Die Deutsche Erstaufführung von Brett Deans “Hamlet” steht Köln bevor. Nach Shakespeare! Dean gibt Auskunft!

Brett Dean. Foto Bettina Stoess
Brett Dean. Foto: Bettina Stoess

Der australische Komponist Brett Dean lebt schon lange in Deutschland. 14 Jahre lang war er Bratscher bei den Berliner Philharmonikern, bevor er in die Freiberuflichkeit ging, um zu komponieren. Sein zweites Bühnenwerk, die Oper “Bliss”, hat unter der Leitung von Simone Young die Saison 2010/2011 an der Hamburgischen Staatsoper eröffnet. Diese Saison scheint in Deutschland ein besonderes Brett Dean Jahr zu sein. Der sympathische Endfünfziger, der blumige Muster liebt und meist dieser Art gemusterte Hemden trägt, ist in dieser Spielzeit 2019/20 Composer in residence der Dresdner Philharmonie im Kulturpalast. Und um die Deutsche Erstaufführung seines jüngsten Bühnenwerks haben sogar zwei Opernhäuser gekämpft, München und Köln. Köln hat gewonnen. Unter anderem wegen der Ausweichspielstätte im Staatenhaus, die mit ihrem weiten und tiefen Bühnenpanorama Regisseurinnen und Regisseure durchaus inspiriert. In diesem Falle Matthew Jocelyn, ein enger Ko-Partner des Komponisten, denn er hat das Libretto geschrieben. Brett Dean habe ich in den Containerbüros beim Staatenhaus kurz vor der Hauptprobe befragt, wie wir an diesen Shakespeare herangehen sollten.

Brett Dean, was würden Sie einem Besucher, der Shakespeare noch nie gesehen und erlebt hat, zu Ihrer Oper vor der Aufführung sagen? Worauf sollte er achten?

Er oder Sie sollte die Sinne öffnen und sich bereit halten für alles, was auf Ihn oder Sie zu kommt. Ich finde, Shakespeare ist eine emotionale und emotionsgeladene Welt. Wenn es das erste Shakespeare-Erlebnis ist kann es befremdlich wirken, wegen des Englischen, weil die Sprache eine ganz andere, altenglisch ist. Dennoch sollten sie wirklich versuchen, in die Innenwelten der Hauptpersonen, vor allem Hamlet, einzusteigen.

Was würden Sie einem Shakespeare-Kenner vor einem Besuch sagen?

Erst mal „sorry“! – wenn ein Purist Probleme hat. Ich bin der Meinung, dass Matthew Jocelyn mit diesem Libretto einen absoluten Wurf gemacht hat. Sein Libretto ist auch ohne Musik ein sehr packender Shakespeare, ein packender Hamlet und kommt aus einer tiefen Auseinandersetzung mit dem Stoff, und den vielen verschiedenen Fassungen, die es von Hamlet gibt. Echte Shakespeare-Kenner, das ist uns auch so in Glyndebourne passiert, die konnten sogar etwas Neues dabei erleben.

Was würden Sie jemandem mitgeben wollen, der sich nach Verdis Macbeth einen Hamlet vorstellt und Verdi hören und sehen will?

(Schmunzeln) Hamlet von Guiseppe Verdi hat ja niemand gesehen. Die berühmteste Hamlet-Oper ist die von Ambroise Thomas. Es gibt aber einen italienischen Amleto von Franco Faccio, der vor ein paar Jahren in Bregenz wieder entdeckt wurde. Verdi hat sehr geliebäugelt mit der Idee. Es kam aber nie zustande. Es gibt genauso viele verworfene Versuche, einen Hamlet zu schreiben, wie es vollendete gibt. Es gibt über 50 Opern. Insofern war dieses Unterfangen von uns schon sehr gewagt.

Sie haben gewagt und gewonnen, wenn man die Kritiken von der Uraufführung in Glyndebourne vor drei Jahren liest. Seit wann treibt Sie denn dieser Shakespeare-Stoff um?

Ich hatte in der Highschool einen großen Shakespeare-Kenner als Englischlehrer. Obwohl wir uns nicht expliziert mit Hamlet, sondern eher mit King Lear und Merchand of Venice auseinandergesetzt haben. Aber in dieser Zeit haben wir uns viele Inszenierungen angeschaut, unter anderem auch Hamlet-Stücke. Keine Opern! Die große Auseinandersetzung kam erst, als ich fest entschlossen war, eine Hamlet-Oper zu schreiben. Ich war vorher also kein Shakespeare-Spezialist, abgesehen von den frühen Erfahrungen in der Schule. Die waren aber wohl prägend. (Schmunzeln) Denn meine allererste Musikkomposition entstand in dieser Highschool-Zeit. Angelehnt an Shakespeare, an König Lear, ausgehend von diesem Englischlehrer Malcolm Gerrit, ein lieber Lehrer. Er hat uns nämlich damals aufgefordert, eine künstlerische Auseinandersetzung mit einer Zeile aus King Lear zu wagen. Darauf habe ich einen Popsong geschrieben. Mit dem Text des Fools, des Narren. “Truth’s a dog must to kennel”. Das war mehr oder weniger mein Opus 1. Also geht meine Shakespeare-Auseinandersetzung doch sehr weit zurück.

Shakespeare hat also sehr früh eine Spur in Ihrer Vita hinterlassen. Wenn Sie jetzt die Bratsche dabei hätten und ich Sie bitten würde, mir etwas aus Ihrer Oper vorzuspielen, was würden Sie spielen?

Wahrscheinlich Teile aus Ophelias Material, “Never, never, never doubt, I love!”

Gibt es dazu eine besondere Melodie?

Dieses „Never“ hat eine spezielle Funktion in dem Stück und kommt, wenn man es am wenigstens erwartet. Denn Hamlets Kampf ist der, zwischen Rache und Liebe zu entscheiden. Und leider fällt er auf die Seite der Rache. Aber in meiner Partitur und unserer Opernfassung bleibt die Liebe in der Luft hängen.

Matthew Jocelyn, Ihr Librettist, wie sind Sie auf ihn gestoßen. Ist er ein Shakespeare-Garant oder Kenner gewesen?

Das hat sich eigentlich zufällig ergeben. Der hat natürlich eine lange Auseinandersetzung mit Shakespeare und Hamlet als Theater-Regisseur gehabt. Das wusste ich damals aber nicht. Als ich ihn über mehrere Ecken kennen gelernt habe, letztendlich über Simone Young in ihrer Zeit an der Hamburger Staatsoper kennenlernte, kamen wir in Berührung. Als wir ins Gespräch gekommen sind, dachte ich sofort „Ah I found my man!“

Da hatten Sie schon Hamlet im Kopf?

Ja. Das war schon klar!

Noch bevor der Auftrag aus Glyndebourne kam?

Nein, der kam zuerst. Und ich muss sagen. Auf das richtige Sujet zu kommen ist das Schwierigste. Diese Hamlet-Idee war nicht von mir. Und als ich das zuerst hörte, war ich skeptisch…

… dann haben Sie an Ihre Jugend zurück gedacht. An Ihr Opus 1…

… letztendlich kam es vielleicht dadurch. (Schmunzeln) Aber am Anfang war die Reaktion wie bei vielen, denen ich dann erzählt habe, dass ich mich entschieden habe. „Mmm Hamlet! …? Das ist aber groß…“ Das war ehrlich gesagt auch meine erste Reaktion. Sobald ich mich aber vertieft habe ging es los. Meine Frau, sie ist Malerin, Heather Bett. Sie hat sich dann auch mit Shakespeare auseinandergesetzt. Und eigentlich hat sie erstmal den Bann gebrochen und mich für die Sache erwärmt. Dann erst habe ich mich auf diesem Weg wohler gefühlt.

Also ein Gesamtkunstwerkprozess, der mit neuen Bildern, mit neuem Text und neuer Musik seinen Weg gefunden hat. Matthew Jocelyn ist ja auch der Regisseur hier in Köln. Hat er Szenen entwickelt, wo sie gesagt haben, „O, das erstaunt mich jetzt aber!“

Er führt hier in Köln zum ersten Mal Regie. In Glyndebourne war das der Australier Neil Armfield. Was ich wahnsinnig schätze an Matthews Regie und seinem Bühnenbild ist, dass der Geist und der Totengräber eine wahnsinnige Präsenz hat. So ist es nicht nur Rache und Liebe, die in der Luft liegen, sondern auch der Specter of Death, der Bote des Todes. Der Todesgeist und die Todesbotschaft, ein wunderbarer Charakter mit und gesungen von Joshua Bloom. Er ist der Totengräber und der Geist. Und er ist viel präsenter auf der Bühne als bei der ersten Produktion. Das finde ich sehr stark.

Matthew Jocelyn im Konzeptionsgespräch. Foto Paul Leclaire
Matthew Jocelyn im Konzeptionsgespräch. Foto Paul Leclaire


Eine Oper lebt von Sängern. Wie haben Sie das Sängerpersonal angelegt? Gibt es Countertenöre? Die sind ja gerade so modern.

Ja, die Countertenöre, das war für mich ein Weg. Sicherlich auch, um eine andere Farbe in die Partitur hinein zu bringen, da es von Shakespeare aus sehr „Männerlastig“ ist. Es gibt nur zwei weibliche Rollen, Ophelia und Gertrude. Rosencrantz und Guildenstern als ein Countertenorpaar zu setzen hat viel Farbe in das Geschehen gebracht. Die Besetzung in Köln ist sehr erstklassig und in David Butt Philip haben wir sogar einen Sänger, der von vorneherein an dem Projekt beteiligt war. In der Uraufführung sang er die Rolle des Laertes. Und dann auf der Tournee, die Glyndebourne-Produktion ging auf eine Reise durch England, da hat er dann die Hauptrolle gesungen. Er bringt also wahnsinnig viel Erfahrung in der Rolle mit. Und ich glaube, das ist durch die ganze Probenphase eine wahnsinnige Inspiration für die Sänger gewesen, weil er so viel Wissen, aber auch große Kollegialität mitgebracht hat.

Ist es Ihnen eigentlich schwer gefallen, für die Stimmen zu schreiben? Die Sängerdarsteller stecken ja in einer wahnsinnigen Geschichte fest. Gefangen im Dreieck von Hass – Liebe- Tod!

Diese starken Emotionen, aber vor allem der reichhaltige Text macht das zu einer rechten Freude! Es ist trotzdem viel Arbeit gewesen. Sie hat mich über vier Jahre beschäftigt. Es war aber immer wieder erstaunlich, sich mit diesem Text in einer tagtäglichen Arbeit auseinander zu setzen. Wie ich schon gesagt habe, ich dachte zuerst, dass es mit das Schwerste wäre, das richtige Sujet auszuwählen. Man beschäftigt sich mit dem Stoff ja über viele Jahre. Und diese Zeit muss inspirierend und motivierend sein. Und mit einem solchen Text war das gesichert.

Gibt es in dem Text dennoch Momente, die sie immer noch nicht verstehen? Man geht ja, wenn man sich mit so einer Geschichte beschäftigt irgendwie auch auf die Suche. Gibt es etwas im Hamlet, das ein Fragezeichen geblieben ist?

Das habe ich schon bei den ersten Probentagen gemerkt, wo Sänger, die neu dazu gekommen sind, auf bestimmte Andeutungen und Hinweise im Text gekommen und nachgefragt haben. Und dann merkt man, „mm, ja, es könnte ja auch so oder so heißen. Dies oder jenes bedeuten.” Das ist auch, warum ich den Text bewundere, weil er so tiefgehende Schichten hat…

Also musikalisch ist, weil mehrdeutig…

Vielleicht war das auch die hintergründige Idee dafür, die Instrumentierung auf verschiedenen Ebenen zu inszenieren. Wir haben zwei Trios, die im Saal spielen. Satellitengruppen, im Publikum zu sehen und zu hören. Es gibt einen Semi-Chorus, eine kleine Kapelle von Sängern, die seitlich vom Orchester sitzen. Und die Orchestrierung selber ist ziemlich groß und vielschichtig. Insofern glaube ich schon, dass das Hinterfragen des Sinns an bestimmten Stellen Leitbild war für die Instrumentierung.

Hat das Gürzenich-Orchester viel Mühe gehabt, Ihre Partitur zu lernen, die Musiker spielen sie ja zum ersten Mal? Wenn Sie das so erzählen, scheint die Partitur ja sehr vielschichtig und komplex!

Es gibt viel zu lernen für ein Orchester. Das Stück ist lang. Und teilweise sehr schwer. Ich muss sagen, der Wille war vom ersten Tag an zu spüren. Ich hatte auch das Glück, mit einigen Musikern aus dem Orchester einen Kammermusikvormittag zu gestalten. Das hat für diejenigen noch eine andere Bedeutung, weil sie kurz davor standen, in dieses große Werk einzusteigen…

Und es ging in diesem Kammerkonzert in der Kölner Philharmonie ja auch um Trauermusik…

Teilweise schon. Ja, und die machen eine fantastische Arbeit und es gibt ja nicht allzuviel Probenzeit. Wir haben jetzt noch die Hauptprobe und die Generalprobe. Ich war heute früh da, um noch etwas in die Stimmen hineinzuschreiben. Um hinzuweisen auf bestimmte Stellen, wo man aufpassen soll. Aber die machen das fantastisch. Und man merkt, die Auseinandersetzung mit dem Material ist sehr ernst und tief. Nach Gesprächen mit einigen Musikern aus dem Orchester, habe ich gemerkt, die nehmen das richtig ernst. Das ist für mich als Komponist eine große Freude!

Was ist das Heutige an dem Stück? Was nehmen die Leute mit, wenn sie rausgehen und sich fragen könnten, warum habe ich das Stück gesehen und gehört? Worauf werden sie gestoßen?

Wir sind öfter gefragt worden, warum Hamlet, warum jetzt, warum Shakespeare, ein Interviewer fragte sogar, warum macht man so ein misogynistic stuff from 1600 (einen frauenfeindlichen Stoff aus dem 16. Jahrhundert…) undsoweiter. Da sieht man eine Enge, wenn man große Werke der Vergangenheit nur mit einem social justice context von 2019 anschauen will. Das bedeutet mitunter, ein Ende von Metapher. Für uns war es klar, dass dieses Stück immer noch Fragen aufwirft, weil Hamlet eine unwahrscheinlich moderne Figur ist. Man kann also sagen, es ist noch relevant. Aber noch wichtiger ist, dass es zeitlos ist, finde ich. Und eben diese Diskussion um bestimmte Zeilen und was da die Bedeutung dahinter sein könnte, solche Fragen werden uns immer bei so großen Werken beschäftigen. Diese Frage „warum jetzt noch ein Hamlet“, finde ich sogar albern. Es ist für immer ein Stück.

Was ist denn das radikal Moderne an Hamlet?

Dieses In-sich-hineingehen war für die damalige Zeit schon radikal und neu. Dabei aber auch noch zu merken, dass, so sehr Hamlet scheint, sich zu kennen, er letztendlich nicht in der Lage ist, eine richtige Entscheidung zu treffen. Wenn man heutzutage die politische Situationen nur für einen Moment anschaut, dann versagt überall die Entscheidungskraft. Das ist überall das Problem! Und Machenschaften und Machtspiele haben das Sagen. Hamlet hat uns viel zu sagen, über das Wie-sehr-solche-Machtkämpfe-es-uns-erschweren, die Welt klar zu sehen und klare Entscheidungen treffen zu können.

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