„München leuchtet“ bei den Opernfestspielen – mit vielfältigem Musiktheater, „Oper für alle“, Lieder- und Arienabenden

Fünf Wochen leuchten die Münchner Opernfestspiele jedes Jahr, und traditionell findet am 31. Juli die letzte Aufführung statt. Einst bündelten Wagners „Meistersinger von Nürnberg“ an diesem Tag noch einmal alle Kräfte von Solisten, Chor und Orchester, bevor alle in die Theaterferien fahren. Denn an diesem Tag oder kurz danach beginnen stets auch die Ferien für die Schüler in Bayern. (Von Klaus Kalchschmid)

(Juli 2023, Nationaltheater, Prinzregententheater, München) Darauf war vor allem Wolfgang Sawallisch in seiner Zeit als Generalmusikdirektor von 1971 bis 1992 enorm stolz, wie man im opulenten Buch über das Jubiläum des Bayerischen Staatsorchesters 500 Jahre Gelebte Tradition (Bärenreiter) nachlesen kann. Das war freilich 2019 das letzte Mal so, heuer wird Verdis Don Carlo zum Finale gespielt, nächstes Jahr ist es gar Die Fledermaus!

Das halbe Jahrtausend Staatsorchester, dessen Ursprünge auf die Münchner Hofkapelle unter Ludwig Daser im Jahr 1523 zurückgehen, wird mit einem Festkonzert gefeiert. Es umfasst neben den berühmten späten Metamorphosen für 23 Solostreicher von Richard Strauss die ebenfalls späte, aber ungleich seltener gespielte Sonatine Aus der Werkstatt eines Invaliden für 16 Blasinstrumente, sowie Mädchenblumen op. 22 gesungen von Marlis Petersen. Drei Programmpunkte, wie sie unter Leitung von Vladimir Jurowski nicht hätten schöner dargeboten werden können.

Händels  Semele begeistert mit großartigen Sängerinnen und Sängern

Es gibt noch andere Konstanten wie diejenige, dass die zweite Opernfestspiel-Premiere im Prinzregententheater und nicht im Nationaltheater stattfindet. 1901 von Max Littmann, der auch die Stuttgarter Staatsoper baute, als Wagner-Festspielhaus in Konkurrenz zu Bayreuth errichtet, ist dieses Haus intimer als die Bayerische Staatsoper und für Barock wie Mozart besser geeignet. So kann man dieses Jahr eine rundum gelungene Produktion in der Regie von Claus Guth von Georg Friedrich Händels spätem Opern-Oratorium Semele mit schlicht großartigen Sängerinnen und Sängern bewundern. Einziger Wermutstropfen: Nach nur fünf Aufführungen wandert Semele an die New Yorker Met und wird in München erst danach, dann angepasst fürs Nationaltheater, wieder gespielt. Wann das sein wird und in welcher Besetzung, steht noch nicht fest.

Michael Spyres (Jupiter), Brenda Rae (Semele). Foto: Monika Rittershaus

 

Glücklich also, wer neben der Generalprobe sowohl die Premiere wie die vorletzte Vorstellung erlebt hat. Denn alle werden immer noch besser: das Orchester unter Gianluca Capuano, der Chor (diesmal das exzellente Spezialensemble LauschWerk) und die Solisten, allen voran ein Gott: Michael Spyres als Jupiter. Was dieser veritable Baritenor an differenziertem, unglaublich erotischem Singen zwischen strahlenden Spitzentönen und sonorer Basstiefe mit traumschön intensiver Mittellage zu bieten hat, ist beeindruckend. Selbst ein elegantes Tänzchen wagt dieser kräftige Mann – in Bayern würde man bewundernd sagen: ein Prachtprackl! – mit den Jungs vom Opernballetts der Bayerischen Staatsoper, um „seine“ Semele zu bezirzen.

Doch Brenda Rae, die vor allem im dritten Akt ein brillantes Feuerwerk an virtuosen Koloraturen abbrennt, bleibt unbeeindruckt, und so muss der Gott sie durch ihren Bräutigam Athamas verführen, der auch einmal als Amor in der Götterwelt auftritt. Quasi an den Strippen Jupiters versucht er seine Braut mit einem sexy Breakdance zurückzugewinnen. Der polnische Countertenor Jakub Józef Orliński singt, spielt betörend und tanzt dies in jeder Hinsicht äußerst geschmeidig.

Man fragt sich, wie dumm Semele sein muss, dass sie sich mit keinem der tollen Menschen-Männer zufrieden gibt. Sie will  „ihren“ Jupiter in seiner göttlichen Gestalt sehen, infam infiltriert von Juno, der eifersüchtigen Gattin Jupiters, die sich ihr in der Gestalt von Semeles Schwester nähert. Die Begegnung mit Jupiter verbrennt Semele durch dessen überirdischen Glanz – bei Händel physisch, bei Regisseur Claus Guth vor allem psychisch. Am Ende wird die Heirat von Athamas und Semeles Schwester Ino (Nadezhda Karyazina mit fulminanter Altstimme und großer Bühnenpräsenz) gefeiert. Semele bleibt als Fall für die Psychiatrie zurück.

Brett Deans Hamlet-Vertonung ist eine packende Shakespeare-Adaption

Ein glückliches Ende gibt auch am Ende von Hamlet nicht. (Fast) alle sind tot: der Brudermörder Claudius, seine Frau Gertrud, Hamlets Mutter, Ophelia und ihr Bruder. Fast drei Stunden dauert Brett Deans Vertonung hier in der Produktion der Uraufführung von 2017  (aus Glyndebourne und bereits auf DVD erschienen), und ist sowohl hörend wie sehend in München eine packende Shakespeare-Adaption. Im originalen Alt-Englisch und mit einer Musik, die sich seismographisch dem Text und der Handlung anpasst, sehr illustrativ und doch nie oberflächlich. Auch hier sind das Staatsorchester und die Protagonisten unter Vladimir Jurowski fantastisch.

Allan Clayton (Hamlet), Rod Gilfry (Claudius), Sophie Koch (Gertrud), Sean Panikkar (Laertes). Foto: Wilfried Hoesl

Allen voran Allan Clayton – auch er ein wendiges, charismatisches, bärtiges Tenorprackl! Dazu Carolin Wettergreen mit wahrlich irrwitzigen Stratosphären-Tönen als Ophelia. Die rüde Zurückweisung Hamlets läßt sie wahnsinnig werden. Sean Panikkar überzeugt als ihr Bruder Laertes, Sophie Koch als Gertrud, ebenso Rod Gilfry (Claudius), Charles Workman (Polonius) und Jacques Imbrailo als Horatio, der seinen Freund Hamlet zum berührenden Cello-Solo in den Tod wiegt, denn „Der Rest ist Schweigen“.

Auch aktuelle Neuproduktionen stehen auf dem Programm

Neben diesen Premieren versammeln die Festspiele unter anderem alle Neuproduktionen der letzten Spielzeit: die hervorragend besetzte Così fan tutte. Und auch die belanglosen, mittelmäßigen Produktionen von Lohengrin und Aida. Letztere sogar bei „Oper für alle“ als Open air auf dem Max-Joseph-Platz für 10.000 Besucher. Darunter zwei russische Opern: einmal die leider nach nur sieben Vorstellungen zwischen März und Juli zum letzten Mal gezeigte fulminante Produktion von Sergei Prokofjews Krieg und Frieden (Regie und Ausstattung Dmitri Tcherniakov). Bis auf Weiteres ist sie allerdings als kostenloses Video on demand auf der Operlive-Website abzurufen. Dazu die Wiederaufnahme von Modest Mussorgskis Boris Godunow. Überraschend ist sie bei den Opernfestspielen wie bei der Premiere vor zehn Jahren mit dem Ukrainer Alexander Tsymbalyuk in der Titelpartie umbesetzt worden. Und er singt und spielt als Einspringer wie damals wieder umwerfend. Der ursprünglich vorgesehene Ildar Abdrazakov ist wegen seiner unleugbaren Putin-Nähe in letzter Minute nicht nach München gekommen. Durfte oder wollte nicht anreisen, was wohl nie geklärt werden wird.

Arien- und Liederabende

Das Opernstudio präsentiert wie jedes Jahr einen vielversprechenden Festspiel-Arienabend. Diesmal mit auswendig gesungenen – und in Abendrobe mit Klavier-Begleitung andeutungsweise gespielten – Querschnitten aus Händels Rodelinda, Verdis La Traviata, Mascagnis L’ amico Fritz und Massenets Don Quichotte.

Zwei Baritone und zwei Tenöre gestalten Liederabende: Placido Domingo gibt – eingesprungen für Anja Harteros – einen gemischten Abend. Christian Gerhaher singt mit Gerold Huber ein exquisites Schumann-Programm. Benjamin Bernheim widmet sich ebenfalls Schumann und französischem Repertoire.

Für Jonas Kaufmann springt Piotr Beczała ein. Kaufmann hatte einen reinen Schubert-Abend geplant, laboriert aber noch an der Behandlung eines multiresistenten Keims mit Antibiotika . Beczała präsentiert dann Lieder seines polnischen Landsmanns Mieczysław Karłowicz und Dvořaks Zigeunerlieder mit großem Ausdruck und stimmlicher Finesse. Ebenso die Romanzen von Sergei Rachmaninow und Peter Tschaikowsky. Diesen beiden Komponisten ist auch seine neue, sehr gelungene CD mit Helmut Deutsch am Flügel gewidmet. (Erscheinungstermin ist der 24. August)

Der erste Teil von Bernheims Abend im Prinzregententheater lässt allerdings Wünsche offen. Die Dichterliebe singt er zwar berückend schön aber verstörend neutral. Mit Duparc, Berlioz und Chausson findet der wunderbar feinsinnig kultivierte Franzose aber wieder zu sich und großem Ausdruck.

Unausweichlich ist als letzte Zugabe das Dein ist mein ganzes Herz! Bernheim singt sie mit wunderbar herben Fragezeichen. Piotr Beczała hat beim selben Lehár-Hit keine Scheu, auf die Tränendrüse zu drücken. Und sogar Placido Domingo verabschiedete sich mit diesem Schlager, im Duett!

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