„Erdfabrik“! Musiktheater von Aperghis am Eröffnungs­wochen­ende der Ruhr­triennale 23

So wie es beginnt, lässt Georges Aperghis sein „Poetisches“ Musiktheater „Erdfabrik“ für Stimme, zwei Perkussionisten, Trompete und Kontrabass enden. Mit drei quäkenden Melodika-Instrumenten, gespielt von Musikern der Musikfabrik! Im Auftrag der R_T 23 – auf Texte von Jean-Christophe Bailly – ist das 75 Minuten dauernde Werk entstanden. Das dramatische Gedicht „Die Erzstufe“ von Anette von Droste-Hüshoff soll Initialzündung gewesen sein. Die Uraufführung war vorgestern, am Samstag des Eröffnungswochenende, in der Gebläsehalle des Landschaftsparks Duisburg-Meiderich. Das Publikum hat auch die zweite poetische Bergwerksexploration gefeiert, die das Innere der Erde mit der menschlichen Psyche vergleicht, und Kumpel den gefallenen Himmel und Licht angeblich im Schacht gefunden hätten. (Von Sabine Weber)

Impression vom Landschaftspark Duisburg-Nord. Foto: Andreas Preuss

(12. August 2023, Gebläsehalle im Landschaftspark Duisburg-Nord) Es ist hilfreich, einen Gast dabei zu haben, der erstmals die gigantische Industrieanlage in Duisburg-Meiderich erlebt, genauestens besichtigt und aus dem Staunen nicht heraus kommt. Man beginnt selbst wieder zu staunen: über verrostete Riesenmägen, verschlungene kilometerlange Därme, teilweise eingebettet in Betonwände, deren Armierungen längst bloß liegen, mit Eingängen ins Innere, die wie bei mittelalterlichen Kreuzritterburgen aussehen und versteckten Eisentüren, die in die Tiefe führen. Überall ist es feucht, und es tropft. Und Tropfen sind in der Musik von Georges Aperghis ein Leitmotiv.

Fortschreibende Linien, Kreise, grafisches Gestein

Aperghis lässt nach der lärmenden Einleitung feine Tropfentöne von den beiden Perkussionisten Dirk Rothbrust und Christian Dierstein in leicht verschobenen Rhythmen auf Holz produzieren. Die grafische Bildanimation, die über drei Leinwände läuft, hat schon begonnen. Sich fortschreibende Linien, Kreise, Höhlenmalereien, die sich zu grafischen Gesteinsformationen verdichten. Alles Assoziations-offen und ästhetisch anspruchsvoll gestaltet (Video und Animation: Nina Bonardi). Der einsetzende Gesang auf Silben erinnert sofort an Luciano Berios Comic-Sprechblasen-Studie Stripsody. Von Droste-Hülsoffs Gedichtzeilen sind also nicht zu verstehen. Sie gehen in spitzzackigen Tonfolgen auf, mit denen Donatienne Michel-Dansac quasi im Zwiegespräch mit sich selbst Blitze in den Raum schleudert. Es gibt auch kaum Textlese-Unterstützung. Nur wenige Übertitel werden später mal eingeblendet.

Der ständig oszillierende Geräuschklang ist das Ereignis

Der aus schillernden Geräuschen bestehende, immer wieder changierende und oszillierende fein austarierte Klang, ist das Ereignis des Abends. Er wird ohne Bühnenaktion dennoch theatral inmitten der beiden Perkussionsaufbauten rechts und links zelebriert. Die Instrumentalisten in bunter Alternativklamotte wie Schirmmütze, Hosenträger über Knitterhemd und Schlabberhose sind großartige Musiker-Performer. Sie rezitieren ebenfalls und sind im Gegensatz zur mit Akzent sprechenden Sängerin gut zu verstehen. Alle begleiten ihre Texte mit Spielgesten und sorgen für Szenenspannung. Regie hat Aperghis höchst persönlich geführt.

Donatienne Michel-Dansac, Christian Dierstein, Sophie Lücke. Foto: Heinrich Brinkmöller-Becker
Nicht alle Klänge sind zu erklären. Aber alles entsteht live

Die Protagonisten werfen sich ohne Dirigent die Bälle zu, enden und setzen gemeinsam ein. Sie sind unglaublich aufeinander abgestimmt. Vier Wochen lang sei geprobt worden. Und die Musiker hätten noch einmal zwei Wochen für sich allein gearbeitet. Das ist ein enormer Einsatz für dieses doch überschaubare Ensemble, aber wohl notwendig für die minutiös und fein aufeinander abgestimmten unkonventionellen Klangereignisse im Zusammenspiel mit den Bildanimationen. Wenn das hohle Holzrad dreht, in dem Steine rumpeln als würde eine Schuttschütte ausgeleert, sitzt das Publikum sofort wieder auf der Stuhlkante. Eher kurios sind die dunklen Glissandi, wenn Gummischlegel über eine Membran fahren. Es wird auf einen Amboss geschlagen, an Eisen gefeilt und mit dem Bogen gesägt. Ketten rasseln, viele Sounds, die mit dem Bergbau irgendwie in Verbindung gebracht werden können. Nicht alle Klänge sind an diesem Abend zu erklären. Aber alles entsteht live auf der Bühne.

Dirk Rothburst. Foto: Heinrich Brinkmöller-Becker
Beeindruckend sind auch die Soli

Beeindruckend sind die vielen Soli, beispielsweise Sophie Lücke auf ihrem Kontrabass, die mit Doppelgriffen, Streichen auf Zargen sowie auf Saitenhalter subtile Flächen zaubert. Oder auch mal eine kurze ostinate Begleitfigur.  Die Musiker hören sich genau zu und halten immer Blickkontakt. Das ist auch Theater! Marco Blaauw liefert auf seiner zum Markenzeichen gewordenen Doppeltrompete eine fast sprechende Klangkulisse, ab und zu mit kleinen Melodiefragmenten durchsetzt, zum Ende auch ein paar elektronische Klangloup-Flächen. Zweimal bläst er in Muschelhörner, die einen irritierend klaren Ton ins Bild lassen. Wie ein Signal klingt das. Steeldrums und gigantische Waldteufel bereichern ebenfalls das aufgefächerte Klangbild.

Subtile Klangideen des griechisch-französischen Komponisten

Einmal steht Michel-Dansac an einer Vitrine, in der es auf Gegenstände tropft, die sie umdreht, die dann anders klingen, was sie mit erstaunten Blicken oder Gesten dem Publikum zugewandt quittiert. Immer gestaltet sie. Zumeist groteske, sogar komische Szenen. Bilder simulieren einen Sturz in die Leere. Von Schlaflosigkeit, vom Blindsein und Alpträumen, der Nacht, dem Dunkel ist die Rede. Mit den verschwurbelten Auslassungen Baillys hat man so seine Probleme. Ein behauptetes formlose Dunkel wird durch die Musik beispielsweise gar nicht fassbar. Denn sie ist so genau konzipiert, fein strukturiert, in immer neuen Fragmenten fortgeschrieben, dass man sich fragt, wie der griechisch-französische Komponist auf solch subtile Klangideen überhaupt kommen konnte.

Das All ist wie das Innere des Berges

Die Zivilisationskritik, weil der Mensch die Erde mit der Ausbeutung des Berges zerstört, wirkt dann gegen Ende gewollt. Und die Wurzeln, die die dazu projizierte Betonoptik durchziehen und sich zurückerobern, sind ein sehr plakativer Hoffnungsschimmer, der auf eine überstarke pflanzliche Natur setzt. Dass das All wie das Innere des Berges sei, das Dunkel der Nacht im Berg durch Lichtpunkte der Stirnlampen der Kumpel wie mit Sternen durchsetzt, überhaupt die Kohle im Berg durch Lichtsaugende Pflanzen sozusagen aus dem Licht des Himmels gewonnen, das Berginnere schlussendlich also ein gefallener Himmel, ist eine schöne poetische Idee. Aber dass das Weiß im Auge der Bergleute im Schacht noch weißer werden soll, dann doch eine allzu romantische Überhöhung. War nicht einst Duisburg von Kohlestaub geschwärzt, der den Menschen Tränen in die roten Augen und den Krupphusten brachte?

Eine Hommage an den Bergbau für die R_T 23
Foto: Andreas Preuss

Aber das nimmt man an diesem Abend hin. Denn er ist eine Hommage an das Ruhrgebiet, den Bergbau und auf die Ruhrtriennale zugepasst ist, die die einstigen gigantischen Industriebrachen bespielt. Da darf Erinnerung ein bisschen verklärt und positiviert werden. Dieses Poetische Musiktheater, das übrigens an die theatralen Sprechklänge von François Sarhan erinnert, findet auf höchstem Niveau statt. Und im begeisterten Applaus erscheint dann auch der fast 80jährige Komponist und wird auch noch von den Musikern beklatscht. Im Anschluss fand noch ein Publikumsgespräch statt, das sicherlich einige inhaltliche Aufschlüsse geben konnte. Die Musik hat das nicht gebraucht. Sie hat für sich gesprochen.

Weitere Aufführungen am 13., 17., 18., 19. und 20. August

Die zweite Musiktheaterpremiere der Ruhrtriennale findet am 31.8. statt

 

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