Korngolds „Die tote Stadt“ gebiert in Düsseldorf Wiedergänger!

Titelbild: Corby Welsh (Paul) und Nadja Stefanoff (Marietta). Foto: Sandra Then. „Die tote Stadt“ von Erich Wolfgang Korngold ist Brügge. Dieser hübschen mittelalterlichen Backsteinstadt mit engen Gasen und Kanälen hat Georges Rodenbach in seinem symbolistischen Roman „Bruge-la-Morte“, 1903 ins Deutsche übersetzt, die morbide Atmosphäre eingeschrieben. Korngold nutzt sie für ein Portrait des Fin du siècle mit berauschender zugleich subkutan bedrohlicher Musik, die mit Regisseur Daniel Kramer sogar Tote leibhaftig werden lässt. (Von Sabine Weber)

Maria Guseynova (Marie). Foto: Sandra Then

(16. April 2023, Deutsche Oper am Rhein, Düsseldorf) Korngold hat für die verstorbene Ehefrau Pauls, Marie, und die Tänzerin Marietta, in der er Marie meint wiederzuerkennen und der er verfällt, ein und dieselbe Sängerin vorgesehen. Marie tritt als Wahnbild nämlich einmal in Erscheinung und erinnert Paul an sein Treueversprechen. In Düsseldorf ist Marie mit einer zweiten Sängerin besetzt. Darüber ließe sich streiten. Regisseur Daniel Kramer lässt das Wahnbild der Marie konsequent durch seine Inszenierung geistern und vervielfacht sogar ihre Erscheinung mit langen blonden Haaren und eng anliegendem schwarzen Kleid mit langen Jabots an den Ärmeln, die in einem Reigen durch das Bild geistern. Es geht also um Pauls Kampf mit einer Toten, die er nicht loslassen kann, und die daher nach ihm greift, ihn mit einem Rasiermesser sogar verletzt, weil Paul sie mit der Tänzerin betrügt. Marietta kämpft um Paul, ihre erotische Macht ausspielend,  und wehrt sich sogar erfolgreich gegen die Erscheinung, der sie besagtes Rasiermesser ebenfalls an die Kehle setzt und die in sich zusammen sinkt. Allein Paul erkennt seinen Wahn erst, als Marietta aufgibt und ihn verlässt. „Wie weit soll unsre Trauer gehen, wie weit darf sie es, ohne uns zu entwurzeln?“ bekennt er im Schlussmonolog im letzten dritten Akt (Bild) zu rührig kitschiger Musik. Paul wird hier immerhin nicht zum Mörder, wie das Libretto vorschreibt. Ein Schluss, mit dem alle Inszenierungen hadern. Denn darf ein Mörder neu anfangen und Brügge einfach so verlassen? Die Bühne rückt in traumhaftem Blaulicht nach hinten, Paul, an der Rampe, schließt seine Trauerarbeit jedenfalls ab, die ihn in diesen halluzinatorischen Wahn getrieben hat.

Eine düstere, kranke Geschichte
Corby Welch (Paul). Foto: Sandra Then

Das Ganze ist eine ziemlich düstere und kranke Geschichte. Die zweigeteilte Bühne im ersten Bild (Bühne und Kostüme: Marg Horwell) ist gleich überladen mit schaurigen Details, künstliche Beine und Arme hängen links am Ständer. Auf einem Tisch liegt eine lebensgroße Puppe unter Plastikfolie. Dahinter hängt Werkzeug. Paul werkelt also wie Frankenstein an Verkörperungen von Marie. Rechts die „Kirche des Gewesenen“, in der bereits eine lebensgroße Marie als Puppe im Kleid wie eine Ikone steht. Dahinter ein Vorhang in „psychodelisch“ grellen Farben. Im zweiten Bild kehrt sich die Szene herum. Die hintere goldene Eingangstür in Pauls Wohnung ist jetzt von außen zu sehen und mit einem gotischen Bogen und seltsamer Puppenfigur darin. Das Gemäuer der Außenwand ist nächtlich schwarz und nebelverhangen. Davor kommt es zu einem Streit mit seinem Freund Frank, der Marietta ebenfalls begehrt und den er kurzerhand abmurkst. Für die nächtliche Komödiantenszene – ebenfalls vor Pauls Haus -, in der Marietta mit ihren Künstlerkollegen die wiederauferstandene Hélène

Die Komödianten, Nadja Stefanoff (Marietta), Corby Welch (Paul). Foto: Sandra Then

aus Meyerbeers Robert le diable mimt, wird eine weißer Sarg herein getragen, dem sie wie aus einer Torte in grell pinkem Kleid entsteigt und Spaß hat mit ihren männlichen Kollegen. Die vervielfältigten Wiedergänger von Marie schauen zu, und auch Paul beobachtet alles, gerät in eifersüchtige Wallung, was dann an dem Sarg, der erst grellrot, dann blau (Licht: Peter Mumford) beleuchtet wird, zu der großen Liebesszene zwischen beiden führt.

Düsseldorf gelingt eine großartige Produktion

Die Inszenierung lebt von den beiden Hauptrollen. Corby Welsh als Paul ist ein korpulenter Nerd, der sich ungelenk hilflos und ruppig bewegt, stimmlich eine große Heldentenorpartie wuchtet und mit immer weicheren Tongebungen versieht. Hinreißend hübsch ist Nadja Stefanoff als Marietta, spielerisch zudem überzeugend und vereinnahmt auch mit ihrem klar fokussierten Sopran. Für die operettenhafte Nummer „Glück, das mir verblieb“ im ersten Bild, bekommen beide Publikumsapplaus. Auch die kleineren Partien sind gut besetzt. Die Haushälterin Brigitta mit Anna Harveys weichem Timbre, der lyrische Bariton Emmett O‘Hanolon als Frank.
Sie setzen sich auch über die Düsseldorfer Symphoniker hinweg, die mit narkotischen spätromantischen Riesenschüben in Trance versetzen. Es ist überwältigend laut, GMD Axel Kober geht bei dem einige Male auch mit Glocken und Kirchenanklängen geschwängerten Klang in die Vollen. Aber immer bleibt es durchhörbar. Vor allem die Vor-, Zwischen- und Nachspiele sind ein Genuss für den, der solche hochkalorische Musik liebt. Antworten auf alle Fragen, die der Abend aufwirft, gibt es sicherlich nicht. Zum Beispiel, wie eine Tote nochmals sterben kann. Aber Düsseldorf gelingt eine großartige Produktion, die ganz zu Recht tosenden Applaus bekommt. Wer wollte, durfte auch mit 3D-Brille dabei sein!

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