Senta erfährt ein neues Schicksal – Im Kölner Holländer!

Senta (Ingela Brimberg) geistert auf der Schiffsbrücke und versucht sich zu erinnern. „Und schon kommen sie mir entgegen, die mich damals kannten…“, tönt eine Geisterstimme in den Raum. Senta hat also ihre Begegnung mit dem Holländer überlebt! Damals. Die Oper ist Erinnerung. Und die setzt ein, wenn mit dem Quart-Quint-Signal der Hörner das Vorspiel beginnt! (Von Sabine Weber)

(2. April 2023, Oper Köln im Staatenhaus) François-Xavier Roths neues Kapitel seiner Wagner-Exploration gilt dem fliegenden Holländer . Und im Staatenhaus gibt es keinen Vorhang, der aufgeht, und die Segel werden auch nicht gesetzt. Die Schiffsreling lässt eher an ein Tankschiff auf dem Rhein denken. In diesem Wagner-Holländer ist alles ein bisschen anders. Das Gürzenich-Orchester sitzt auch erstmals in Saal 1, der Ausweichspielstätte im Staatenhaus, in einer Art Orchestergraben im Schiffsrumpf. Auf dem gewaltig in die Breite gezogene Relingumlauf findet der Matrosenchor zu Beginn mühelos Platz für den ersten stürmischen Einsatz. Und den Solisten tut es natürlich gut, dass sie zumeist vor dem Orchester singen und auch zurückgenommene Töne wagen dürfen, ohne zugedeckt zu werden. Die Textverständlichkeit ist an diesem Abend enorm, auch wenn die vorhandenen Übertitel immer helfen.

Statisterie der Oper Köln, Karl-Heinz Lehner, James Rutherford. Foto: Karl & Monika Forster

Karl-Heinz Lehner aus dem Ensemble gibt Kapitän Daland, der die Brücke Steuermann SeungJick Kim – ebenfalls aus dem Ensemble – überlässt, der den Südwind nach aller Gebotenheit beschwört, bevor er einschläft. James Rutherford als Holländer betritt das Geisterschiff, das sich unter den von seiner Geistermannschaft weggezogenen Planen als Ansammlung von abgewetzten roten Containern links zeigt. Sein Schiff ist ja auch schon seit Jahrhunderten von Jahren im Einsatz. In engen schwarzen Jacken und Hosen agieren die Geister-Statisten wie die Totencrew in John Carpenters Horrorfilm Nebel des Grauens Rutherford, ist eine dunkel-mächtige Erscheinung in Khaki-beigegrünem Anorack und Jeans, erstaunt von Anfang an durch sensibel interpretierte Kantilenen, ist ein Zweifler und Haderer, vermeidet vor allem zu schreien.

Benjamin Lazars Inszenierung ist ganz auf Ingela Brimbergs Senta zugeschnitten, die auf der Brücke omnipräsent alles verfolgt. Wie ihr Vater auf des Holländers Anfrage Asyl gewährt und dann auf dessen Angebot eingeht, die Tochter heiraten zu dürfen. Daland ist gierig auf die Schätze, die der Holländer angeblich als Fracht geladen hat und die er im Tausch für die Tochter bekommen soll. Dalands leicht minderbemittelten und auch naiven Charakter stellt Karl-Heinz Lehner spielerisch sehr glaubwürdig dar. Lehner ist prädestiniert für gebrochene Charaktere, wie er zuletzt in der Dortmunder La Juive als Kardinal Brogni auch großartig bewiesen hat. Warum es Waffen sein müssen, die Daland aus dem Holländerschatz vorgeführt zufrieden begutachtet und anlegt, erklärt sich nicht. Denn hier gibt es keinen Krieg. Lazars Inszenierung ist davon abgesehen durch und durch überzeugend. Auch wenn er Senta überleben lässt. Wie bei der Sage am Höllenfluss vom Fährmann, übernimmt sie hier vom Holländer statt Ruder den Fluch, beziehungsweise das Geisterschicksal des ewigen Überlebens. Der Holländer hat sie auch nach seiner großen Erzählung im dritten Aufzug frei gegeben. Sie soll sich nicht für ihn opfern und sterben. Also ist die unerfüllte Liebe ihr Fluch!

Erik, Sentas Verlobter, ist eine verdammt schwere und dazu unglückliche Partie. Denn er verliert trotz allem auch hier seine Senta, die er an die Geisterwelt abgibt. Großartig füllt Maximilian Schmitt die anspruchsvolle Tenorpartie aus, überragend im zweiten Aufzug. Ingela Brimbergs warm schwärmerisches Timbre – inzwischen mehr dramatisch als jugendlich – steht zu Recht in jeder Hinsicht im Zentrum dieser Produktion. Sie liefert alle Nuancen dieser im Geiste Aussenseiterin, die an ihre Berufung glaubt und inmitten ihrer Spinnerinnen-Peergroup auch Recht behält.

Der Damenchor in wild bunten Alternativ-Outfits (Bühne und Kostüme: Adeline Caron) nimmt keine Spinnräder zur Hand. Hier werkeln Dekorateurinnen im Studio an einer riesigen Schaufensterpuppe aus Holz, die natürlich Senta nachgebildet ist. Die Damen des Kölner Opernchores singen übrigens noch besser als die Herren (Chorleitung: Rustam Samedow), die zur letzten Feststunde und Schicksalsoffenbarung zum Teil Fellmäntel und mit Hirschgeweih und Hammelhorn dekorierte Kappen aufziehen als wären sie Elfen, Feen oder Trolle einer Sommernacht. Dass der Extra-Geisterchor aus dem gesamten Herrenensemble heraus singt, ist so zu erklären. Übrigens verprügeln die Seeleute die Geistercrewstatisten, nachdem sie merken, dass mit ihnen nichts anzufangen ist. Eine plausible Reaktion dem fremden Unverständlichen gegenüber. Am Ende brennt es vor der aufgestellten Holzpuppe, der Holländer hängt mit dem Kopf vornüber tot am Tisch während Senta über die Reling weggeht, so, wie sie ganz zu Anfang gekommen ist.

Chor und Statisterie der Oper Köln. Foto: Karl & Monika Forster

Ein großartiger Abend ohne Pause, auch wegen des mal wieder so fein aufspielenden Orchesters. Den Hörnern sei ein kleiner Kiekser verziehen, waren sie doch gerade im konzertanten Großeinsatz für Bruckner. Das Gürzenich-Orchester musizierte absolut plastisch durchhörbar, dennoch mit Kraft und Wumme im Wagnerklang. Was machen die nur, wenn Roth weg ist?

Weitere Termine: 4./ 8./ 19./ 21./ 23./ 26./ 29.April und 5./ 7. Mai

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