André Messager (1853-1929) war eine außergewöhnliche Persönlichkeit. Er leitete Aufführungen an den Folies Bergère, setzte sich als Dirigent aber auch für Ur- und Erstaufführungen ein – unter anderem hebt er Debussys „Pelléas et Mélisande“ und Charpentiers „Louise“ aus der Taufe. Er war Kirchenmusiker und als Organist an Saint Sulpice tätig. Und schrieb erfolgreiche, dem Unterhaltungsgenre nahe Bühnenwerke, die am Ende seines Lebens gekonnt zwischen Opéra-comique und Operette schillern, spritzig aber elegant mit französischer Salonmusik und amerikanischer Popmusik jonglieren. (Von Sabine Weber)
(Aufführung am 1. April 2023, Theater Krefeld) 1921 bringt der 70jährige Meister das Verwechslungen, Verkleidungen und Missverständnisse virtuos und anspielungsreich ausspielende Bühnenstück Passionnément zu Papier. Einem US-amerikanischen Geschäftsmann, der auf Abstinenz schwört – auf die Prohibition wird angespielt – entgleitet die Kontrolle über sein Business. Unfreiwilliger Champagner-Konsum im Kasino, er verwechselt sein Glas, kuriert ihn. Betrunken bekennt er sich zu einem – ebenso aufs Korn genommenen – Liebes-freudig offenen „französischen“ Leben.
Der spröde US-Amerikaner liiert sich mit dem Dienstmädchen, seine Gattin mit dem französischen Lebemann. Die liebestolle französische Baronin kehrt „bekehrt“ zum Baron zurück. Allein der Kapitän geht leer aus. Jegliche Eifersucht ist überwunden, die kräftig mit im Spiel ist.
In Krefeld sitzt alles
Auch wenn die ursprüngliche Rollenbesetzung des Kapitäns wegen Krankheit durch Regisseur Ulrich Proschka auf der Bühne ersetzt wird, Opernchorsänger Tomonobu Kurokawa leiht ihm von der Seite, mit Finger in der Partitur mitlesend, die Stimme, sitzt in Krefeld einfach alles!
Operette kann so gut sein!
Die schauspielerische Leistung des Ensembles – immerhin an die zwei Stunden ohne Pause gerechnet – ist in jedem Moment umwerfend. Das Publikum erlebt hautnah mit. Es sitzt nämlich auf der Bühne. Regisseur Proschka hat den französischen Text passgenau auf die Musik ins Deutsche übertragen. Die Dialoge hat er sogar mit heutigem Witz durchsetzt, der nie seine Wirkung verfehlt oder gewollt wirkt. Und quasi jedes Wort kommt zu gestisch mimischer Wirkung. So gut kann Operette sein!
Bewunderungswürdige Ensembleleistung!
Wie Markus Heinrich die Arroganz und Überheblichkeit des millionenschweren Geschäftsmanns Stevenson verkörpert und im letzten Akt auch noch den Betrunkenen mimt, muss ihm erst einmal jemand nachmachen. Gabriela Kuhn gibt seine liebenswerte Frau Ketty mit keusch-klarem Sopran, macht sich auch, wie vom Mann verordnet, mit weißer Perücke und blauer Brille 30 Jahre älter und trifft dennoch – ohne Verkleidung – zufällig auf den französischen Charmeur Robert, der sich gleich in sie verliebt. Umwerfend attraktiv gibt Miha Brkinjač diesen Strahlemann.
Brkinjač gehört zum Opernstudio Niederrhein, und sein wunderbares Tenortimbre wird auch noch den letzten Schliff operettenhafter Geschmeidigkeit bekommen. Kejti Karaj, ebenfalls aus dem Opernstudio, gibt das durchtriebene und doch liebenswerte Dienstmädchen und leiht ihr eine volle sonore Stimme. So wie Indre Pelakauskaite mit ihrem hellen Koloratursopran die aufdringliche Baronin gibt, der Baron Adolphe – Hayk Deinyan aus dem Ensemble ist sich nicht zu Schade für diese Sprechrolle – auf die Schliche kommen will.
Die Pointen im Stück kann man nicht alle aufzählen
Die Handlung ist voll unerwarteter Wendungen, manchmal auch verworren und doch in jedem Moment durch die Regie nachvollziehbar gemacht. Amerikanisches Businessgehabe wird herrlich gegen französische Klischees des „Savoir vivre“ ausgespielt. Dazu gehört, dass einmal eine Speisekarte herunter gesungen wird. Auf das Sujet der rebellisch freien Vögel aus Bizets Carmen angespielt wird. Oder zweimal statt auf die Bibel auf ein Skandalbuch ein Eid abgelegt wird. Die Pointen im Stück kann man gar nicht alle aufzählen.
Das Bühnenbild
Christine Knoll hat ein Bühnenbild gezaubert, dass eine elegante Yacht andeutet. Herum gekehrt wird sie zum Salon in der Reichen-Villa, wo sich die Verwicklungen zuspitzen, es zum Fister Nöllchen zwischen Ketty und Robert kommt und alles sich schlussendlich neu fügt!
Wer auch nur ein bisschen Operette liebt, muss nach Krefeld!
Die Musik ist charmant, trotz kleiner Salonorchesterbesetzung , immerhin mit zwei Hörnern, doppelten Oboen und Flöten und Klavier vollstimmig, greift Walzer, Musette, dazu amerikanische Unterhaltungstanzgenres auf, verfällt aber nie zu strikt einem Muster. Die Niederrheinischen Sinfoniker bleiben unter der Leitung von Sebastian Engel stets elegant im Ton, auch da hätte es vielleicht hier und da ein bisschen geschmeidiger sein können. Insgesamt ist der wirklich großartigen Gesamtleistung zu gratulieren. Wer auch nur ein bisschen Operette liebt, wird in Krefeld begeistert werden….