Leichtsinn ist Parole – aber nicht ohne Tiefsinn! Lehàrs Graf von Luxemburg bezaubert in Hagen in einer charmanten Inszenierung

Operette ist wieder da! Könnte man meinen. Jacques Offenbachs Opéra Bouffes sind in seinem Jubiläumsjahr natürlich auf die Spielpläne zurück gekehrt. Nicht in dem Maß, wie man sich das vielleicht erhofft hätte. Aber immerhin: in seiner Geburtsstadt Köln mit der Fürstin von Gerolstein” und der Wiederentdeckung von „Barkouf”, demnächst wird es in Wuppertal und Krefeld-Mönchengladbach neue Inszenierungen von „Orphée aux enfers” geben. Ob Offenbach Mut zu mehr gemacht hat? Im Gelsenkirchener Musiktheater im Revier hat man sich an Paul Linckes Berliner Mollenmilljö-Stück „Frau Luna” gewagt, das derzeit zu erleben ist. Regisseur Bernhard Stengel versetzt die Mondreisesüchtigen ins Berliner Computernerd-Millieu. Mit 3D-Virtual-Reality-Brillen auf der Nase fachsimpeln sie derart echt, dass das eher ältere Publikum im kleinen Haus mit den Dialogen seine Mühe haben dürfte. Die auf eine Zwanziger-Jahre-Jazz-Kombo zugeschnittenen Arrangements von Henning Hagedorn und Matthias Grimminger brauchen daher etwas, um zu zünden! Franz Lehàrs „Die lustige Witwe” oder sein „Graf von Luxemburg” sind nie so ganz von den Bühnen verschwunden. Da gibt es einfach zu viel anspruchsvolles Gesangsangebot mit großem Schmelz, Herzschmerz, Witz und Walzer! Dazu große glänzende Orchesterzulagen! Darin unterscheidet sich die Wiener von der Berliner Operette. Aber die Operette kann ja auch ganz generell etwas, was der Oper nicht so leicht fällt: Zwänge sinnfällig verfremden mit ordentlich musikalischem Neigungsklisschee, so Volker Klotz in seinem Operettenkompendium. Und sie übt Lachzwang aus. Wie das auf hohem Niveau geht, ist derzeit am Theater Hagen zu erleben. (Von Sabine Weber)

Kenneth Mattice als schmollender Graf. Foto: Klaus Lefebvre
Kenneth Mattice als schmollender Graf. Foto: Klaus Lefebvre


(31. Oktober 2019, Theater Hagen) Die Bohemiens in Paris feiern Karneval. Die Narrenkappe tanzt Polka und prächtig Kostümierte marschieren, angeheizt durch ordentlich Rührtrommel, durch eine Dachkammer. Für den ersten Akt von Franz Lehárs Operette Der Graf von Luxemburg hat Bühnen- und Kostümbildner Siegfried E. Mayer ein Künstleratelier in Montmartre mit einer riesigen Dachluke und Sternenhimmel angedeutet. Im Atelier des Künstlers Armand Brissard ist René, Graf von Luxemburg, Feierkönig der Nacht. Leichtsinn ist die Parole in der ersten großen Chorszene. Eine witzig geschmackvoll kostümierte Gesellschaft drängelt sich ins Atelier. Eine Krakendame mit goldenem Tentakelkleid muss erwähnt werden! Leider ist „der letzte Spross der Dynastie“ der Luxemburger bankrott und ist zunächst missmutig. Er sitzt verdriest auf einer gepolsterten Riesenmondsichel und der Tod als Gerippe tanzt um ihn herum. Heißt es nicht: der Tod ist ein Wiener? Doch als die Maske fällt und blonde Haare herausquillen kann der Graf wieder lachen und wirbelt durch die Gesellschaft. Dann platzt ein ältlicher Fürst mit drei Begleitern in die Feier. René soll gegen 500.000 Francs eine Sängerin ehelichen und mit seinem Titel adeln. Nach drei Monaten soll er sich wieder scheiden lassen, damit dann der Fürst standesgemäß heiraten kann. René darf natürlich die Ehe nicht vollziehen, die Dame auch nicht sehen und erfährt auch ihren Namen nicht. „Die Dame wird später beigesetzt!“, unterbricht Basil den servil redefreudigen Notar in feuerroter Lockenpracht, ohne zu merken, was er da eigentlich sagt. Der Heiratsdeal kommt für René rechtzeitig. René und die ihm unbekannte

Eheschließung mit Paravant dazwischen. Foto: Klaus Lefebvre
Eheschließung mit Paravant dazwischen. Foto: Klaus Lefebvre

Angèle vollziehen die Ehe rein formal, getrennt durch einen Paravant – in Hagen ein Riesenbild mit schiefem Eiffelturm. Nur die Hände berühren sich für den Ringtausch. Und natürlich geht das nicht gut! Das Stück braucht ja Handlung und Konflikt. Die beiden fühlen sofort eine unsichtbare Anziehung, die sie im Finale des ersten Akts mit „Bist du‘s, lachendes Glück, das jetzt vorüber schwebt?“ sehnsüchtelnd augenzwinkernd im Unisono anstimmen. Hinter und vor dem Eiffelturm-Paravant. Diese Melodie weht leitmotivisch weiter durchs Stück. Ebenso ein charmanter Walzer „Sie geht links, er geht rechts, Mann und Frau, jeder möcht‘s, ideal ist solch Ehe schmerzlos ohne jedes Wehe!“ Denn die Zwänge der Ehe werden ad absurdum geführt, bis sie am Ende gegen die Liebe verlieren. Dem jeckenhaften Fürsten wird ordentlich die Frischzellenkur vermasselt. Der lotteradlige Luxemburger bekehrt sich und verzichtet aufs Geld. Flankiert wird diese Liebesvolte von den Unterschichts-Bohèmiens Armand und seinem Model Juliette. Beide lieben sich, mühen sich aber mit dem Ehegedanken ab. Amüsant und musikalisch witzig kommt hier jeder zum Zug. Fürst Basil, Oliver Weidinger als Heinz-Rühmann-Feuerzangenbowlen-Verschnitt changiert zwischen anmaßend und senil-kindisch. Er wirbelt durch ein Couplet als liebestrunkener Falter oder protzt als unglaubwürdiger Sex-Tiger, der er mal gewesen sein will. Der Spott von Juliette bleibt nicht aus – von Lehár spitzzüngig hineinkomponiert! Kenneth Mattice als Graf überzeugt mit schön geführter Tenorstimme, man hätte sich noch etwas mehr Schmelz und Operettenverve vorstellen können. Aber als Fürst überzeugt er auch noch auf Hochglanzmagazinen. Und was für ein großartiger Sängerschauspieler er ist! Seine melancholisch schmachtende Soloszene „Trèfle incarnat“ im letzten Akt ist ein dramatischer ‚olfaktorischer‘ – es geht ums Riechen – Höhepunkt des Abends. Angela Davis als Angèle adelt ihre Rolle mit damenhafter Attitüde, dreht mit großem Volumen stimmlich grandios auf, und fügt sich einfühlsam in den Duetten wieder ein. Also ein wunderbares Liebespaar, das von vornherein zusammen gehört. Das ist spätestens nach deren Auftrittsarien klar! Cristina Piccardi als neckische Juliette und Richard von Gemert als Armand sind das unentwegt drum herum flirtende Gegenpaar. Rettung im turbulenten Ganzen bringt der komische Auftritt der Gräfin Stasa Kokozowa im dritten Akt. Die Bühne hat sich in eine gestrige Hotellobby mit Wienerischer Tapete verwandelt, von der Türen abgehen, die auch heftig aufgehen und zuschlagen. Hat es eben aus dem Orchester noch nach Rosenkavalier geduftet, kommt ihr Einsatz „Was ist das für ’ne Zeit, liebe Leut, … wo bleibt denn die Gemütlichkeit aus der Jugend?“ wie eine satirische Replik auf der Marschallin „Die Zeit ist ein sonderbar Ding!“ Marilyn Bennett genießt jedenfalls den melodramatisch gesprochenen Moment à la Marlene Dietrich, flankiert von sechs Tänzern des Hagener Balletts im Hotel-Service-Look. Die wären nicht wirklich nötig gewesen, lockern aber den letzten Akt auf, in der die aufgetakelte Dame aus Sankt Petersburg als eigentliche Verlobte des alten Fürsten ihr Recht auf seine Hand bekundet. Angèle ist damit für ihn perdue und frei für den Grafen. Der Abend zieht mit großem musikalischen Schwung und gänzlich ohne Längen vorbei, die dem Werk nachgesagt werden. Es wurde für die Hagener Inszenierung also geschickt gekürzt. Die Hagener Philharmoniker unter Rodrigo Tomillo liefern die nötigen Farben und Klänge mit Feingefühl oder gehörigem Schmiss, denn zwischen den Nummern gibt es nicht viel Zeit. Die kleinen Wackler verzeiht man bei dem Tempo gern! Die Dialoge sind wunderbar aktualisiert, warten hier und da auch mal mit hintersinnigen Anspielungen und Sprachwitz auf, aber nie gewollt aufdringlich. Der Funke springt jedenfalls sofort über.

Der Graf und Angèle im Mondgondelglück. Foto: Klaus Lefebvre
Der Graf und Angèle im Mondgondelglück. Foto: Klaus Lefebvre
Die Stimmung vor den düsteren Novemberfeiertagen ist prima. Vieles kommt auch wirklich ungezwungen komisch. Es wird im Publikum kollektiv geschmunzelt und gelacht. Und am Beginn des zweiten Akts hat Regisseur Roland Hüwe einen grandiosen Einfall. Er beginnt mit Tosca – vom Band – und der Bühnenansicht hinter dem Vorhang der Vorstellung. Die Engelsburg wird als Flügel-Requisite ganz schnell mal vorbeigeschoben und Angèle als Tosca springt im Finale der Tosca aus ihrer letzten Vorstellung! Das ist ein Bühnenabschied wie er sich gehört! Vor allem ist es Operette wie man sie wieder lieben lernen möchte. Hüve hält alle in Schwung, in Bewegung. Es wird echt gespielt, die Charaktere sind glaubwürdig angelegt. Da darf dann doch auch mal der Mond ganz kitschig groß herunterfahren oder eine Mondgondel die Verliebten wieder in den Himmel ziehen. Romantisch darf es sein! Eine wunderbare Inszenierung, die mit feinem Walzerschwung nach Operetten-Sternen greift!

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