff „Parasiten“ ausdrücklich nicht im negativen Sinn verstanden werden soll, sondern im Sinne eine Biosphäre, in der in einer Symbiose die unterschiedlichen Theater-Gewerke voneinander profitieren und miteinander leben.

Gräben öffneten sich beim Thema „Ethisches Fundraising“. Was in Amerika Tradition hat, wie der CEO von Opera America referiert, dass Unternehmen, deren Namensgeber mit schmutzigen Geschäften ihr Geld gemacht und dann in die Kultur fließen lassen, kann doch nicht für Europa gelten. Oder doch? Hinter fast allen großen amerikanischen Kultureinrichtungen steht noch heute ein Name mit Gifterbe. Der Programmdirektor vom Glyndbourne-Festival lässt dann nebenbei fallen, dass auch sie sich mal eine Carmen von einer Tabakfabrik geleistet hätten. Doch wie scannt man vorab verseuchte Geldangebote? Was, wenn der Windpark, klimaneutral, in Händen der Mafia ist? Der Intendant von Lüttich fordert sanktionierte Blacklisten von der EU. Ein Theatermacher aus Antwerpen meint, die gäbe es schon: vom Norwegian Pension Fond veröffentlicht. So ganz unterschwellig bildet sich unter den Referenten, neben Mark Scorca von Opera America, dem Programmdirektor von Glyndbourne, den Intendanten von Lüttich, Parma und Madrid die Setzung des „notwendigen Übels“. Man sei ja auf das Geld angewiesen. Protest kommt bezeichnenderweise von Frauen, einer Deutschen und der isländischen Oper. Erstmal müsse man ethische Maßstäbe an sich selbst anlegen. So Katrin Kolo, Intendantin im Schweizerischen Zug.

Ein Ausweg aus dem Dilemma sei eine verbindliche Policy, Richtlinien, die öffentlich kommuniziert und in Vorverträgen festgeschrieben werden könnten. So Marco Scorca von Opera America. Eine Hausaufgabe für jeden Betriebsdirektor, der müsse sich mit diesen Fragen wappnen. Jeder? Was für ein Segen, dass die deutsche Theaterlandschaft mit ihren 80 Opernhäusern diesen Zwängen nicht ausgeliefert ist. Bei uns ist freie Kunst als Gemeinschaftsgut staatlich garantiert. Das sollten wir als ganz große Leistung unserer Gesellschaft uns vor Augen halten!

Nicholas Payne nennt Deutschland primus inter pares. „Deutschland mit seinen Repertoire-Theatern und den Ensembles sei die Ausbildungsstätte der Welt!“ Darauf ist Peter Spuhler, gastgebender Generalintendant in Karlsruhe, stolz und lebt es an seinem Haus mit über 40 verschiedenen Nationalitäten in den Teams. Machtmissbrauch pariere er mit Machtteilhabe!

Die Diskussion aus der Sicht der anderen ist lehrreich für den Blick aufs eigene. Dazu bietet der Kongress vielfältigst Gelegenheit. Zwischen den Impulsvorträgen bricht der inoffizielle Austausch geradezu los. Beim Mittagessen, in der Kaffeepause, da ist ein Lärm in den Opernhausgängen und Foyers, dass es fast nicht zum Aushalten ist. Reden Opern- und Theaterleute lauter? Visitenkarten fliegen förmlich durch die Luft. Hier denken Kreative gemeinsam über die Zukunft nach! Was für ein Kosmos Opernhäuser sind, was für ein Universum dieses Netzwerk!

Christina Niessen (Eule), Ks. Tiny Peters (Eichelhäher), Dilara Baştar (Fuchs), Uliana Alexyuk (Füchslein Schlaukopf). Bild: Falk von Traubenberg
Christina Niessen (Eule), Ks. Tiny Peters (Eichelhäher), Dilara Baştar (Fuchs), Uliana Alexyuk (Füchslein Schlaukopf). Bild: Falk von Traubenberg

Abends dürfen die Teilnehmer dann mit Oper verstummen! In Straßburg wird Dvořáks Rusalka in der Regie von Nicola Raab gegeben. Da schäumen die Wellen in einer Videoprojektion senkrecht nach oben. Im Badischen Staatstheater Karlsruhe ist Janáčeks Das Schlaue Füchslein in der Regie von Yuval Sharon in einer Animation des US-amerikanischen Walter Robot Studio aus Los Angeles eine kleine Sensation. Märchenhaft bezaubernd mit Janosch-Anmutung, aber alles andere als kindlich harmlos. Eine perfekte Lösung für das zentrale Regie-Problem dieser Oper. Menschen müssen in Tierkostümen tierisch agieren, was immer täppisch wirkt. Das unterstreicht Janáček im ersten und dritten Akt musikalisch auch mit durchaus grell-experimentell punktuell animalischen Klängen. Die Zeichentrickbilder auf der Wand lassen die Tiere fliegen, wuseln, kratzen, beißen oder picken. Sänger stecken ihre Köpfe durch Fensterchen, da, wo der Tierkopf projiziert wird – nicht immer passgenau, was seinen Charme hat. Im sehr menschelnden zweiten Liebesakt dürfen dann die Füchsin und ihr Fuchs zweibeinig flirten, in Fuchspelz gepackt von Kostümbildnerin Ann Cross Farley, ebenfalls aus Los Angeles angereist. Die deutsche Übersetzung (Max Brod?) kommt herrlich aufgefrischt daher und merzt floskelhaftes 19. Jahrhundert aus. Das Wunder ist aber die Musik aus dem Orchester, die regelrecht mit animiert. Die Musiker sitzen nämlich mitten auf der Bühne. Janáčeks

Badische Staatskapelle. Bild: Falk von Traubenberg
Badische Staatskapelle. Bild: Falk von Traubenberg

expressive Klang-Alchemie kann optisch und akustisch erlebt werden. Bei Janáček ist das wirklich ein Ereignis! Und Karlsruhe punktet neben einem hervorragenden Sängerensemble (Agnieszka Tomaszewska, Füchsin, Dilara Baştar, Fuchs, unter anderen) auch mit Chor und Kinderchor, die sich rund um das Orchester in immer neuen Formationen aufstellen. Ist es wirklich so, wie Marco Scorca zum Start des Weltoperntags angemerkt hat: „Man muss ja nicht die Oper lieben, aber das, was das Opernhaus oder die Kompanie für die Stadt tut!“ Mit dieser Inszenierung könnte jedenfalls jeder Außenseiter Oper lieben lernen!

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