Apokalypse Now lässt grüßen! Hildorf setzt seinen Ring in Düsseldorf mit der Walküre fort

Maria Hilmes (Rossweisse), Katharina von Bülow (Grimgerde), Jessica Stavros (Gerhilde), Josefine Weber (Helmwige), Linda Watson (Brünnhilde), Katja Levin (Ortlinde), Zuzana Šveda (Siegrune), Katarzyna Kuncio (Waltraute), Statisterie Bild Hans Jörg Michel
Maria Hilmes (Rossweisse), Katharina von Bülow (Grimgerde), Jessica Stavros (Gerhilde), Josefine Weber (Helmwige), Linda Watson (Brünnhilde), Katja Levin (Ortlinde), Zuzana Šveda (Siegrune), Katarzyna Kuncio (Waltraute), Statisterie Bild Hans Jörg Michel

Es ist schon erstaunlich, wie modern die Themen sind, die Wagner in seiner Walküre verhandelt: freie Liebe gegen den heiligen Bund der Ehe wenn er durch Zwangsehe zustande kommt. Fremdbestimmung und blinder Gehorsam. Da prahlen die Walküren in roter Festseide unter Wehrmachtsmantel damit, dass sie im Krieg gefallene Männer im blinden Gehorsam auferstehen lassen und für Wotans Heer rekrutieren. Der Wehrmachtsmantel wird in Dietrich Hilsdorf aktueller Inszenierung seines Ring des Nibelungen an der Oper am Rhein in Düsseldorf zum Symbol der Göttermacht. Wotan entzieht ihn im letzten Akt seiner Lieblingswalküre Brünnhilde, um sie mit Menschlichkeit zu strafen. Und da ist bemerkenswert, dass das Frau-sein-müssen, Waschen, Putzen, Kochen, als größte Strafe und Erniedrigung ausgegeben wird. Das wirkt in heutigen Ohren zynisch!
Und es muss sich gegen Wagners Aliterationenwahn und altertümelnde sprachliche Ausdrucksmittel immer erst durchgebissen werden. Der Einstieg im ersten Akt ist besonders kritisch. „Ein Quell!“, ruft Sigmund wie blind torkelnd hereinstürzend. „Erquickung schaff ich!“ ist Sieglindes Antwort. Die Musik aus dem Orchestergraben liefert eindeutigere Botschaft. Die Düsseldorfer Symphoniker unter dem Bayreuth-erfahrenen Axel Kober liefern an dieser Stelle sanft-betörend tiefen, von den Celli dominierten Streicher-Samt. Alles klar! Hier trifft sich ein Jahrhundert-Liebespaar, das nur noch ein bisschen umständlich herum laviert. Einige Unstimmigkeiten der Inszenierung, sind allerdings schwieriger zu verdauen. Bevor Siegmund hineinstürzt, öffnet Sieglinde bereits die Tür, als erwarte sie jemanden, und tut dann – laut Wagners Libretto – erstaunlich überrascht, dass jemand gekommen ist. An den Liebesvollzug des eben nun mal schwergewichtigen Liebespaares, dem merkwürdige Kleidertauschspielchen vorausgehen, will man lieber nicht erinnert werden. Hat der Regisseur denn keine Augen im Kopf? Wenigsten haben sie noch gerade rechtzeitig aufgehört, sich weiter auszuziehen. Im zweiten Akt fasst sich Sieglinde immer wieder stöhnend an den Bauch als würden gleich die Wehen einsetzen, obwohl sie erst im dritten Akt erfährt, dass sie mit Siegfried schwanger ist. Während der musikalisch magisch jenseitigen Erscheinung von Brünnhilde mit Witwenschleier vor Siegmund, die ihm den Tod, dafür aber auch Walhall-Ehren und Wunschmädchen verspricht, stopft Siegmund ungerührt die Hände in die Taschen. Oftmals fehlt Blickkontakt. Doch wenn die Musik stimmt, lässt man sich viel gefallen. Das Orchester spielt nuanciert und differenziert alle dynamischen Möglichkeiten aus. Das Sängerensemble ist wirklich sensationell! Corby Welch als Siegmund singt jedes Wort verständlich und gestaltet Gesangslinie als würde er sprechen, auch mal über zwei Zeilen hinweg und dann ohne zu atmen. Kraft und Druck setzt er nur an wenigen kostbaren und nötigen Stellen ein. Partnerin Elisabet Strid ist eine warmtönende Sieglinde, die über viele Farben verfügt, nur in extremer Höhe, dann auch passend, verzweifelt schrill klingt. Linda Watson mit ihrem antiken Gesichtsprofil im Bild, hat Brünnhilde-Wucht auch in der Figur, und macht sich mit grandiosen ersten Haioto-Rufen und Fingerzeit auf Hunding über ihn lustig. Ihre dramatischer Sopranstimme entwickelt aber auch einfühlsam Sogwirkung in leisen Partien ihres bemerkenswert zu verfolgenden Dialogs mit Wotan – zwischen Tochter und Vater im letzten Akt. Götterchef Wotan verkörpert Simon Neal gespalten zwischen Pflicht und Ehrgeiz, Macht und Machtlosigkeit. Und wenn ihm im letzten Akt hinter dem Tisch einmal ganz kurz die Stimme wegbricht, scheint es aus trotziger Verzweiflung an der Notwendigkeit, sein herrliches Kind verbannen zu müssen. Wütend schmeißt er die Hunding-Puppe zum Schluss vom Sofa – was hat die im letzten Akt eigentlich zu suchen? Ach ja, der Guerilla-Ranger muss Wotan ja noch seinen Ranger-Hut abgeben. Auch den Wanderhut klaut sich der Götterchef also, natürlich eine Lappalie im Vergleich zum Raub des Rheingolds. Das alles spielt sich an diesem Abend in Dieter Richters Einheits-Bühnenbild ab. Von der ersten Rheingold-Inszenierung letztes Jahr ist noch der Varieté-Rahmen an der Bühnenrampe übrig geblieben. Bunte Glühbirnchen in Reihen mit Goldstuck eingefasst, die am Vorabend den Blick in einen 19. Jahrhundert Salon verziert haben. Zum Einzug der Götter in Walhall haben sie munter geblinkt. Von dem Salon sind nur noch verbrannte Ruinen übrig. Wuchtige Betonwände mit Brandspuren, ein Fabrikähnliches Fenster hinten, rechts eine Art Kassenhäuschen mit Emailleherd davor. Links das einzig erkennbare Salon-Relikt, ein rotes Samtsofa, und ein Tisch mit Gläsern, Karaffen und Biedermeierstühlen. Um die Esche mit Schwert kommt diese Inszenierung auch nicht rum. Der merkwürdig eingeritzter Stamm, der zu Anfang sogar an eine Alaska-Hütte denken lässt, hat aber dann doch wieder zu viel Fantasy-Plastik. Und wackelt, als Siegmund sein Schwert – in Unterhose auf Socken! – herauszieht! Im letzten Akt kommt noch ein Schrott-Helikopter ins Bild. Der akustisch durchs Parkett eingeflogen ist. Apokalypse Now lässt grüßen. Sonst hat er keine Botschaft. Denn Marlon Brando kommt nicht. Dafür aber viele Reminiszenzen an Dietrich Hilsdorfs Walküre-Inszenierung in Essen 2009. Auch da saßen im zweiten Akt Hunding, Sigmund und Sieglinde am Tisch, während Wotan und Fricka – hier Renée Morloc wie eine überdimensionierte Cosima-Wagner Gestalt – ausdiskutierten, wer zu sterben hat. Im letzten Akt führten damals auch die Walküren im roten Ballkleid mit Harnisch-Bustier oder -Ornament, die gefallenen Helden als Wehrmachtssoldaten mit bloßem Oberkörper in Reiterhosen und Lederstiefeln hinein. Kostümbildnerin Renate Schmitzer war schon damals im Team. Aber zugegeben, es hat in Essen alles kühler und distanzierter gewirkt. Die Regieansätze haben sich, trotz einiger kleiner Fehler, also insgesamt intensiviert. Bleibt jetzt abzuwarten, was Dietrich Hilsdorfs Regiebekenntnis zu einem ersten gesamten Wagnerring im Siegfried an wirklich Neuem bringt. Es war ja auch davon die Rede, dass der Rhein eine Rolle spielen soll …
Sabine Weber

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